Traktoren blockieren Medienzentrum in Kempten

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Ein Foto vom Protest: Hunderte kamen, um ihren Unmut auszudrücken. © privat

Kempten/Allgäu – Mehrere hundert Demonstranten versperrten in der Nacht von Sonntag auf Montag eine Stunde lang die Zu- und Ausfahrt eines Medienzentrums in der Heisinger Straße in Kempten, um ihre Unzufriedenheit mit der Berichterstattung in den Medien allgemein auszudrücken. Um zu deeskalieren, lud die Polizei am Montag zu einem Treffen, bei dem auch die Staatsanwaltschaft und Versammlungsbehörden am Tisch saßen. Wie die Beamten in einer Mitteilung schreiben, sei die Blockade nicht akzeptabel und mit der Demokratie nicht zu vereinbaren.

Bei der Aktion zählte die Polizei in der Spitze rund 400 Versammlungsteilnehmer mit circa 175 Traktoren und 30 Pkw. Die Aktivisten selbst sprechen von allein 304 Traktoren. Aus der östlichen Richtung habe der Anreise-Konvoi schon etwa 170 Fahrzeuge umfasst, davon die Hälfte Autos. Das berichtet Kai Holzheu aus dem Unterallgäuer Köngetried, der einen Bagger-, Speditions- und landwirtschaftlichen Lohnbetrieb hat, und ebenfalls mit dabei war. Die Protestierenden betonen, nicht nur für Landwirte, sondern für den ganzen Mittelstand Initiative zu ergreifen. Man habe sich zur Blockade-Aktion veranlasst gesehen, weil man in der Berichterstattung jeglichen Mediums Tiefe vermisse.

Mittelstand nimmt an Blockade in Kermpten teil

„Immer noch ist in den Medien allein die Rede vom Unmut gegen die Abschaffung der Agrardieselvergütung“, sagt Biogas-Landwirt und Transport­unternehmer Thomas Wölfle aus Hopferbach, ebenfalls einer der Blockierer. Dabei gehe es um viel mehr, so der 27-Jährige. „Wir Landwirte und Unternehmer sind halt flexibel und können innerhalb von wenigen Stunden etwas auf die Beine stellen“, sagt er. Andere könnten beim Arbeitgeber nicht müde erscheinen und kurzfristig fehlen.

Laut Holzheu seien Rentner, Spediteure, Zimmerer, Bäcker, Dienstleister aus dem landwirtschaftlichen Bereich, ein Gartenbaubetrieb, Maurer und auch Baugeschäfte bei der Sperrung dabei gewesen.

Die Aktivisten sorgen sich um die Wirtschaft

Dem Transportunternehmer ist die Unzufriedenheit anzumerken. Er beklagt eine Wett­bewerbsverzerrung, die mehrere Gründe habe. Einerseits sei da die Lkw-Maut. Ein Unternehmen, das einen Großteil einer Frachtstrecke im Ausland zurücklege und nur wenige Kilometer innerhalb Deutschlands, könne die Maut auf die ganze Länge umlegen. Bei einer Strecke nur innerhalb Deutschlands könne man das nicht tun. Trotz der aktuellen Mautsteigerung von 83 Prozent würde ihm für eine Tour nach Bremerhaven sogar ein geringerer Preis als früher geboten: statt 1.500 Euro vor vier Jahren seien es heute nur noch 1.050 Euro.

Die hiesige CO2-Steuer und der Mindestlohn hätten einen ähnlichen Effekt. Spediteure aus anderen Ländern wie Polen oder Tschechien könnten einen billigeren Transportpreis verlangen. Dazu kämen Ungerechtigkeiten bei der Kontrolle des Kabotage-Gesetzes, welches die Anzahl der Touren in einem anderen Land beschränke. Auch über eine „wahnsinnige Bürokratie“ klagt der Fuhrunternehmer. „Ich bin so geladen!“

Die Aktivisten sorgen sich um die Wirtschaft im Allgemeinen. Der Absatz von Bau- und Landmaschinen laufe nicht mehr so gut. „Alle haben ein Problem, wenn es in der Landwirtschaft oder dem Bau nicht mehr läuft“, denn dann hätten die Zulieferer auch nichts mehr zu tun, sagt Holzheu.

Hoher Bürokratieaufwand

Trotzdem sind die Klagen aus der Landwirtschaft noch nicht vom Tisch. Wölfle nennt die Stilllegungspflicht von vier Prozent der Ackerflächen für den Artenschutz, die Regelung, eine Anordnung des Tierarztes einholen zu müssen, wenn ein Landwirt seinen Tieren Globuli verabreichen möchte und die Düngeverordnung (wir berichteten). Wölfle selbst sei als Biogasbetreiber ab nächstem Jahr davon betroffen, 52 Prozent weniger einspeisen zu dürfen, wenn seine Einspeise­vergütung ausläuft. „Warum kann man das, was man schon hat, nicht fördern?“, fragt er.

Täglich steige der Aufwand, den Bürokratie in Wölfles Alltag verschlingt. Als Beispiel nennt er die Zertifikate, die er für die Rohstoffe erbringen müsse, die in seiner Biogasanlage landen. Bei seiner NaWaRo-Biogas­anlage (Nachwachsende Rohstoffe) muss er beweisen, dass er die vorgeschriebenen nachhaltigen Rohstoffe nutzt und keine Speisereste.

Und die Pressefreiheit?

Nehmen die Demonstranten in Kauf, mit ihren Aktionen die Pressefreiheit zu attackieren? „Wir wussten einfach keinen anderen Ausweg mehr als eine Blockade“, sagt Wölfle, der nach wie vor zu der Aktion stehe. Weil er seine Sirene heulen hat lassen, erwartet ihn nun eine Anzeige.

Die Versammlung endete laut Polizeiangaben einvernehmlich. Der Anfangsverdacht der Nötigung hat dazu geführt, dass Strafverfahren eingeleitet wurden. Die Polizei appelliert in ihrer Mitteilung, „sich bei sämt­lichen Demonstrationsformen an Recht und Gesetz zu halten“. Mit der nicht ordnungsgemäß angezeigten Aktion hätten die Teilnehmer aus Sicht aller ört­lichen Sicherheitsbehörden eine Grenze überschritten. Die Beamten betonen, dass die Pressefreiheit ein besonders schützenswertes Rechtsgut ist.

Die Allgäuer Zeitung betont ihre Gesprächsbereitschaft, auch mit ihren Kritikern. „Aber um mit uns ins Gespräch zu kommen, muss man nicht mit hundert Traktoren nachts vor unserem Firmentor vorfahren“, heißt es in einer Stellungnahme auf Anfrage des Kreisboten.

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