Rohstoff-Versorgung immer kritischer: „Echte Gefahr“ für deutsche Wirtschaft
Der weltweite Kampf um die Versorgung mit Rohstoffen spitzt sich zu. Die USA und China bekämpfen sich mit Exportbeschränkungen. Die deutsche Wirtschaft sieht die Entwicklung mit wachsendem Unbehagen.
München - Die deutsche Wirtschaft sieht die Versorgung der Unternehmen mit Rohstoffen mit großer Sorge. „Die wachsende Unsicherheit beim Bezug wichtiger Rohstoffe ist ein ernstes Problem“, warnte der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), Bertram Brossardt gegenüber IPPEN.MEDIA.
Nach einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag des vbw, die IPPEN.MEDIA vorliegt, gilt die Verfügbarkeit von 27 wichtigen Metallen, Mineralien und Seltenen Erden derzeit als „sehr kritisch“. Noch 2015 hatte das IW die Versorgungslage bei lediglich 16 Rohstoffen als besorgniserregend eingestuft. Seither hat sich die Situation bei weiteren Rohstoffen zugespitzt. Dieser Trend sei für „die gesamte Wirtschaft eine echte Gefahr“, mahnte Brossardt. (Grafik)
Rohstoff-Versorgung: Engpässe in wichtigen Zukunftstechnologien
Viele wichtige Rohstoffe würden nur von sehr wenigen Ländern und Unternehmen gefördert und weiterverarbeitet, erklärte der vbw-Chef. Gleichzeitig steige die Rohstoff-Nachfrage gerade in zentralen Zukunftstechnologien jedoch rapide an. So seien etwa die für die Batterie-Produktion wichtigen Rohstoffe Lithium oder Kobalt nur schwer zu beziehen, mit Blick auf die Verkehrswende und die wachsende Bedeutung von E-Mobilität jedoch zentral. Auch andere etwa für die IT-Industrie wichtige Rohstoffe wie Zinn, Gallium oder Tantal seien immer schwerer verfügbar. Dazu trübe sich die Lage auch bei wichtigen Metallen wie Aluminium und Kuper weiter ein.
Welche Folgen Lieferengpässe hätten, habe sich etwa während der Corona-Pandemie gezeigt, erinnerte Brossardt. Weil der Nachschub bei Rohstoffen und zentralen Bauteilen wie Halbleitern stockte und weltweit Lieferketten zusammenbrachen, standen auch in Deutschland ganze Fabriken still. So mussten etwa BMW, Volkswagen oder Mercedes-Benz 2021 die Produktion herunterfahren, teils für mehrere Wochen.
Neben den jeweiligen Rohstoff-Vorkommen, den Kosten für den Abbau und der Preis-Entwicklung an den Rohstoff-Märkten bewertet das IW für die insgesamt 45 untersuchten Rohstoffe auch, in wie vielen Ländern wichtige Metalle oder Mineralien überhaupt abgebaut werden und wie stark die Konzentration bei den Unternehmen ist, die die Rohstoffe fördern. Außerdem berücksichtigen die Experten von IW Consult auch andere Faktoren wie die Ersetzbarkeit von Rohstoffen, die Bedeutung für wichtige Zukunftstechnologien und die jeweilige Industriepolitik in den Förderländern.
Rohstoff-Versorgung: Risiko China
Als großer Risikofaktor gilt dabei vor allem China. Das Land ist bei zahlreichen Metallen der wichtigste Förderer und Produzent weltweit. Bei einigen wichtigen Spezialmetallen wie Germanium und Gallium verfüge die Volksrepublik sogar über „eine nahezu dominante Position“, heißt es in der IW-Studie. Sollte sich der Konflikt zwischen China und Taiwan verschärfen und die Führung in Peking bei möglichen Gegenmaßnahmen des Westens einen Lieferstopp bei bestimmten Metallen verhängen, drohten „erhebliche Produktionsstörungen“ und „Versorgungsmängel“ weltweit, warnen die Experten.
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Ähnlich besorgt sind auch andere Ökonomen. Wegen der hohen Konzentration „beispielsweise bei Seltenen Erden aus China“ drohe die Gefahr, dass wirtschaftliche Abhängigkeiten als „geopolitische Druckmittel“ eingesetzt würden, heißt es etwa im Jahresgutachten 2022 des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Auch die EU will sich krisenfester machen. Erst am Dienstag verabschiedete das EU-Parlament ein Geset zur Sicherung kritischer Rohstoffe. Künftig sollen einzelne Drittländer nicht mehr als 65 Prozent des EU-weiten Bedarfs liefern.
Rohstoff-Versorgung: Duell zwischen China und USA
Wie berechtigt die wachsenden Bedenken sind, zeigte sich erst vor wenigen Monaten. Im Sommer verhängte Peking einen Ausfuhrstopp für Gallium und Germanium. Im Oktober kam auch Graphit auf die Schwarze Liste. Gallium und Germanium sind wichtig für die Produktion von Halbleitern. Graphit kommt in E-Autobatterien zum Einsatz. Hauptabnehmer sind die USA, Japan und Südkorea.

Branchenexperten sehen in den Beschränkungen eine Retourkutsche auf entsprechende Ausfuhr-Beschränkungen in den USA. Washington hatte im Sommer den Export von Hightech-Halbleitern nach China eingeschränkt. Kurz darauf hatten auch die Niederlande Ausfuhrkontrollen für Anlagen von ASML erlassen. Das Unternehmen ist weltweit führend bei Maschinen zur Chipproduktion.
Angesichts der wachsenden Risiken forderte Brossardt die EU zu mehr Selbstbewusstsein im Umgang mit der Volksrepublik auf. Die EU sei ein „bedeutsamer Wirtschaftsraum und für China ein wichtiger Partner“, sagte Brossardt. Zudem müsse Europa die Beziehungen zu anderen Rohstofflieferanten ausbauen. Dies gelte insbesondere für Südamerika. „Rohstoffpolitik muss künftig größte Priorität haben“, forderte der Hauptgeschäftsführer.
Rohstoff-Versorgung: vbw-Chef fordert erleichterte Genehmigungsverfahren
Zugleich sieht der vbw-Chef die Bundesregierung in der Pflicht. So müsse das Recycling weiter ausgebaut werden. Schon jetzt würden EU-weit 55 Prozent des Kupfers über die Aufbereitung und Wiederverwertung von Schrott gewonnen. Für viele weitere kritische Rohstoffe müssten passende Verfahren aber erst noch etabliert werden. Zudem seien bessere Genehmigungsverfahren überfällig. So schlummert eines weltgrößten Lithium-Vorkommen unter dem Oberrheingraben zwischen Basel und Karlsruhe. Um dieses Vorkommen zu erschließen, seien einfachere Genehmigungsverfahren „wesentlich“, forderte Brossardt.