Fachkräfte halten - Jeder Dritte denkt an Kündigung - und oft liegt es nicht am Gehalt

Was sind Faktoren für Bindung an Arbeitgeber?

Es gibt viele Aspekte, die Engagement und Bindung in Unternehmen fördern. Und so unterschiedlich wir Menschen sind, so unterschiedlich sind auch die Prioritäten. Zudem muss man hinsichtlich der Arbeitszufriedenheit sagen, dass es hier einen Anteil gibt, der „angeboren“ – also genetisch bedingt ist. In unserem Buch zur Personalführung (Unger, Sann und Martin, 2022) haben wir viele Studien dazu ausgewertet. Bei allen Unterschieden kann man zumindest folgende Punkte als wichtig für Zufriedenheit, Bindung und Engagement nennen:

Ein sicherer Arbeitsplatz, gute Bezahlung (hier gilt es v.a., eine faire Entlohnung zu bekommen - d.h. im Vergleich zu Kollegen im Unternehmen, die vergleichbare Tätigkeiten ausführen wie auch im Vergleich zu Personen außerhalb des Unternehmens mit ähnlichen Funktionen) sowie eine qualitativ hochwertige Beziehung zur Führungskraft (hier konnten auch wir deutliche Unterschiede zwischen Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung feststellen).

Hinzu kommt ein gutes Team (v.a. das Gefühl der sog. psychologischen Sicherheit scheint hier außerordentlich wichtig zu sein), ausreichend Entwicklungsmöglichkeiten sowie passende Arbeitsbedingungen (u.a. Sinn, Arbeitsmittel, Work-Life-Balance wie auch flexible Arbeitsgestaltung und ein angemessener „Job-Fit“). Durch den „Job-Fit“, also die Ausübung einer Tätigkeit, die zu den jeweiligen Kompetenzen gut passt, sind laut einer StepStone-Studie 64 % der Arbeitnehmer, deren Fähigkeiten den Anforderungen ihres Arbeitsplatzes entsprechen, von ihrer Arbeit begeistert (gegenüber 8 %, bei denen die Übereinstimmung nicht so gut ist).

Entscheidend ist bei alledem, dass im Unternehmen eine dialogische Kommunikationskultur umgesetzt wird, also man tatsächlich an der Meinung des Gegenübers und an einem echten Austausch interessiert ist. Die nötige Offenheit der Beschäftigten ist (neben vergangenen Erfahrungen im Unternehmen) vor allem auch von dem Gefühl der bereits erwähnten psychologischen Sicherheit abhängig.

Was ist das Besondere an der psychologischen Sicherheit?

Psychologische Sicherheit spielt eine wesentliche Rolle für die Zufriedenheit und Bindung von Beschäftigten an die Organisation. Zudem führt sie zu mehr Innovationen, einer höheren Produktivität, einem niedrigeren Krankenstand, weniger Arbeitsunfällen, höherer Kundenloyalität und insgesamt besseren Kommunikation (Informationsweitergabe, Konfliktfähigkeit, Dialoge). Sie wird als das Gefühl beschrieben, sich selbst zeigen und einsetzen zu können (z.B. indem man Fragen stellt oder Feedback einholt, einen Fehler meldet und eine neue Idee vorschlägt), ohne negative Folgen für das Selbstbild, den Status oder die Karriere befürchten zu müssen.

Das bedeutet weder eine „komfortable/gemütliche“ Umgebung, in der Menschen unbedingt engste Freunde sind oder eine Art „Wellness-Führung“ herrscht, noch meint es eine Abwesenheit von Druck oder Problemen. Vielmehr beschreibt psychologische Sicherheit ein Klima, das es ermöglicht, sich angstfrei und offen zu äußern, ohne sofort einen Sturm der Entrüstung oder gar Repressalien befürchten zu müssen.

Der Schwerpunkt liegt stattdessen auf einer produktiven Diskussion, die eine frühzeitige Prävention von Problemen und das Erreichen gemeinsamer Ziele ermöglicht, weil die Menschen sich weniger auf den Selbstschutz konzentrieren, da Fehler (und diese offen zuzugeben) erlaubt bzw. erwünscht sind und man sich gegenseitig bedingungslos (wert)schätzt. Populär wurde dies Konzept vor allem durch Amy Edmondson („Die angstfreie Organisation“), die in ihrem Buch folgende Punkte skizziert, die Unternehmen auch so in einer Umfrage erheben können:

  • Wenn ich im Team einen Fehler mache, wird mir das nicht vorgeworfen.
  • Die Team-Mitglieder sind fähig, Probleme und schwierige Konflikte offen anzusprechen.
  • Menschen in diesem Team lehnen niemals andere ab, weil sie in irgendeiner Weise anders sind.
  • In diesem Team ist es sicher, ein Risiko einzugehen (gemeint sind soziale Risiken, wie z.B. Unsicherheiten zugeben, offen Ideen / Kritik äußern etc.).
  • Es ist einfach, andere Team-Mitglieder um Hilfe zu bitten.
  • Niemand in diesem Team würde bewusst meine Leistung oder Anstrengungen untergraben.
  • Wenn ich mit diesem Team arbeite, merke ich, dass meine einzigartigen Fähigkeiten und Talente gebraucht und wertgeschätzt werden.

Was kann man tun?

Das Sicherheitsempfinden besteht aus der (vertraglichen) Arbeitsplatzsicherheit und einer psychologischen Sicherheit. Erstere ist wichtig, jedoch nicht immer möglich und von vielen Faktoren abhängig. Zweitere sollte in jeglichem Unternehmen zur Normalität gehören. Der Aspekt der psychologischen Sicherheit kommt häufig im Teamkontext und in der Zusammenarbeit mit dem direkten Vorgesetzten vor. Gehen Unternehmen dieses Thema an, so tun sie schon enorm viel hinsichtlich zwei wesentlichen Zufriedenheitstreibern und Bindungsförderern: Führung und Team.

Unternehmen insgesamt und Führungskräfte insbesondere müssen sich dafür einem Realitätscheck stellen. Das bedeutet, zum Beispiel regelmäßige anonyme Befragungen durchzuführen, diese auszuwerten, auf Teamebene zu besprechen und notwendige Handlungsimpulse abzuleiten. Vor allem die Fragen nach der psychologischen Sicherheit sollten einmal im Jahr gestellt werden. Weitere Möglichkeiten bietet z.B. Gallup (zwölf Fragen zum Arbeitsplatz und -umfeld, den sogenannten Q12®-Fragen), der Fragbogen von Fischer und Lück zur Allgemeine Arbeitszufriedenheit, die Analyse der subjektiven Zufriedenheit und Belastung von Arbeit und Beruf von Weyer und Kollegen oder der Fragebogen zur Messung von Zufriedenheit, Commitment und Engagement (Employee Experience Questionnaire) von Fischer und Kollegen.

Als eine Hauptursache für vorzeitiges Ausscheiden aus dem Beruf oder auch vermehrte Fehlzeiten gelten, neben der Frage der allgemeinen Arbeitgeberbindung, körperliche oder physische Krankheiten. Vor allem die Zunahme der psychischen Belastung sollte angegangen werden. Es gilt, gleichermaßen Gesundheit und die Geschäftsergebnisse zu verbessern oder anders ausgedrückt: Humaner Erfolg ist die Basis für ökonomischen Erfolg! Dazu ist ein gutes Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) von Bedeutung. Aber auch die Befähigung von Führungskräften und Teams bzgl. gesundheitsorientierter Führung und Zusammenarbeit sowie die Förderung der Gesundheitskompetenz jedes einzelnen ist unerlässlich! Individuelle Flexibilität (Selbstbestimmung, so weit wie möglich) und zugleich Sicherheit am Arbeitsplatz sind lt. einer Studie mit über 18.000 Erwerbstätigen gleichsam bedeutend, um arbeitsbedingten Stress zu mindern und die psychische Gesundheit zu fördern.

Das Gesundheitsempfinden wie auch das Gefühl der Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit wird von der Art der Arbeit und den Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz beeinflusst. Autonomie bzw. angemessene Gestaltungsmöglichkeiten (Verantwortungsübertragung und Entfaltungsmöglichkeiten in individuell gewünschtem und betrieblich möglichem Umfang, auch hinsichtlich Arbeitszeit/-aufgabe) sind bedeutend. Aber auch herausfordernde (nicht überfordernde), abwechslungsreiche, sinnstiftende Aufgaben, die mit den vorhandenen Kompetenzen gut bewältigt, (wenn möglich) ganzheitlich bearbeitet werden können und Wirkung erzielen, sind wichtig. Die Bedeutung der individuellen Arbeitskraft wird vor allem auch durch regelmäßige Anerkennung, nützliches Feedback und angemessene Wertschätzung durch die Führung herausgehoben. Ergänzt wird diese Aufzählung noch durch einen Arbeitsplatz, der mit allen notwendigen, funktionierenden Geräten ausgestattet ist.

Möglichkeiten, zu lernen und zu wachsen, bietet die Arbeitswelt aufgrund ihrer Veränderlichkeit mehr als genug. Jedoch müssen alle Beschäftigten hier professionell begleitet und unterstützt werden. Es gilt, vor allem sog. überfachliche Skills zu fördern (z.B. Kommunikation und Zusammenarbeit, Methoden-/Problemlösungskompetenz, digitale Fähigkeiten, analytisch-kritisches Denken, Resilienz-Fähigkeiten). Lernen und berufliche Entwicklung sind als alltäglicher Prozess zu etablieren.

Eine faire Entlohnung gehört zu einer stabilen Arbeitgeber-Arbeitnehmerbeziehung dazu. Hier können offene Gespräche zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden für beide Seiten erhellend sein: Wo sieht der Beschäftigte – ganz konkret – sich unfair behandelt? Wie stellt sich seiner Meinung nach die Situation mit vergleichbaren Tätigkeiten im Unternehmen und außerhalb der Organisation da? Hier hilft jedoch auch Transparenz bzgl. der Frage, was im Unternehmen möglich ist und wo die Grenzen der Organisation sind. Man sollte nichts versprechen, was man nicht einhalten kann und eher erklären, warum es aktuell nicht möglich ist, mehr zu zahlen oder gerade jetzt die Fortbildung zu fördern.

Abgesehen von einer fairen Entlohnung ist die Frage der organisationalen Gerechtigkeit ohnehin von großer Bedeutung. Auch hier können regelmäßige Gespräche mit den Beschäftigten, Workshops oder Umfragen helfen, die vier zentralen Gerechtigkeitsaspekte unter die Lupe zu nehmen: Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit, zwischenmenschliche sowie Informationsgerechtigkeit.

Fazit: Wertschätzung und gute Beziehungen wichtig

Zusammenfassend ist Nico Rose zuzustimmen, dass gute Beziehungen der Zufriedenheitstreiber Nummer 1 sind – im Leben allgemein sowie in der Arbeitswelt. Wertschätzung und gute Beziehungen zu Vorgesetzten sind zwei der häufigsten Antworten auf die Fragen „Was macht sie glücklich auf der Arbeit?“ Und zufriedene Arbeitnehmer sind gebundene sowie leistungsfähige Arbeitnehmer – das gilt nicht nur für Mitarbeitende, sondern auch für die Führungskräfte selbst. Somit kann hier eine Win-win-Situation entstehen!