„Was wir hier beginnen, ist beispiellos“ - Mit diesen Pipelines wird Deutschland jetzt zum weltweiten Vorreiter

Vorbild Deutschland

Zentral für den Transport des Wasserstoffes ist das „Kernnetz“, das bis zum Jahr 2032 schrittweise entstehen sollen. Geplant sind Leitungen mit einer Gesamtlänge von 9666 Kilometern. Verbunden werden sollen große Verbrauchszentren sowie Speicher und Importpunkte, die ersten Verbindungen sollen bereits nächstes Jahr fertiggestellt sein. Die Investitionskosten liegen nach Angaben der Fernleitungsnetzbetreiber bei fast 20 Milliarden Euro - günstig in Anbetracht der Ausmaße des Projekts. Hilfreich ist, dass 60 Prozent der Leitungen nicht neu gebaut werden müssen, stattdessen werden alte Gasleitungen umgerüstet.

Mit dem Wasserstoff-Netz wird Deutschland zum weltweiten Vorreiter - in keinem anderen Land sind die Planungen bereits so weit vorangeschritten. „Das ist ein besonderer Tag für die Bundesrepublik. Was wir hier beginnen, ist beispiellos“, sagte Thomas Gößmann, Chef von Thyssengas und Vorsitzender des Branchenverbands FNB Gas. „Es hat noch nie die Ambition gegeben, ein weiteres Energiesystem aus dem Boden zu stampfen.“

Das Netz löse auch das „Henne-Ei-Problem“, das den Hochlauf der Wasserstoff-Infrastruktur bis dato geplagt hatte, so Gößmann: Energieversorger wollen nicht in Netze investieren, wenn ihnen die Industrie keine Abnahme garantiert - gleichzeitig will die Industrie keine Versprechungen machen, wenn sie nicht weiß, ob die nötige Infrastruktur jemals gebaut werden wird.

Riesiger Bedarf

Der Bedarf ist jedenfalls immens. Die Bundesregierung erwartet laut Strategie im Jahr 2030 für Deutschland einen Bedarf an Wasserstoff und Derivaten in Höhe von 95 bis 130 Terawattstunden. Die Wasserstoffnachfrage soll dann weiter steigen, bis zum Jahr 2045 auf etwa 360 bis 500 Terawattstunden für Wasserstoff sowie 200 Terawattstunden für Wasserstoffderivate. Das sei aber abhängig von Faktoren wie der Preisentwicklung und der Verfügbarkeit von Wasserstoff. Bedarfe gibt es laut Strategie vor allem in der Stahlindustrie, der Grundstoff- und Petrochemie, in der Mobilität und Logistik sowie bei Kraftwerken.

Zum Vergleich: 2023 erzeugten laut Bundesnetzagentur erneuerbare Energien rund 251 Terawattstunden Strom. Im Jahr 2022 verbrauchten laut Umweltbundesamt private Haushalte rund 678 Terawattstunden Energie, dies entsprach einem Anteil von gut einem Viertel am gesamten Endenergieverbrauch.

„Deutschland wird zu den größten Importeuren zählen“

Ein Großteil des deutschen Wasserstoffbedarfs werde mittel- und langfristig durch Importe aus dem Ausland abgedeckt werden müssen – bereits 2030 voraussichtlich rund 50 bis 70 Prozent, wie es in der Strategie heißt. „Damit wird Deutschland künftig weltweit zu den größten Wasserstoffimporteuren zählen.“

In der Anfangsphase beschränke sich die Importstrategie nicht auf „grünen“ Wasserstoff, sondern beziehe übergangsweise insbesondere kohlenstoffarmen Wasserstoff und seine Derivate in mit ein - um möglichst frühzeitig eine verlässliche Versorgung mit ausreichenden Mengen an Wasserstoff sicherzustellen. Die direkte finanzielle Förderung der Wasserstofferzeugung soll auf „grünen“ Wasserstoff und seine Derivate - wie Ammoniak und Methanol - fokussiert werden. Kritik kam von Greenpeace. Energieexpertin Mira Jäger sagte: „Wer die Klimakrise aufhalten will, darf nicht mit Wasserstoff aus Erdgas planen.“

In Deutschland sollen zahlreiche Elektrolyseanlagen gebaut werden, die vor allem „grünen“ Wasserstoff produzieren. Dazu ist viel Strom nötig, der zunehmend aus erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne kommen soll.

Aus Algerien nach Deutschland

Geplant ist der parallele Aufbau von Importinfrastrukturen für Pipeline- und Schiffstransporte. Dabei sollen auch bestehende Gaspipelines umgestellt werden, was laut Strategie zu Kostenersparnissen führen kann. Über Pipelines sind vor allem Wasserstoffimporte aus Europa geplant. „Mittelfristig ist davon auszugehen, dass ein Großteil des Bedarfs an Wasserstoff durch Pipelines gedeckt wird.“

Es soll mindestens vier an eine Pipeline gebundene sogenannte Importkorridore geben: Nordseeraum, Ostseeraum, Südwesteuropa und Südeuropa. Entlang dieser Korridore soll die Kooperation mit den jeweiligen Anrainerstaaten aufgebaut und vertieft werden, wie es in der Strategie heißt. 

Die erste grenzüberschreitende Pipeline solle zwischen Deutschland und Dänemark entstehen, sie könnte Ende 2028 in Betrieb gehen. Ab 2030 könnte eine Pipeline Wasserstoffimporte aus Norwegen ermöglichen, auch der Bau einer Wasserstoffpipeline zwischen Deutschland und Großbritannien wird geprüft. Daneben sieht zum Beispiel der Südkorridor eine direkte und größtenteils aus umgewidmeten Erdgaspipelines bestehende Leitungsverbindung zwischen Algerien, Tunesien, Italien, Österreich und perspektivisch der Schweiz nach Deutschland vor. 

Der Schiffstransport soll Wasserstoffimporte aus Weltregionen ermöglichen, die aus technischen und ökonomischen Gründen nicht per Pipeline angebunden werden können. Geplante landseitige Terminals an den deutschen Küsten zum Import von Flüssigerdgas sollen so konzipiert werden, dass diese nach der LNG-Nutzung Wasserstoffderivate anlanden können.

Entscheidende Frage bleibt offen

Die Bundesregierung hat bereits zahlreiche bilaterale Wasserstoff-Kooperationen geschlossen - darunter sind Länder wie Australien, Chile, Großbritannien, Namibia, Saudi-Arabien, Südafrika, die Vereinigten Arabischen Emirate. In vielen dieser Länder gibt es großes Potenzial zum Beispiel für den Ausbau der Solarenergie. Länder wie Saudi-Arabien aber gelten wegen der Menschenrechtslage als schwierige Partner.

Mit Blick auf Entwicklungs- und Schwellenländer heißt es in der Strategie, der Aufbau von Wasserstoffmärkten gehe mit Chancen für die Entwicklung lokaler Wertschöpfungsketten und qualifizierten Arbeitsplätzen einher. Die Bundesregierung setze sich für die Einhaltung von Umwelt-, Sicherheits- sowie Sozialstandards ein.

Die Bundesregierung sollte sich nun auf ihr Kernziel konzentrieren, sagte Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft - dies sei: „in kurzer Zeit große Mengen Wasserstoff und Derivate zu möglichst wettbewerbsfähigen Preisen importieren zu können“. Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, sagte, entscheidende Fragen blieben in der Strategie offen: „Wie schnell kommt der Wasserstoff und was kostet er? Für die Stahlindustrie kommt es ganz wesentlich auf Geschwindigkeit und Bezahlbarkeit an.“

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