Altersteilzeit-Boom trotz Renten-Debatte: Immer mehr Deutsche arbeiten nicht bis zur Altersgrenze

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Arbeitnehmer in Deutschland gehen früher in Rente. Mittel der Wahl ist dabei die Altersteilzeit. Der Trend geht völlig entgegen den Forderungen von Politikern und Ökonomen.

Hamm – Der demografische Wandel und die Herausforderungen der Rentenversicherung sind eng miteinander verknüpft. Die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer-Generation treten nach und nach in den Ruhestand ein und verschärfen damit bestehende Probleme. Die politische Reaktion darauf sind Appelle, dass die Deutschen mehr arbeiten sollten. Im Mittelpunkt steht dabei die gesetzliche Regelaltersgrenze. Arbeitnehmer sollen später in den Ruhestand gehen, während Rentner ermutigt werden, weiterhin berufstätig zu bleiben.

Früher in Rente: Immer mehr Arbeitnehmer zieht es in den früheren Ruhestand

In der Praxis zeigt sich jedoch, dass viele Menschen bereits vor Erreichen des gesetzlichen Rentenalters aus dem Berufsleben ausscheiden. So erlebt etwa die umgangssprachliche „Rente mit 63“ einen Boom. Dazu belegen aktuelle Daten der Deutschen Rentenversicherung (DRV), dass die Anzahl der Personen in Altersteilzeit wächst. Zwischen 2016 und 2023 haben 50.500 Menschen zusätzlich dieses Modell gewählt, was die Gesamtzahl auf 284.000 erhöht. Laut dem Portal Ihre-Vorsorge.de entspricht dies einem Anstieg von 21,6 Prozent, also mehr als einem Fünftel.

Ein älterer Mann erledigt Schweißerarbeiten.
Deutsche sollen länger arbeiten, so der Tenor zahlreicher Politiker und Ökonomen in der Renten-Debatte. Doch immer mehr nutzen Altersteilzeit-Modelle. © Jens Wolf/dpa

Bis 2016 war die Zahl der Beschäftigten in Altersteilzeit rückläufig, nachdem sie 2009 mit 670.000 ihren Höchststand erreicht hatte. Das Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen führt diesen Rückgang auf weniger Neuzugänge im Vergleich zu Abgängen zurück. Gründe hierfür sind das Ende der Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit und die Abschaffung der vorgezogenen Altersgrenze bei Arbeitslosigkeit und nach Altersteilzeit.

Der erneute Anstieg der Altersteilzeit lässt sich darauf zurückführen, „dass nach und nach die geburtenstarken Jahrgänge nachkommen, wodurch sich eine höhere Zahl potenzieller“ Nutzerinnen und Nutzer ergibt, wie eine IAQ-Veröffentlichung erklärt.

Trend zu Arbeitsteilzeit widerspricht späterer Rente

Dieser Trend steht im Widerspruch zu den Forderungen vieler Experten und Politiker, die eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit für notwendig erachten. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) betonte: „Der demographische Wandel und die weiter steigende Lebenserwartung machen es unumgänglich“, dass die Lebensarbeitszeit verlängert wird. Sie warnte, es könne „auf Dauer nicht gut gehen, dass wir nur zwei Drittel unseres Erwachsenenlebens arbeiten und ein Drittel in Rente verbringen“. Letztendlich würde Reiches Vorschlag auf eine Rente mit 70 hinauslaufen.

SPD-Chef und Finanzminister Lars Klingbeil widersprach Reiches Forderung nach einem späteren Rentenbeginn. Er bezeichnete diese als „ein Schlag ins Gesicht für viele“. Man solle sich an die Menschen wenden „zu den Menschen ins Land, die als Dachdecker auf dem Dach stehen, die als Pflegekräfte arbeiten, die als Erzieherin arbeiten und sich wirklich kaputtmachen und die schon Schwierigkeiten haben, bis 67 zu kommen“, sagte Klingbeil bei RTL und NTV.

Bundesregierung will Arbeitnehmer halten – und Rentner zum Arbeiten bringen

Die schwarzrote Bundesregierung setzt bei der Frage des Rentenbeginns auf Freiwilligkeit und plant keine Erhöhung der Regelaltersgrenze über 67 Jahre hinaus. Die „Altersrente für besonders langjährig Versicherte“ nach 45 Beitragsjahren, bekannt als „Rente mit 63“, bleibt weiterhin möglich, wobei das entsprechende Alter schrittweise auf 65 Jahre angehoben wird.

Der Koalitionsvertrag sieht „mehr Flexibilität beim Übergang vom Beruf in die Rente vor“. Die „Aktivrente“ soll Arbeit neben der Rente finanziell „attraktiv“ machen, indem bis zu 2000 Euro monatlich steuerfrei verdient werden können, wenn die Regelaltersgrenze überschritten ist. Für Altersteilzeit-Modelle sind im Koalitionsvertrag keine Änderungen vorgesehen.

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