Expertin erklärt - Sie hatten einen milden Corona-Verlauf? Das erhöht Ihr Long-Covid-Risiko
Wie lange sollten sich Patienten also ausruhen? „Wenn ich Symptome wie Husten, Schlappfühlen, leicht erhöhte Temperatur habe und einen positiven Corona-Test in den Händen halte – dann gehöre ich nicht auf die Arbeit. Solange ich Symptome habe, bin ich nicht gesund“, sagt die Lungenärztin. Zwar gehöre es in der Leistungsgesellschaft zum guten Ton, trotzdem zur Arbeit zu gehen oder wenigstens etwas im Home-Office zu erledigen. Doch Frommhold rät dringend davon ab: „Das geht nicht. Man muss für sich erkennen, dass das dann auch Arbeit ist.“
Auch Geimpfte können Long-Covid bekommen
Für den Körper stellt das eine enorme Belastung dar – unabhängig davon, wie fit und immunisiert eine Person ist. Auch Geimpfte seien nicht vor Long-Covid gefeit. „Es gibt Patienten, die sind fast alle geimpft, teilweise viermal, und haben sich nach oder zwischen den Impfungen Corona geholt und Long-Covid entwickelt“, berichtet die Expertin aus der Praxis. „Dass man kein Long-Covid kriegt, wenn man geimpft ist, stimmt nicht. Der Schulterschluss funktioniert nicht.“
Long-Covid-Expertin: Einige Ärzte stellen falsche „Verzweiflungsdiagnose“
Bis Long-Covid tatsächlich diagnostiziert wird, ist es manchmal ein langer Leidensweg. So kann es vorkommen, dass die behandelnden Ärzte die Corona-Spätfolgen nicht erkennen und im Zuge einer „Verzweiflungsdiagnose“ eine psychisch bedingte Krankheit attestieren, so Frommhold.
„Es fällt auf, dass Long-Covid-Patienten in die psychosomatische Schiene abgeschoben werden. Long-Covid-Patienten bekommen die Falschdiagnose, dass sie nicht Long-Covid haben, sondern eine psychosomatische Krankheit wie Depressionen“, sagt die Expertin. Manchmal würde die Diagnose trotz des Einwands der Patienten, dass sie nicht unter dieser Krankheit leiden, gestellt.
„Symptome für Long-Covid sind alle diffus? Das stimmt nicht“
Dabei sei das Diagnostizieren von Long-Covid kein Hexenwerk. „Es gibt Menschen, die sagen, dass es für Long Covid 200 verschiedene Symptome gibt und die alle diffus sind. Das stimmt nicht“, sagt Frommhold. „Wenn man sich mit den Patienten beschäftigt, merkt man, dass die häufigsten Symptome Fatigue und Belastungsintoleranz sind.“
Weitere Beschwerden, für die es oft keine andere Erklärung gibt, sind:
- Schwindel
- Gelenkschmerzen
- Tinnitus
- Konzentrationsprobleme
- atemmechanische Probleme
- kognitive Einschränkungen
- Herzmuskel-Entzündungen
„Interessant ist, dass einige Patienten Histamin-Intoleranzen entwickeln“, fügt die Long-Covid-Expertin hinzu. Zudem könnten nach einer Corona-Erkrankung auch neue Autoimmunerkrankungen auftreten – unabhängig davon, ob die Betroffenen Long-Covid oder Fatigue haben oder nicht.
Fehlfunktion der Mitochondrien in den Muskelzellen – eine Erklärung für Long-Covid?
Woher diese Erschöpfung bei Long-Covid-Patienten kommt, ist noch nicht abschließend geklärt. Eine mögliche Erklärung lieferte eine Studie der Freien Universität Amsterdam: Demnach könnte die Fatigue auf eine Fehlfunktion der Mitochondrien, die Bestandteile der Zelle sind und Energie für ihren Betrieb liefern, in den Muskelzellen zurückzuführen sein.
Frommhold hält diesen Ansatz für plausibel. Bei Long-Covid arbeiteten die Mitochondrien nicht richtig, der Muskel sei erschöpft, Bewegung gehe häufig mit einem bleiernen Gefühl einher. „Obwohl es bereits Präparate gibt, die die Funktion der Mitochondrien wiederherstellen sollen, muss Frommhold die Euphorie dämpfen: “Eine sinnvolle Therapie gibt es noch nicht. Man kommt noch nicht an die Mitochondrien ran.“
Long-Covid-Betroffene mit Fatigue: „Sie sind nicht mehr fähig, am Leben teilzunehmen“
Die Erschöpfung, an der einige Long-Covid-Patienten leiden, sei manchmal ein kräftezehrendes Auf und Ab. So gebe es Phasen, in denen sich die Betroffenen wieder besser fühlen und sich davon euphorisiert Dinge vornehmen. Dann würden sich die Beschwerden jedoch wieder verschlechtern.
„Je stärker der Verlauf schwankt, desto mehr verschlechtern sich die Symptome. Die Patienten sind dann bettlägerig und nicht mehr fähig, am Leben teilzunehmen“, sagt die Institutsleiterin. „Sie sind pflegebedürftig, können sich zum Beispiel nicht mehr um ihre eigenen Kinder kümmern. Das ist ein totaler sozialer Einbruch, damit gehen auch Existenznöte einher“, so Frommhold. So würde das Institut ganze Familien, in denen ein Angehöriger an Long-Covid erkrankt ist und die sich mit der Situation allein gelassen fühlen, betreuen.
Corona-Infektion kann Long-Covid-Symptome verschlechtern
Auch eine weitere Corona-Infektion könne Long-Covid-Betroffene wieder zurückwerfen. „Das kommt schon vor, dass Patienten, die wir stabilisieren konnten, einen Rückschlag erleiden. Eine Verschlechterung der Symptome ist möglich bis hin zur Bettlägerigkeit. Das ist nicht außer Acht zu lassen“, sagt die Pneumologin. „Corona-Infektionen können Long-Covid verstärken.“
Um die Viruslast zu minimieren und die Verstärkung der Long-Covid-Symptome zu vermeiden, werde unter anderem das Virostatikum Paxlovid empfohlen.
Bei Behandlung von Long-Covid ist „Pacing“ von großer Bedeutung
Bei der Behandlung der Patienten mit Fatigue sei insbesondere das „Pacing“ – also das „Anpassen“ – wichtig. In diesem Zuge lernen die Betroffenen, sich an das Maß an Aktivität zu adaptieren, das der Körper verkraften kann. Dazu gehören das Erkennen eigener Belastungsgrenzen und die Entwicklung von Strategien, um mit der Fatigue umzugehen.
In der Folge üben die Betroffenen, sich ihre Energie so einzuteilen, dass sich die Beschwerden reduzieren. Durch aktivierende Methoden, wie sie bei der Behandlung von Depressionen zum Einsatz kommen, verschlechtere sich die Erschöpfung nur, sagt die Expertin.
Die Kernpunkte: Das steckt hinter „Pacing“
„Pacing“ spiele auch bei der Prävention von Long-Covid und Fatigue eine entscheidende Rolle. „Dadurch kann man das Risiko gut minimieren“, so Frommhold.
Da „weiß Gott nicht jeder weiß, was es damit auf sich hat“, fasst die Institutsleiterin die Kernpunkte des Pacings nochmal zusammen:
- Symptome ernst nehmen
- sich nicht überschätzen und nicht zur Arbeit gehen
- sich auskurieren
Daneben empfiehlt die Institutsleiterin folgende vorbeugende Maßnahmen:
- Fieber senken
- Schmerzen lindern
- mit Kochsalz inhalieren
- schon während der Infektion Atemübungen machen – zum Beispiel in den Bauch atmen – damit man sich nicht an flache Atmung gewöhnt
Verschlechtern sich die Symptome vier bis sechs Wochen nach Corona-Infektion, sollte man zum Arzt gehen
Wenn man vier bis sechs Wochen nach einer Corona-Infektion merkt, dass sich die Symptome verschlechtern, empfiehlt die Expertin, sich zunächst für eine Ausschlussdiagnostik beim Hausarzt oder an ein spezielles Center zu wenden. So biete das Institut für Long-Covid eine Videosprechstunde an. Zudem können nach ärztlicher Beratung auch Off-Label-Medikamente helfen. In dem Fall werden Medikamente außerhalb des vorgesehenen Anwendungsgebietes, für das sie zugelassen sind, eingesetzt.
„Wichtig ist: Je früher ich merke, dass sich eine Long-Covid-Symptomatik entwickelt, desto eher sollte ich mir Unterstützung holen, damit es nicht zu einer Chronifizierung kommt“, sagt Frommhold.
*Anmerkung: Die Autorin stammt selbst aus Mecklenburg-Vorpommern, darf das also sagen.