„Wie in einem riesigen Freilichtmuseum“: Übertourismus erreicht Südkorea
Enge Gassen, alte Häuser, perfekte Fotospots: Jedes Jahr besuchen Millionen Touristen das Bukchon Hanok Village in Seoul. Die Einwohner fühlen sich wie in einem Freilichtmuseum.
Lee Jun-hee steht an einer Straßenkreuzung unweit des alten Königspalasts im Herzen von Seoul und fängt Touristen ab. Hinter der jungen Frau mit dem roten Poloshirt und dem roten Hut weist ein großer Aufsteller darauf hin, dass hier ein Wohngebiet beginnt – das Bukchon Hanok Village. Tatsächlich wohnen in dem pittoresken Dorf, das inmitten der südkoreanischen Hauptstadt liegt, noch immer mehrere Tausend Menschen. In den vergangenen Jahren ist Bukchon aber auch zu einer der größten Touristenattraktionen von Seoul geworden.
„Das führt zu Problemen“, sagt Lee. Und dann erklärt sie, dass man Bukchon als Tourist nur zwischen zehn Uhr morgens und fünf Uhr abends betreten darf und am Sonntag gar nicht. Sonst droht eine hohe Geldstrafe. „Damit die Anwohner ihre Ruhe haben“, sagt Lee, die für die Stadtregierung von Seoul arbeitet. Nach Italien, Spanien oder Japan hat das Phänomen des Übertourismus Südkorea erreicht.

Im Hanbok durch Seoul: Südkoreas Hauptstadt zieht Besucher aus aller Welt an
Wer durch Bukchon läuft, entdeckt immer wieder kleine Schilder, die vor Hauseingängen oder an Wänden auf Koreanisch, Japanisch und Englisch darum bitten, möglichst leise zu sein. Was man hingegen kaum sieht, sind Einheimische. Die sind offenbar alle in der Arbeit, in einem der riesigen Wolkenkratzer im Geschäftsviertel Sadaemun-An vielleicht, oder haben sich in ihre „Hanok“ genannten traditionellen Häuser geflüchtet. Dafür spazieren an diesem Dienstagvormittag im Juli Heerscharen an Touristen durch die engen Gassen, trotz hartnäckigem Dauerregen, der Seoul in ein riesiges Dampfbad verwandelt. Viele von ihnen sind in Hanbok gekleidet, die traditionelle koreanische Tracht.
Kim Sun-yong arbeitet in einem Laden, der sich auf Hanbok spezialisiert hat. Verkauft wird hier nur wenig, die meisten Touristen wollen die weit geschnittenen Kleider lediglich für ein paar Stunden mieten. „Zum Fotomachen, oder weil man in Hanbok viele Sehenswürdigkeiten in Seoul kostenlos besuchen kann“, sagt sie. Ihre Kundinnen und Kunden würden fast alle aus dem Ausland kommen, aus Europa, den USA, den Emiraten. Vor ein paar Jahren sei das noch anders gewesen, da seien vor allem Koreaner zu ihr in den Laden gekommen.
Die zahlungskräftigen Gäste aus dem Ausland seien gut fürs Geschäft, sagt Frau Kim. Sie wolle sich deswegen nicht beklagen. Aber dennoch, sagt sie dann, sie verstehe sehr wohl, warum es vielen Anwohnern im Viertel zu viel werde mit den Besuchermassen. Der Lärm, der Müll, die verstopften Straßen. Viele Bewohner würden sich „wie Ausstellungsobjekte in einem riesigen Freilichtmuseum“ fühlen.

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Südkorea will 20 Millionen Touristen anziehen
Elf Millionen ausländische Touristen hat das südkoreanische Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus im vergangenen Jahr gezählt, mehr als die Hälfte von ihnen hätten auch Bukchon besucht. 2019, im Jahr vor der Pandemie, waren es noch 17,5 Millionen Besucher in ganz Südkorea. Für dieses Jahr hat das Ministerium die Zielmarke von 20 Millionen Besuchern aus dem Ausland ausgegeben. Gut möglich, dass das Ziel erreicht wird. Denn Südkorea wird immer beliebter. Das liegt an Kulturexporten wie der K-Pop-Band BTS, an südkoreanischen Fernsehserien wie „Squid Game“ oder dem Oscar-Erfolg „Parasite“. Auf sozialen Netzwerke wie Instagram oder in der App TikTok teilen Influencer die neuesten Trends aus Südkorea, geben Tipps, wo man in Seoul die beste Kosmetik kaufen kann. Hashtag K-Beauty.
In Bukchon können Touristen lernen, wie man Kimchi herstellt, fermentiertes Gemüse, das in Korea zu jedem Essen gereicht wird. Auch die koreanische Knotentechnik, genannt „Maedeup“, wird hier den Touristen gezeigt. Rund 900 der traditionellen „Hanok“ haben in Bukchon die Jahrhunderte überdauert, viele stammen aus der Joseon-Dynastie, die von 1392 bis 1910 über Korea herrschte. Fast alle sind liebevoll restauriert. Die perfekte Kulisse, um sich für die Handykamera selbst zu inszenieren. Weil Bukchon aber droht, ein Opfer seines eigenen Erfolgs zu werden, will Seoul zu einer radikalen Maßnahme greifen: Noch in diesem Jahr will die Stadtregierung Zugangsbeschränkungen für das beliebte Viertel einführen. Es dürfte dann ein wenig leerer werden im „Freilichtmuseum“ von Bukchon.