Zugegeben: Vor meiner Bhutan-Reise hatte ich etwas Bedenken, ob es wirklich eine so gute Idee ist, in den Häusern der auf ganzheitliches Wohlbefinden spezialisierten Edel-Marke Six Senses einzuchecken. Man läuft stets Gefahr, diesen Kokon, diese Bubble, in der man rund um die Uhr verhätschelt, gefüttert, bespaßt oder massiert wird, gar nicht verlassen zu wollen. Und das würde bedeuten, dass man die einzigartige Kultur des kleinen Königreichs im Himalaja nicht kennenlernt und mit den Einheimischen nicht so richtig ins Gespräch kommt.
Als ich am Ende der Reise mit Wehmut in den Flieger der nationalen Fluggesellschaft Drukair steige, der mich, vorbei an den Himalaja-Riesen, wieder zurück in meine, die westliche Welt katapultieren wird, kann ich mit Gewissheit sagen: Die Sorgen waren überflüssig. Doch der Reihe nach ...
Zuerst war ich Fliegenfischen im Süden des Landes. Es war tropisch heiß, die Unterkunft bestand aus einem spartanischen Zelt auf Stelzen, die Mahlzeiten unterschieden sich morgens, mittags und abends nur marginal. Dann stieg ich vier Tage lang auf ein Mountainbike und fuhr über mehr als 3000 Meter hohe Pässe. Ich konnte die Sauerstoffmoleküle einzeln begrüßen, vor allem aber tat mir der Hintern weh.
Die Krönung – überlebenstechnisch betrachtet – markierte dann die einwöchige Wanderung auf dem Chomolhari-Trek. Entgegen aller Weisheiten der Wetterfrösche, die für den Oktober klare, sonnige Tage vorausgequakt hatten, überzogen die Ausläufer eines Zyklons über dem Golf von Bengalen die Berge Bhutans und sorgten an den hohen Pässen für knietiefen Neuschnee, so dass selbst mein Guide Jigme irgendwann resigniert sagte, er überlege ernsthaft, den Job als Wanderführer hinzuschmeißen.
Kurzum: Ich bin ziemlich durch, als ich zurück in die Hauptstadt Thimphu komme: müde, hungrig, verdreckt, ungewaschen. Was jetzt folgt, geht als veritabler Kulturschock durch: Jigme reicht mich nahtlos weiter an den Six-Senses-Guide Kencho und unseren Fahrer Namgay. Beide sind mir ab sofort exklusiv zu Diensten, wenn ich es wünsche 24/7. Ich steige in einen auf Hochglanz polierten Land Cruiser, in dem Wasser, Säfte und Snacks bereit stehen und dessen Himmel ein Tuch in den Farben der Nationalflagge ziert. 20 Minuten später empfängt mich das Team der Lodge mit feuchten Tüchern und einem Mocktail aus frischen Früchten und Kräutern.
Beim Lunch blicke ich von meinem „Palace in the Sky” über ein Wasserbecken samt Meditations-Pavillon auf das Tal tief unter mir und die 54 hohe Statue des Buddha Dordenma am Hang gegenüber. Mehr Spektakel geht nicht. Gleichzeitig fühlen sich das Interior Design mit den heimischen Hölzern und Stoffen und die der traditionellen Bauweise nachempfundene Architektur warm und einladend an. Die Eindrücke vom Trekking, die eiskalten Füße, der nasse Schlafsack lösen sich immer mehr in Wohlgefallen auf. War alles vielleicht nur ein Traum?
Viel Zeit zum Sinnieren lässt mir Kencho, mit dem ich über WhatsApp kommuniziere, nicht wirklich. Wir sind in der Choki Traditional Art School angemeldet. Deren (westliche) Förderer haben es sich auf die Fahnen geschrieben haben, mit der Handwerksschule traditionelle bhutanische Kunst – Holzschnitzen, Sticken, Schneidern, Weben und das Malen von Thangkas (buddhistischen Rollbildern) – vor dem Aussterben zu bewahren und gleichzeitig Lernmöglichkeiten für Kinder aus benachteiligten Familien zu schaffen.
Es ist faszinierend, den jungen Menschen dabei zuzusehen, wie sie mit einer Engelsgeduld und in einer für Langnasen sehr unbequemen Sitzposition stundenlang und mit großer Hingabe an ihren Kunstwerken tüfteln. Volle sieben Jahre dauert die Ausbildung in einigen Disziplinen.
Später am Tag darf auch ich meine Fingerfertigkeit unter Beweis stellen. Nicht in der Kunstschule, das wäre zu peinlich, sondern im Privathaus von Sonam Dargay. Zuerst schauen wir uns an, wie Bhutaner so leben: die Kornkammer, das Gästezimmer, der prächtige Haustempel. Danach lädt der Hausherr zu einem landestypischen Mittagessen, bei dem neben rotem Reis und Hühnchen das Nationalgericht Ema Datshi, ein höllisch scharfer Eintopf fast ausschließlich aus Chilis und in Käse aufgekocht, natürlich nicht fehlen darf, und den ich aus dem Süden des Landes zur Genüge kenne. Dann erst mache ich mich daran, unter der Aufsicht des Patrons mit Hilfe einer Presstafel Gebetsfahnen mit buddhistischen Mantras zu bedrucken.
Dabei kommen wir miteinander ins Gespräch. Sonam erzählt, dass er viele Jahre in einem Kloster verbrachte – und am liebsten auch dort geblieben wäre. Doch seine Eltern hatten niemanden, der Haus und Hof weiterführen wollte. Also heiratete er auf seine alten Tage und zeugte eine Tochter, die jetzt an seinem Arm hängt, weil sie kränkelt und deshalb heute nicht zur Schule geht. Er liebt seine Tochter, doch er sagt auch, dass er es sich vorstellen kann, später wieder Mönch zu werden.
Zurück im Six Senses Thimphu wartet eine Massage auf mich. Selten zuvor hat mich jemand so professionell durchgeknetet, was jedoch nicht überrascht, denn Spa-Rituale gehören zur DNA von Six Senses. Dennoch kann ich nicht ganz abschalten. Ich denke an Sonam, der sein Glück lieber in der Askese sucht als in der Familie. Ich hatte mir vor der Reise ja geschworen, keine Silbe, kein Wort, keine Zeile über das Thema GLÜCK zu schreiben und schon gar nicht über das Bruttonationalglück (BNG).
Der Grund sind die vielen Bhutan-Klischees. Es gibt wohl kein Land der Erde, das in den Medien so schematisch beschrieben wird: reduziert auf das Tigernest-Kloster; den Nationalsport Bogenschießen; den abenteuerlichen Landeanflug im tief eingeschnittenen Tal von Paro, für den nur wenige Piloten weltweit die Lizenz haben; die einzige Ampel des Landes in Thimphu, die aber abgebaut wurde und wo jetzt wieder ein Polizist in Paradeuniform mit strenger Miene den Verkehr regelt; vor allem aber: das BNG.
Tatsächlich ist das zwischen den Großmächten Indien und China eingeklemmte Himalaja-Königreich, das nie kolonisiert wurde und sich lange von der Außenwelt abschottete, ein besonderes Land. Im lokalen Idiom Dzongkha wird Bhutan als Druk Yul („Land des Drachens“) und der Bhutanische König als Druk Gyalpo („Donner Drachen-König“) bezeichnet. Dieser führte Fernsehen erst 1999 ein, Internet gibt es seit 2004. Vor allem aber erklärte die royale Familie der Wangchucks nicht das Bruttosozialprodukt, sondern das BNG zum Gradmesser für Entwicklung.
Konkret heißt das: Das Wohlergehen der Menschen und der Erhalt der Natur, Kultur und Traditionen haben Vorrang vor bedingungs- uns grenzenlosem Wachstum. Die Bhutaner genießen kostenlose Schulbildung und Gesundheitsfürsorge. Mindestens 60 Prozent des Landes müssen von Wald bedeckt sein, weshalb große Nationalparks ausgewiesen wurden. „Gute Regierungsführung“ ist hier mehr als eine leere Worthülse.
Das alles klingt nach einem modernen Märchen. Ist es natürlich nicht, denn bei Glücks-Umfragen landen die Bhutaner im internationalen Ranking nur im Mittelfeld. Woran das liegt? Vielleicht weiß ein Lama, ein buddhistischer Geistlicher, die Antwort. Für jemanden wie mich, der eher auf der ADHS-Seite der Aktivitäts-Skala zuhause ist, klang das von Kencho initiierte Meditations-Rendezvous nach einer ziemlichen Drohung.
Aber egal: Ich treffe den Würdenträger in roter Robe frühmorgens im Pavillon des Resorts. Und bin froh, dass er ziemlich weltlich daherkommt. Es freut ihn ganz offensichtlich, dass er auch mal so mondän übernachten durfte und ihm zu morgendlicher Stunde schon ein Cappuccino mit perfekter Crema gereicht wurde. Dass es ihm auch sonst schmeckt, sieht man ihm an. Wir parlieren dann über dies und das, das Thema BNG rutscht ein bisschen aus dem Fokus.
Das hole ich nach bei der Wanderung zum Kloster Chumphu Nye. Während die Tour zum weltberühmten Tigernest Taktsang für alle Bhutan-Besucher gesetzt ist, trifft man hier kaum Touristen. Gleichzeitig ist dieser Pilgerweg besonders heilig. Kencho und Namgay tragen Trekkingschuhe, dazu aber die Nationaltracht Gho, einen karierten Rock zu Kniestrümpfen. Das ist Pflicht für alle Guides des Landes, wann immer sie beruflich unterwegs sind. Das Königshaus will so die Traditionen wahren. Die beiden finden das in Ordnung. „Wir lieben unseren König wirklich“, betonen sie. „Wir sind stolz auf ihn.“
In Zeiten, in denen sich in den USA einer ungefragt zum „King“ machen möchte, klingt das alles sehr harmonisch. Tatsächlich hängen an vielen Häusern, in den Städten genauso wie in abgelegenen Dörfern, Porträts der Königsfamilie. Alle reden gut über die Royals, loben zum Beispiel die freie Bildung. Schon Fünfjährige sprechen fließend Englisch und rufen uns „How are you?“ und „Welcome!“ hinterher, anstatt, wie in anderen Himalaja-Staaten, um Süßigkeiten zu betteln.
Eine andere Sache ist freilich das BNG-Thema. „Wir haben das in der Schule gelernt. Wir sollten glücklich sein, weil wir Berge und Religion haben“, erklärt Kencho. „Aber wenn Du keinen Job hast, hilft Dir das Glück nicht.“ Er sagt das, weil viele Jugendliche in Bhutan zwar bestens ausgebildet sind, nach der Uni aber keine Arbeit finden und deshalb nach Kanada und Australien auswandern.
Ich frage ihn, ob der König mehr Reisende ins Land locken sollte, indem er zum Beispiel die „Sustainable Development Fee“ in Höhe von 100 US-Dollar pro Tag abschafft, eine Art Eintrittsgebühr ohne Gegenleistung. Dann nämlich könnten mehr junge Bhutaner im Tourismus arbeiten. Kencho schüttelt den Kopf: „Wenn wie in Nepal zu viele Touristen kämen, würden sie alles verändern, das wäre nicht gut.“ Der König mache das schon richtig. Und er arbeite jeden Tag daran, die Lücke zwischen der Idee des Glücks und dem Alltag kleiner werden zu lassen. Wir einigen uns darauf, dass Glück ohnehin weniger ein Zustand als ein Prozess ist – ein Weg, der zwischen heiligen Bergen und harten Realitäten verläuft.
Apropos Glück: Am Nachmittag bucht mir Kencho im Six Senses Paro einen Termin bei einem Astrologen. Ich habe mit Horoskopen zwar rein gar nichts am Hut, aber irgendwie beglückt es mich dann doch, dass mir der Mönch ein mindestens 77jähriges Dasein auf diesem Planeten voraussagt und auch sonst ganz optimistisch in meine Zukunft blickt. Okay, er glaubt auch, ich würde im nächsten Leben als Hund oder als Frau wiedergeboren. Während er offen lässt, was er als größeres Übel sieht, würde ich mich ganz klar für „Frau“ entscheiden. Denn aktuell läuft eine flächendeckende Kastrations-Kampagne, weil sich Straßenköter zu schnell vermehren und nachts die Touristen aus dem Schlaf bellen.
Die Zeit vergeht wie im Flug: morgens eine Yoga-Stunde mit Blick auf Siebentausender, dann Bogenschießen oder eine traditionelle Teezeremonie, Butterlampen basteln, ein Kochkurs, immer wieder Touren zu Tempeln und Klöstern, unterbrochen von exquisiten „Sitzungen“ im Restaurant, wo neben lokalen Spezialitäten auch Lamm aus Tasmanien und Wagyu aus Südafrika auf der Karte stehen. Es ist ein herrlich entspannender Rhythmus, der sich da einstellt. Es könnte ewig so weitergehen.
Ein Kollege hat einmal geschrieben, ihm komme Bhutan wie ein Mix aus Tibet und Nordkorea vor. Er sah einen merkwürdigen Widerspruch zwischen dem vom König „verordneten“ Glück und der Freiheit des Einzelnen. Das ist erstens ungerecht, und zweitens auch falsch. Denn ich habe hier erlebt, dass die Menschen sehr offen über ihre Probleme und Sorgen sprechen, nichts unter den Tisch gekehrt wird. Und im Gegensatz zu Nordkorea gibt es in dem Himalaja-Zwergstaat einen Monarchen, der sich bei seinem Volk entschuldigt, wenn etwas schief läuft.
Okay, auf mich trifft das mit dem „verordneten Glück“ vielleicht tatsächlich zu. Ich werde hier zum Glück gezwungen. Aber das ist allein die Schuld von Six Senses.
Anreise/Einreise/Stopp-Over
Von deutschen Flughäfen mit Emirates nach Dubai und weiter mit Drukair nach Paro in Bhutan. Für die Einreise benötigt man ein Visum, das der Veranstalter ausstellt und das an die Bezahlung der „Sustainable Development Fee“ gekoppelt ist, die pro Tag im Land 100 USD kostet.
In Dubai gibt es nicht immer passende Anschlussflüge. Für eine Zwischenübernachtung perfekt geeignet ist das in der Wüste gelegene 5-Sterne-Resort Bab Al Shams. Es überzeugt mit üppigen Buffets mit regionalen Köstlichkeiten in mehreren Restaurants, großzügigen Pools, Kamelreiten und Abend-Shows.
Veranstalter
Die fünf Lodges von Six Senses sind über das Land verteilt (Paro, Thimphu, Punakha, Bumthang, Gangtey) und erlauben perfekt kuratierte Rundreisen, die sämtliche Facetten des Königreichs erlebbar machen.