15 Jahre krank, volles Lehrer-Gehalt: Fall aus NRW macht Arbeitsrechtler fassungslos

In Nordrhein-Westfalen lässt sich eine verbeamtete Studienrätin krankschreiben. Soweit nichts Weltbewegendes – allerdings ist die Staatsdienerin bereits seit 15 Jahren dauerkrank. Nach all den Jahren kam ihrem Dienstherren schließlich vor Kurzem die Idee, sie zu einer Untersuchung beim Amtsarzt aufzufordern. Die Frau lehnte ab und klagte, scheiterte aber vor Gericht.

Der Fall, der an Kuriosität nicht zu überbieten scheint, wirft allerlei Fragen auf. Michael Fuhrott, Fachanwalt für Arbeitsrecht, geht darauf im Gespräch mit FOCUS online ein.

FOCUS online: Wie ist das möglich, dass man sich so lange krankschreiben lassen kann? 

Michael Fuhlrott: Diese Frage stellt sich sofort. Natürlich mag es Erkrankungen geben, die eine lange Zeit bedürfen, um auszuheilen – dies mag bei psychischen Erkrankungen oder auch Krebserkrankungen der Fall sein. Selbst dann sind 15 Jahre aber eine unglaublich lange Zeit. Da fällt es mir schwer, noch die Prognose einer Genesung in absehbarer Zeit zu sehen. 

Bei einer so schwerwiegenden Erkrankung stellt sich also zurecht die Frage, ob mit einer Genesung noch zu rechnen ist. Ist dem nicht so, wäre es vielmehr ein Fall einer dauerhaften Dienstunfähigkeit.

Ab wann greift eine Arbeits- beziehungsweise Dienstunfähigkeit?

Fuhlrott: Arbeitsunfähigkeit bei Arbeitnehmern liegt vor, wenn der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, seine Tätigkeit auszuüben.

Bei Beamten spricht man von Dienstunfähigkeit. Ist diese vorübergehend, muss der Dienstherr warten. Eine dauerhafte Dienstunfähigkeit liegt hingegen vor, wenn der Beamte auf nicht absehbare Zeit, in der Regel innerhalb der nächsten sechs Monate, seine amtsgemäßen Pflichten krankheitsbedingt nicht mehr erfüllen kann und eine Besserung nicht zu erwarten ist. Der Zeitraum von sechs Monaten ist eine Vermutungsregel, die für Beamte des Bundes teils im Gesetz anklingt.

Welche Unterschiede bei der Krankschreibung gibt es zwischen Beamten und Arbeitnehmern? 

Fuhlrott: Für Arbeitnehmer muss der Arbeitgeber – im Grundsatz – sechs Wochen Lohnfortzahlung in voller Höhe leisten, danach tritt die Krankenkasse für maximal 78 weitere Wochen ein und zahlt ein reduziertes Krankengeld. Danach erhält der Arbeitnehmer keine Zahlungen mehr von Arbeitgeber oder Krankenkasse, gegebenenfalls fällt er in den Bezug für Sozialhilfe.

Bei Beamten ist dies anders: Der Dienstherr zahlt für den gesamten Krankheitszeitraum die vollen Bezüge. Eine Begrenzung gibt es nicht.

Bei welcher Fehldauer kann denn der Dienstherr eine ärztliche Untersuchung anordnen? 

Fuhlrott: Für Beamte gibt es gesetzliche Vorschriften – so heißt es etwa für Bundesbeamte im Bundesbeamtengesetz: "Bestehen Zweifel über die Dienstfähigkeit, so ist die Beamtin oder der Beamte verpflichtet, sich nach Weisung der Behörde ärztlich untersuchen und, falls es erforderlich erscheint, beobachten zu lassen. Die ärztliche Untersuchung erfolgt durch eine Amtsärztin oder einen Amtsarzt oder durch eine Ärztin oder einen Arzt, die von der Behörde bestimmt wird."

Eine feste Dauer sieht das Gesetz nicht vor, die Rechtsprechung stellt sehr stark auf den Einzelfall ab. Kriterien sind:

  • Vorliegen konkreter Tatsachen, die ernsthafte Zweifel an der Dienstfähigkeit wecken.
  • Nicht erlaubt sind bloße Vermutungen oder "Routineüberprüfungen".
  • Es besteht außerdem die Pflicht zur Teilnahme.

Liegen diese Voraussetzungen vor, muss der Beamte der Weisung zur Untersuchung folgen. In Urteilen finden sich Zeiträume bis hin zu sechs Monaten.

Klar dürfte damit sein: Bei einer mehrjährigen Erkrankung liegen unbestreitbar derartige Indizien vor, sodass eine entsprechende Untersuchung hätte zwingend angeordnet werden müssen.

Gibt es auch Krankheiten, bei denen der Arbeitgeber oder der Dienstherr lange Ausfallzeiten tolerieren muss?

Fuhlrott: Im Grundsatz ist die Frage der dauerhaften Dienstunfähigkeit unabhängig von der Frage der "Tolerierung". Bei einer personenbedingten Kündigung wegen Krankheit geht es – ebenso wie bei der Versetzung in den Ruhestand wegen Erkrankung – nicht um eine "Bestrafung" des Arbeitnehmers beziehungsweise Beamten, sondern allein um die Frage, ob dieser noch eingesetzt werden kann. 

Das Arbeitsverhältnis ist ein Austauschverhältnis: Lohn gegen Arbeit. Wird dies dauerhaft gestört, kann ein Arbeitgeber kündigen. Dafür ist es zunächst gleich, was die Ursachen der Erkrankung selbst sind. Selbst wenn die Erkrankung auf einem Unfall im Betrieb beruht, kann eine personenbedingte Kündigung in der Folge rechtmäßig sein. 

Die Frage, was die Krankheitsursachen sind, wären zwar in der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Aber nochmals: Selbst der im Betrieb erlittene Arbeitsunfall schützt nicht vor einer Kündigung. Oder: Selbst der im Dienst verunglückte Polizeibeamte, der weder im Innen-, noch im Außendienst eingesetzt werden kann, kann in den Ruhestand versetzt werden.

Wieso hat die verbeamtete Studienrätin 15 Jahre lang das volle Gehalt bekommen – wie konnte es sein, dass niemand vorher intervenierte?

Fuhlrott: Das ist in der Tat eine sehr berechtigte Frage und kann aus meiner Sicht nicht anders als ein grober Fehler des Dienstherrn gesehen werden. Der Dienstherr muss Prozesse entwickeln, vorhalten und überwachen, die derartiges verhindern. Bei einer länger andauernden Krankheit muss 

  • Kontakt mit der erkrankten Beamtin aufgenommen sowie
  • ein Personalgespräch geführt werden
  • und gegebenenfalls zeitnah die Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung erfolgen. 

Teils wird schon nach drei Monaten von Gerichten bejaht, dass ausreichend Indizien vorliegen, die die Anordnung einer ärztlichen Untersuchung rechtfertigen. Insbesondere aufgrund des Umstands, dass erkrankte Beamte ihre vollen Dienstbezüge weiter gewährt erhalten, ist es nicht erklärbar, warum hier über eine so lange Zeit niemand tätig geworden ist.

Für mich ist das nicht nachvollziehbar, zumal die Allgemeinheit für die entstandenen Kosten aufkommt. Bei einer derartig langen Erkrankung liegt es auf der Hand, dass die Beamtin dauerhaft dienstunfähig ist.