Der DFB spürt, dass der neue Nagelsmann-Vertrag keine kluge Idee war

Es passiert nicht häufig, dass DFB-Geschäftsführer Andreas Rettig Kritisches zur deutschen Nationalmannschaft äußert. Doch diese Warnung sollte bei Bundestrainer Julian Nagelsmann unmissverständlich angekommen sein: "Wir müssen den Kredit, den wir gerade etwas verspielen, wieder zurückgewinnen. Wir dürfen uns keinen Ausrutscher mehr erlauben!"

Bei nächster Gelegenheit versprach Nagelsmann in aller Öffentlichkeit: "Zwei Siege - das ist unser klares Ziel, um die WM-Qualifikation weiter auf direktem Weg zu erreichen." Überzeugende Punktgewinne am Freitag gegen Luxemburg (in Sinsheim) und am Montag gegen Nordirland (in Belfast) werden auch nötig sein, um Zweifel an Nagelsmanns Arbeitsweise zu zerstreuen.

Bittere Nagelsmann-Bilanz 

Zugegeben, aktuell fallen wichtige Nationalspieler mit Verletzungen aus: Abwehrchef Antonio Rüdiger, Dribbelkönig Jamal Musiala und Neuer-Nachfolger Marc-André ter Stegen zum Beispiel. Das alleine erklärt aber nicht, warum Deutschland seit Nagelsmanns überstürzter Vertragsverlängerung im Januar drei der sechs Länderspiele verloren hat.

Ihm persönlich kann wenig passieren. Sein DFB-Vertrag läuft bis 2028 und garantiert ihm zwei Turnierteilnahmen: die Nordamerika-WM in USA, Mexiko und Kanada sowie die Insel-EM in Großbritannien und Irland. Voraussetzung ist: dass er jeweils die Qualifikation schafft. Man würde sich von Nagelsmann wünschen, dass er für dieses Ziel Tag und Nacht arbeitet.

Nagelsmann fiel durch Unsichtbarkeit auf

Merkwürdigerweise tauchte der Bundestrainer nach den zwei Pleiten in der Nations League im Juni (1:2 gegen Portugal und 0:2 gegen Frankreich) für die Öffentlichkeit ab. Man sah ihn in den Sommermonaten beim EM-Finale der U21-Junioren, nicht aber bei den Vorrundenspielen vorher und nicht bei der Klub-Weltmeisterschaft in den USA. Das ist verwunderlich.

Denn: Wer 2028 Bundestrainer ist, wird ja mit den Jungs arbeiten, die jetzt in der Junioren-Auswahl aufliefen. Bei der Klub-WM in den USA hätte Nagelsmann aus eigener Anschauung erleben können, wie die Hitze die Stadien lähmt, wie viel stumpfer die Trainingsplätze sind und wie sich seine Nationalspieler bei Bayern München und Borussia Dortmund schlagen.

Stattdessen erlebten wir den Bundestrainer erst im September wieder, als die WM-Qualifikation mit einem 0:2 in der Slowakei begann, der dritten Pleite in Folge, und die Wiedergutmachung gegen Nordirland (3:1) eher bescheiden ausfiel. Als die Fans die Leistung der Nationalmannschaft mit Pfiffen quittierten, mussten sie sich von Nagelsmann als "Hyänen" beleidigen lassen.

DFB: Nagelsmanns langfristiger Vertrag war keine gute Idee

So reagiert ein leitender Angestellter nur, wenn er sich sehr sicher fühlt. Das darf Nagelsmann auch: Mit dem neuen Arbeitsvertrag ist das Leistungsprinzip ja ausgesetzt, weil die Laufzeit zuallererst unabhängig vom WM-Abschneiden gilt. Der DFB wollte jede Trainerdiskussion verhindern und mit der Planungssicherheit Ruhe in der Verbandsarbeit bewirken.

Nur: Das Gegenteil ist der Fall. "Ausfälle“, "Formschwächen", "Systemdebatte" und "skeptische Fans" listet der Sport-Informationsdienst (SID) als Baustellen auf. Hier schlägt die Stunde eines Bundestrainers: Nur er kann die Dinge überzeugend erklären und die Leute - auch in den eigenen Reihen - beruhigen. Der Hyänen-Vorwurf ans eigene Publikum ist da wenig hilfreich.

Das spürt der DFB und weiß doch: Es gibt keine Alternative zu Nagelsmann. Er ist jetzt fast zwei Jahre Bundestrainer und hat die EM-Enttäuschung beim Viertelfinal-Aus sehr gut moderiert. Vielleicht hätte man mit der millionenschweren Vertragsverlängerung bis nach der WM 2026 warten sollen. Aber dafür ist es jetzt zu spät. Nagelsmann muss es richten.

"Manchmal ist es gut", sinnierte der DFB-Sportdirektor Rudi Völler, "einen Schuss vor den Bug zu bekommen, dass wir die Spiele hoch konzentriert angehen und wirklich alles reinschmeißen."

Der WM-Talk von FOCUS online: Mission Meadowlands