„Sollte aufhören, Interviews zu geben“ - Kampagnenstratege rügt Harris und verrät, wie sie Trump noch besiegen kann

Herr Perron, der US-Präsidentschaftswahlkampf neigt sich dem Ende zu, der Ausgang ist völlig offen. Nach all den Eklats um Donald Trump in den vergangenen Jahren ist das doch ein erstaunlicher Fakt. Sind Sie überrascht?
Viele Europäerinnen und Europäer realisieren nicht, dass Trumps erste Amtsjahre gute Jahre für die USA waren. Vielleicht seinetwegen, vielleicht trotz seiner Person. Ich persönlich tendiere zur zweiten Option. Dann kam die Corona-Pandemie, die ihm zum Verhängnis wurde.

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Wahlen sind immer ein Referendum über die Amtsinhaber, aktuell trifft das auch auf Kamala Harris als Vizepräsidentin zu. Trump kann nun mit seinen drei Jahren punkten. Es geht um die im Wahlkampf so wichtige Frage: „Are you better off?“ Also: Geht es Ihnen heute besser als vor vier Jahren? Viele Amerikanerinnen und Amerikaner können das nicht mit Ja beantworten.

Diese „Are you better off“-Frage geht auf Ronald Reagan und seinen Wahlkampf im Jahr 1980 gegen Jimmy Carter zurück. Sie hat heute offenbar immer noch Bestand.
Ja. Ein anderes Beispiel ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Im Jahr 2019 setzte er sich gegen den damaligen Amtsinhaber Petro Poroschenko auch deshalb durch, weil er im TV-Duell sagte: „Ich bin nicht Ihr Gegenkandidat, ich bin Ihr Urteil.“ Diese Art Urteilsspruch könnte im US-Wahlkampf entscheidend sein.

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Im Interview mit Fox News sagte Harris, dass ihre Präsidentschaft „keine Fortsetzung der Präsidentschaft von Joe Biden“ sein werde. Trotzdem dürfte die Wahl auch ein Urteil über dessen Präsidentschaft sein, oder?
Absolut. Selbst wenn Bidens Name nicht auf dem Wahlzettel steht: Seine Partei, die Demokraten, treten an und seine Stellvertreterin ebenfalls. Das sind Umstände, die sehr schwierig sind für Harris. Eine Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner ist mit Biden unzufrieden. Und eine noch größere Mehrheit glaubt, dass sich das Land in die falsche Richtung bewegt.

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Harris versucht sich da an einer Balance: Einerseits tritt sie gegenüber Biden loyal auf, andererseits versucht sie, sich als die neue Generation zu präsentieren. Trump hat viel zu lange gewartet, das auszunutzen. Er ist als Kandidat undiszipliniert, daher kommt ihm das kaum zugute. Wenn er nur etwas disziplinierter auftreten würde, wären die Umstände für Harris weitaus schwieriger.

Was Trump bei der eigenen Basis so beliebt macht, macht ihn bei allen anderen unbeliebt.

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Welche Last hat Biden seiner Vizepräsidentin mit in den Wahlkampf gegeben?
Vor allem die hohe Inflation. Gefährlich daran ist: Eine gestiegene Arbeitslosigkeit oder eine Wirtschaftsflaute betrifft immer nur einen gewissen Prozentsatz der Bevölkerung. Aber die Inflation betrifft jede und jeden. Beim Einkauf, im Alltag. Sie ist allgegenwärtig.

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Trump setzt im Endspurt auf genau dieses Thema. Er versucht sich immer wieder als Vertreter des Volkes darzustellen, wie bei seinem Auftritt in einer McDonald’s-Filiale. Darüber wurde in allen Medien berichtet. Wie gelingt ihm so was immer wieder?
Er hat eine enthusiastische und loyale Basis. Das hat man beispielsweise gesehen, als er im Mai strafrechtlich verurteilt wurde. Erstaunlicherweise ist das fast in Vergessenheit geraten. Seine Anhängerinnen und Anhänger stehen zu ihm, egal was er tut. Das ist ein großer Vorteil, aber auch ein großer Nachteil. All diese Menschen dürfen auch nur ein Mal abstimmen.

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Was ihn bei der eigenen Basis so beliebt macht, macht ihn bei allen anderen unbeliebt. Mit dieser Polarisierung hätte die Kampagne umgehen können, wenn Trump als Kandidat nicht so undiszipliniert wäre. Nehmen wir einmal an, dass er das Attentat auf ihn genutzt hätte, um sich neu zu erfinden, sich als Politiker neu zu definieren. Wenn er da der politischen Mitte ein Angebot gemacht hätte, stünde er längst als Sieger fest.

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Harris ist keine begnadete Wahlkämpferin.

Kann er das überhaupt? In seiner Amtszeit war davon nichts zu spüren.
Die vier Jahre im Weißen Haus hat Trump damit verbracht, alle zu verärgern, die ihn nicht gewählt haben. Das war sein größter strategischer Fehler. Er hat kein „coalition building“ betrieben, er hat Menschen außerhalb seiner Basis kein Angebot gemacht. Die einzige Ausnahme war seine Justizreform. Die hat erstaunlich gut funktioniert und ihm Unterstützung bei schwarzen Männern eingebracht hat.

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Sollte Trump gewinnen, dürfte sich an seiner polarisierenden Art nichts ändern. Wäre er vielleicht noch radikaler?
Politiker verändern sich normalerweise, wenn sie verlieren, vor allem in jungen Jahren. Dann gehen sie fundamental über die Bücher. Aber wenn ein älterer Politiker gewinnt, gibt es in der Regel kaum eine Bereitschaft, sich zu verändern. Bei Trump dürfte es genauso sein. Es überrascht deshalb auch nicht, dass eine Mehrzahl der Menschen, die während seiner Ägide in der Regierung waren, vor ihm und einer zweiten Amtszeit warnen.

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Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner scheinen diese Warnungen nicht zu beeindrucken.
Es scheint ihnen in der Tat egal zu sein. Kamala Harris sollte in den letzten Tagen vor der Wahl auf genau diesen Umstand aufmerksam machen. Sie sollte den Fokus auf Trump legen. Und vor allem sollte sie aufhören, Interviews zu geben. Jetzt kommt es nicht mehr auf Details an.

Hat Harris zu sehr versucht, mit rationalen Argumenten in einem irrationalen Wahlkampf zu punkten?
Es ist immer eine Kombination. Als Wahlkampfberater weiß ich: Argumente bringen Leute zum Nachdenken, aber Emotionen bringen sie zum Handeln und letztlich zur Wahl. Harris arbeitet durchaus mit Emotionen. Und sie hat so viel Geld zur Verfügung: Im dritten Quartal hat sie eine Milliarde US-Dollar aufgetrieben. Sie hat also Geld für Werbung. Sie muss sie nur mit der richtigen Botschaft versehen. Konkret sollte sie die Wählerinnen und Wähler daran erinnern, warum diese Trump vor vier Jahren nicht wiedergewählt hatten.

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In einer CNN-Bürgerstunde hat Harris den Ton gegenüber Trump deutlich verschärft und ihn einen „Faschisten“ genannt. Die richtige Strategie?
Grundsätzlich ist es richtig, Trump ins Zentrum zu stellen. Das Wort „Faschist“ hätte Harris wohl besser nicht benutzt. Ihre Antwort wäre kraftvoller gewesen, wenn sie einfach wiederholt hätte, wie beispielsweise der ehemalige Stabschef John Kelly und viele andere vor Trump warnen.

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Wahlkampf ist vor allem Kommunikation. Es geht um einfache Botschaften und die kontinuierliche Wiederholung dieser Botschaften. Trump setzt wieder auf ‚MAGA‘, also ,Make America Great Again‘. Einfallslos oder alternativlos?
Nummer zwei, alternativlos. Das ist einer der besten Slogans überhaupt. Er bringt die Botschaft auf den Punkt und zeigt gleichzeitig die Unterschiede zur Konkurrenz auf. Das „again“, das „wieder“, verleiht der Botschaft den Inhalt. Davon fühlt sich die Basis angesprochen.

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Bei der Vorbereitung auf unser Gespräch ist mir der Slogan der Harris-Kampagne nicht eingefallen, ich musste erst nachschauen. Kennen Sie ihn?
Das ist eine gute Frage. Lassen Sie mich überlegen … nein, ich muss passen.

Der Slogan lautet: „When we fight, we win“, „Wenn wir kämpfen, gewinnen wir“.
Man muss fairerweise sagen: Harris musste ihre Kampagne nach Bidens Rücktritt in kürzester Zeit aufstellen. Der Startschuss gelang gut: Es gab ein Signal des Aufbruchs, sie hatte sich als die nächste Generation, als das nächste Kapitel in der Geschichte der USA präsentiert.

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Früher haben wir uns leidenschaftlich über Meinungen gestritten, heute streiten wir genauso leidenschaftlich über Fakten. Das ist für unser Zusammenleben und für unsere Demokratie schlecht.

Harris‘ zweite Präsidentschaftskampagne erinnert an ihre erste. Als sie 2019 ankündigte, ins Rennen um die Kandidatur der Demokraten einzusteigen, galt sie als Rising Star, sie zog weltweit Beachtung auf sich. Nach weniger als einem Jahr gab sie auf, und das noch vor der ersten Vorwahl.
Harris ist keine begnadete Wahlkämpferin. Sie musste das auch nie wirklich trainieren, sie kommt aus der Demokraten-Hochburg Kalifornien, da war sie nie in Verlegenheit, groß Wahlkampf machen zu müssen. Schwieriger ist, dass sie offenbar Schwierigkeiten im Umgang mit dem eigenen Team hat. Nachdem Harris Vizepräsidentin wurde, gab es in ihrem Team oft Unruhe, viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben entnervt hingeschmissen.

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Lassen Sie uns über einen Faktor sprechen, der mittlerweile zu den Wahlkämpfen dazugehört: Desinformation. Trump lügt im Wahlkampf ununterbrochen: Harris sei „auf einmal schwarz geworden“, Migranten würden Haustiere essen, die Biden-Regierung lasse die Opfer von Hurrikan „Milton“ finanziell im Stich. Er hat offenbar jede Scheu verloren.
Ich betrachte das mit großer Besorgnis. Früher haben wir uns leidenschaftlich über Meinungen gestritten, heute streiten wir genauso leidenschaftlich über Fakten. Das ist für unser Zusammenleben und für unsere Demokratie schlecht. Wir brauchen eine gemeinsame Basis von Fakten, um gemeinsam zu leben und arbeiten zu können.

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Ein bisschen Hoffnung habe ich aber noch. Selbst der konservative TV-Sender Fox News hat seine Lektion gelernt, als er 2019 fast 800 Millionen US-Dollar wegen falscher Wahlbetrugsvorwürfe zahlen musste. Das hat Spuren hinterlassen und ein Signal ausgesandt. Hoffen wir, dass wir so etwas nach der diesjährigen Wahl nicht noch einmal erleben müssen.

Nehmen wir an, die Trump-Kampagne hätte Sie als Kampagnenberater engagieren wollen: Hätten Sie zugesagt?
Das ist eine hypothetische Frage. Ich hätte auf jeden Fall 100 Prozent Vorauszahlung verlangt. Die Trump-Kampagne hätte mich gar nicht engagieren müssen, denn für die Umfrage-Webseite „Realclearpolitics“ habe ich in einem Artikel beschrieben, was Trump machen müsste, um die Wahl zu gewinnen. Es ging darin viel um ein inhaltliches Angebot an neue Wählerinnen und Wähler, vor allem in den Swing States. Ob die Trump-Kampagne den Text entdeckt hat, weiß ich nicht. Ich glaube aber nicht. Dieser Zug ist mittlerweile auch abgefahren.

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Letzte Frage: Trauen Sie sich einen Tipp für den 5. November zu?
Eine Sache vorab: Ich bin sehr skeptisch gegenüber den Umfragen. Ich finde es lächerlich, wie dort kleinste Veränderungen in irgendwelchen Untergruppen analysiert werden. Letztlich ist es so: Wir wissen nicht, ob Trump oder Harris vorne liegen. Was wir aber wissen: Es ist und bleibt ein knappes Rennen, und die USA sind ein tief gespaltenes Land. Das Wahlsystem und die Umstände begünstigen Trump.

Ich persönlich habe die USA immer als Land erlebt, das in die Zukunft schaut, Trump fühlt sich für mich nicht wie die Zukunft an. Wenn ich den letzten Schweizer Franken verwetten müsste, würde ich auf Harris setzen.

Von Johannes Altmeyer