Waffen für die Ukraine: „Deutschland sollte weniger darüber reden, was es nicht machen will“
Die Staaten der Nato-Ostflanke warnen schon lange vor Russland – und sind enge Unterstützer der Ukraine. Eine finnische Sicherheitsexpertin wünscht sich mehr Tempo von Deutschland.
Finnland und die baltischen Staaten gelten heute als Vorbild für eine weitsichtige Sicherheitspolitik. Die Sicherheitsexpertin Minna Ålander vom Finnish Institute of International Affairs in Helsinki hat länger in Deutschland gelebt und gearbeitet. Im Interview wirft sie einen Blick aus dem Norden auf die Rolle Deutschlands im Ukraine-Krieg und den Umgang Westeuropas mit der Bedrohung aus Russland.
Die Gutgläubigkeit der westeuropäischen Länder wie Deutschland gegenüber Russland hat im Nordosten Europas jahrelang für Verzweiflung gesorgt. Vor allem die baltischen Staaten haben uns schon lange vor dem Ukraine-Krieg immer wieder vor Russland gewarnt. Warum hat damals niemand zugehört?
Ja, die baltischen Staaten haben hart daran gearbeitet, ins Bewusstsein zu bringen, dass die russische Bedrohung wieder relevant ist. Dass darauf zunächst nicht reagiert wurde, ist eine verpasste Chance. Man hätte die nötigen Dinge viel eher anpacken können. Vor 2022 herrschte in Deutschland eine Art Gruppendenken vor: Keiner wollte über Bedrohungen reden. Das war Tabu, als ob das Sprechen über böse Dinge diese herbei beschwören könnte. In Finnland dagegen waren Worst-Case-Szenarien immer Teil der Vorbereitungs- und Bereitschaftskultur.
Inzwischen hat sich der Wind gedreht, auch in Deutschland – Stichwort Zeitenwende. Haben wir den Ernst der Lage erkannt? Und tut Deutschland aus Sicht des Nordens seit Beginn des Ukraine-Krieges genug?
Deutschland hat schon viele gute Initiativen gestartet, doch es geht alles nicht besonders schnell. Ich merke in Gesprächen in Deutschland, dass man sich gern vergleicht mit dem, was vorher war – in dem Sinne: Schaut, wir machen doch jetzt so viel. Oder man vergleicht sich mit anderen und sagt: Wir tun mehr. Am Ende ist aber doch die Frage: Reicht das, was wir tun, wenn es um Leben und Tod geht? Wenn Berlin bei einem Angriff auf Litauen zum Beispiel vier Tage braucht, um Truppen dorthin zu verlegen, dann könnte es bereits zu spät sein. Deshalb wird jetzt ja die deutsche Brigade dort stationiert.

Frankreich und Deutschland: Unterschiedliche Sicht auf die Ukraine
Bis die Brigade in Litauen ankommt, wird es noch eine Weile dauern, auch weil Berlin noch um die Finanzierung etwa der Unterkünfte ringt. Wie sehen Sie im Vergleich zu Berlin das Vorgehen der anderen Länder Westeuropas?
Interessant ist zum Beispiel der Unterschied zwischen der deutschen Sichtweise und jener des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Macron wendet sich heute gezielt dem Baltikum und Osteuropa zu. Es hat lange gedauert, aber inzwischen hat er internalisiert, dass das Schicksal der Ukraine mit dem Schicksal Europas verwoben ist.
Frankreich hat viele Waffen an Kiew geliefert, aber bislang weniger als Deutschland.
Frankreich agiert da ähnlich wie Finnland: Man gibt nur in ganz seltenen Fällen Informationen heraus, was man genau geliefert hat. Aber natürlich untergräbt es Macrons Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit, dass Frankreich nicht an der Spitze steht. Deutschland hat dagegen den Spagat ‚geschafft‘, in absoluten Zahlen zweitgrößter Unterstützer der Ukraine zu sein, aber trotzdem nicht den Sieg der Ukraine zum Ziel zu erklären. Daher bleibt stets ein Fragezeichen über Deutschlands Rolle. Das ist ein bisschen schade, weil Deutschland ja tatsächlich viel tut – aber dies selbst unterminiert durch seine Art der Kommunikation.

Minna Ålander: „Deutschland sollte weniger darüber reden, was es nicht machen will.“
Ist es nur die Kommunikation?
Nein, nicht nur. Bundeskanzler Olaf Scholz ist sehr konsistent. Seit April 2022 sagt er, dass er nichts tun werde, was einen Krieg zwischen der Nato und Russland auslösen könnte oder Deutschland zur Kriegspartei macht. Zwar hat Deutschland seither die Grenzen verschoben, innerhalb derer man die Ukraine unterstützen will – doch die Leitlinien von Kanzler Scholz sind immer noch dieselben.
Interessant im Vergleich zwischen Frankreich und Deutschland ist die Frage: Wo sind die roten Linien? Frankreich hat diese roten Linien verwischt, unter anderem, indem es von Bodentruppen für die Ukraine sprach. Die deutsche Kommunikation läuft dagegen vor allem durch Negation: Wenn man etwas liefert, wird die Ankündigung damit gepaart, was man alles nicht liefert. Deutschland sollte aber weniger darüber reden, was es alles nicht machen will.
Zum Beispiel nicht den Taurus zu liefern.
Genau. Hinzu kommt, dass Frankreich eine Nuklearmacht ist. Wenn Frankreich etwas ankündigt, hat es daher eine andere Abschreckungswirkung, als wenn Deutschland etwas sagt. Doch diese Abschreckung muss immer auch glaubwürdig sein, um Russlands Kalkül zu verändern. Das Ziel ist ja: Wie kriegt man Russland dazu, aufzuhören mit seinem Krieg?
Finnland fürchtet Russlands Atombomben weniger als Deutschland
Was würde Russland zum Aufhören bewegen?
Klar ist, dass die Ukraine den Krieg nicht allein mit einer starken Luftverteidigung gewinnen kann. Deutschland hat zum Schutz des ukrainischen Luftraums vieles geliefert, etwa das System Iris-T oder die Patriots. Doch Berlin zieht eine rote Linie bei Kampfjets und bei Taurus – und genau die könnten aber militärisch einen Unterschied machen. Die Ukraine muss die Kriegslogistik im russischen Territorium angreifen können, das ist ganz logisch in jedem Krieg.
Das haben inzwischen ja einige Staaten zugelassen, schließlich sogar die USA und Deutschland. Scholz berücksichtigt mit seiner Zurückhaltung auch die Tatsache, dass die Menschen hierzulande mehr Angst vor einem russischen Atomschlag haben als in anderen Ländern. Woher kommt diese Furcht Ihrer Ansicht nach?
Das ist ein komplexes Thema. Tatsächlich hing im Kalten Krieg ein nuklearer Schatten über Westdeutschland. Damals waren die BRD und die DDR die Bühne für den möglichen Dritten Weltkrieg. Alle wussten, dass Atomraketen auf Berlin gerichtet waren. Deutschland war also Zielscheibe, hatte aber keine eigene Handlungsmöglichkeit und keine eigenen Atomwaffen, über deren Einsatz man selbst entscheiden konnte. Das hat viele Deutsche geprägt, auch Scholz, der in dieser Zeit sozialisiert wurde.
Wie groß ist die Angst vor russischen Atomschlägen in Finnland? Immerhin ist Russland ja Ihr direkter Nachbar.
Die Angst vor Nuklearschlägen ist bei uns nicht so groß. Wenn Russland uns abschießen würde, wäre auch St. Petersburg weg. Das kann Moskau nicht wollen. Und wir haben viele Zivilschutzbunker, die auch Atomschläge und nuklearen Fallout abhalten können. Das gibt den Finnen ein sicheres Gefühl.