Azubi mit grauen Haaren - Antdorfer Firma trotzt dem Fachkräftemangel

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Ali Uysal (re.) mit seinem Chef Dean Domino Turzer vor seinem Firmenfahrzeug mit dem er täglich zu den Kälteanlagen fährt, die die Firma betreut. © Seliger

Er bezeichnet sich selbst als den ältesten Azubi Bayerns: Mit beinahe 50 Jahren wagte Ali Uysal aus Penzberg den beruflichen Neuanfang und begann seine Ausbildung zum Mechatroniker für Klima- und Kältetechnik bei der Antdorfer Firma Oberlandkälte. Heute ist er 52 Jahre alt und gerade mit der Ausbildung fertig.

Ali Uysal hatte in seinem Leben schon viele Berufe. Er ist gelernter Elektriker, arbeitete am Flughafen und absolvierte dann eine Ausbildung zum Einrichtungsfachberater. Ab 2018 arbeitete der Vater von sieben Töchtern dann in einem großen Möbelhaus in Wolfratshausen, bevor die Corona-Pandemie ihn in die Kurzarbeit zwang. Aber der gebürtige Türke, der mit sechs Monaten nach Deutschland kam, ist keiner, der sich unterkriegen lässt. Und schon gar keiner, der die Hände in den Schoss legt. Als er vom ehemaligen Firmenchef der Oberlandkälte GmbH und Co. KG gefragt wird, ob er nicht mal einen Schnuppertag im Betrieb verbringen möchte, sagte er zu. „Ich kannte ihn, weil er Kunde im Möbelhaus war“, erklärt Uysal. Von da an sei er öfter als Helfer in der Firma tätig gewesen – so lange, bis der mittlerweile neue Inhaber, der 34-jährige Dean Domino Turzer, sich beim Arbeitsamt für eine von der Behörde geförderte Umschulungsmaßnahme für Uysal einsetzte.

Einen Lehrling mit fast 50 Jahren, der zuvor als Möbelverkäufer gearbeitet hat und über Kältetechnik zu diesem Zeitpunkt höchstens wusste, dass Kühlschränke irgendwie in diesen Fachbereich fallen könnten? Natürlich, sagt Turzer. „Wir haben einfach Fachkräftemangel, und gute Leute können wir immer brauchen.“ Und dass aus dem einstigen Möbelverkäufer einer dieser guten Leute werden könnte, der auch mit den verwendeten Gefahrenstoffen souverän umgehen kann: Das war Turzer schnell klar.

Das Lernen wieder lernen

Die Ausbildung zum Mechatroniker für Klima- und Kältetechnik gelte als einer der schwersten Ausbildungsberufe überhaupt, erklärt er. Weil er sehr umfangreiches Wissen in der verschiedensten Gebieten erfordere; etwa in Hydraulik, Elektrotechnik, Thermodynamik oder Luftbearbeitung. Die Durchfallquote bei der Abschlussprüfung liege Jahr für Jahr bei rund 50 Prozent. In seiner Abschlussklasse hätten von 28 Schülern nur 15 bestanden, erzählt Uysal. Dass er unter ihnen ist und mit einer soliden Note 3 abschloss, macht ihn stolz. Denn leicht sei es für ihn, den damals etwa 50-Jährigen Berufsneuling nicht immer gewesen. Nicht bei seiner betrieblichen Ausbildung, wo er seine Kollegen und auch den Chef immer habe fragen können. Wohl aber in der Berufsschule. Da er keine reguläre Lehre absolviert habe wie seine meist 16-bis 22-jährigen Mitschülern, sondern eine Umschulung machte, habe er seine Ausbildung nicht im ersten, sondern im zweiten Lehrjahr begonnen. Am Anfang sei er deshalb oft in der Schule gesessen ohne viel von dem zu verstehen, was der Lehrer sagte. Dazu kam, dass Uysal vor 32 Jahren das letzte Mal in der Schule war und das Lernen schlichtweg nicht mehr gewöhnt war. Das erste halbe Jahr habe er darum schon überlegt, hinzuschmeißen. Aber seine Kollegen hätten ihn stark unterstützt. Und vor allem seine beiden älteren Töchter, die derzeit selbst studierten und ihm halfen und ermutigten.

Arbeit führt ihn bis auf die Zugspitze

Die praktische Arbeit im Betrieb selbst habe ihm von Anfang an viel Spaß gemacht. Weil es keine monotone Tätigkeit sei und seine Einsatzorte so vielseitig seien. So betreue die Firma Kühlanlagen in Krankenhauslaboren ebenso wie in Großküchen oder Bäckereien. Auch die Wartung der Kühlanlage im O2-Tower in München mache die Firma und betreue auch die höchste Kälteanlage Deutschlands. Und die steht auf der Zugspitze.

Mit Lebenserfahrung punkten

Mit fast 50 noch einmal den beruflichen Neustart zu wagen: Das habe ihn nie geschreckt. „So kommt neuer Schwung ins Leben“ findet Uysal, der mit seinem offenen und jugendlichen Auftreten deutlich jünger wirkt, als seine Altersangabe im Pass vermuten lässt – trotz des schon leicht grau melierten Barts. Auch seine Lebenserfahrung habe ihm bei seiner Umschulung geholfen. Er möchte mit seiner Geschichte allen älteren Arbeitnehmern Mut machen, sich beruflich noch einmal neu zu orientieren, wenn der alte Job einfach nicht mehr passt. Und er möchte an alle Arbeitgeber appellieren, ältere Menschen einzustellen – so wie sein Chef es getan hat. Dank ihm und seiner eigenen Bereitschaft, Neues zu lernen habe er nun „meinen absoluten Traumberuf“ gefunden. Und den möchte er noch viele Jahre ausüben, vielleicht sogar noch eine Techniker-Ausbildung draufsetzen. Denn in Rente gehen: Das wolle er sowieso nicht.

Laut Dieter Berthold vom Haus mechanischer Metallhandwerke in Oberschleißheim könne man zwar nicht sicher sagen, dass Uysal wirklich der älteste Azubi in ganz Bayerns ist. „Unter den Prüflingen bei uns war er der Älteste.“ Generell gebe es schon hin und wieder Lehrlinge im Alter von 40 Jahren. Azubis über 50 seien aber definitiv eine Seltenheit.

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