Enges Rennen um Präsidentschaft - Heute Nacht startet der US-Wahlkrimi! 5 Ursachen, warum Trump wieder so stark ist

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PBS In allen offiziellen Meinungsumfragen jedenfalls liegen Kamala Harris und Donald Trump seit Wochen nahezu gleichauf.

Nie war das Rennen um die US-Präsidentschaft so eng. Obwohl Kamala Harris gegen einen notorischen Lügner und Straftäter antritt, liegen beide gleichauf. Wie kann das sein?

Wenn der Markt recht hat, wird Donald Trump diese Wahl gewinnen, mit einer komfortablen Mehrheit von 62 Prozent. So lautete am Montag letzter Woche die Quote auf dem Portal des New Yorker Wettanbieters Kalshi. Mehr als 86 Millionen Dollar wurden dort in den vergangenen Wochen gehandelt.

Kalshi macht Geschäfte mit Amerikas Zukunft: Wird es in diesem November mehr als zehn Tornados geben? Wird ein Hurrikan die Stadt Orlando treffen? Und wie steht es eigentlich um das nächste Album von Taylor Swift? Die spannendste aller Fragen jedoch durfte das Onlineportal lange nicht stellen: Wer gewinnt die amerikanische Präsidentschaftswahl?

Wetten auf politische Ereignisse waren für die amerikanischen Aufsichtsbehörden lange tabu. Weil jemand, der Geld setzt, vor allem den eigenen Profit im Auge hat, weniger die Zukunft des Landes. Außerdem könnten die veröffentlichten Wettquoten die Wählerinnen und Wähler in ihrer Entscheidung beeinflussen. Doch Kalshi zog vor Gericht und siegte.

Harris und Trump in Umfragen gleichauf

Auch Anbieter außerhalb der Vereinigten Staaten bieten diese Art von Wetten auf den nächsten US-Präsidenten an. Sie richten sich aber vor allem an ausländische Investoren, während bei Kalshi amerikanische Wähler wetten können. Die Wettquoten des Onlineportals sind also durchaus ein Indikator für den möglichen Wahlsieger – aber eben auch nur einer.

In allen offiziellen Meinungsumfragen jedenfalls liegen Kamala Harris und Donald Trump seit Wochen nahezu gleichauf. Das Rennen ums Weiße Haus scheint eng wie nie, in keiner der beiden vorangegangenen Wahlen war der Abstand zwischen den Kontrahenten so gering – weder 2016, als Hillary Clinton mit großem Vorsprung vor Trump führte, noch 2020, bei der Wahl zwischen Trump und Joe Biden. Aber wie kann es ein, dass sich Harris gegen den verurteilten Straftäter Trump so schwertut? Ist er zu stark oder sie zu schwach?

Nachdem sich Joe Biden im Juli aus dem Präsidentschaftsrennen zurückgezogen hatte, atmeten die Demokraten auf – und feierten seine Nachfolgerin. Der Sommer gehörte ihr, Kamala der Großen, selbstgekrönt, aber mit „Vibes“ geweiht. So einen Wahlkampf hatte das Land noch nicht gesehen: ein amtierender Präsident, der den Weg freimacht, wenn auch alles andere als freiwillig.

Trump hat jedes Schamgefühl verloren

Ein Ex-Präsident, der jedes Schamgefühl verloren hat, als Gegenkandidat. Es schien, als würden Harris die verbleibenden 107 Tage bis zur Wahl locker reichen, um Trump zu deklassieren. Doch Ende September verlor sich die Euphorie.

Dass sich Kamala Harris zunächst vor allem auf Influencer verließ, um zu mobilisieren, anstatt mit konventionellen Medien zu sprechen, wurde ihr bald als Schwäche ausgelegt. Angst vor kritischen Fragen sollte eine künftige Präsidentin nicht haben. Und so holte Donald Trump in den Umfragen immer mehr auf.

Die Versäumnisse und Fehlentscheidungen des Harris-Teams mögen ein Grund dafür sein, dass es auf den letzten Metern des Wahlkampfs so knapp wurde. Doch die wahren Ursachen liegen viel tiefer. Und sie berühren das Fundament der amerikanischen Demokratie.

1. Düsternis

Am 13. Juli fallen acht Schüsse. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Butler, Pennsylvania, wird Donald Trump am Ohr getroffen, dann duckt er sich aus der Schusslinie des Attentäters. Bevor ihn Mitarbeiter des Secret Service von der Bühne zerren, streckt er die Faust in die Luft und ruft: „Fight, fight, fight!“ Fortan präsentierte sich Trump grimmiger denn je.

Eine dunkle Rhetorik wurde zum Eckpfeiler seiner Kampagne: Die Vereinigten Staaten stünden am Abgrund, überlaufen von gewalttätigen Migranten, die von der Biden-Harris-Regierung mit offenen Armen empfangen würden. Trump verbreitete Lügen über die Hurrikan-Katastrophe (weil die Regierung so viel für Migranten ausgegeben habe, sei nichts mehr für die Hurrikan-Opfer da).

Er schwadronierte auch vom angeblichen „Feind im Inneren“. Zur Not, sagte Trump, werde er als Präsident sogar das Militär gegen Andersdenkende einsetzen. Kamala Harris bezeichnet er als verrückt, sie sei ein Mensch mit einem niedrigen IQ.

Mit seinen Untergangsfantasien schürte Trump bei seinen Anhängern eine Sehnsucht: Wer alles kaputtredet, der rechtfertigt auch einen radikalen Umbruch im Land. Und genau den wünschen sich seine Gefolgsleute, die in einer Erneuerung, wenn nicht sogar in einem Umsturz die letzte Chance für die Vereinigten Staaten sehen.

Je erschreckender Donald Trump das Schicksal des Landes unter einer möglichen Präsidentin Harris zeichnete, desto glaubhafter wirkte er als Erlöserfigur. „Wir sind eine Abrisshalde, wir sind wie der Mülleimer der Welt“, sagte Trump vor wenigen Tagen bei einem Auftritt in Tempe, Arizona.

Obwohl er viel reicher ist als die allermeisten seiner Wähler – und angesichts seiner Verurteilung und der noch ausstehenden Prozesse auch viel krimineller –, schafft Trump es dennoch, sich als einer von ihnen zu inszenieren: ein Outlaw in einer von allen staatlichen Institutionen vermeintlich betrogenen Gesellschaft.

2. Populismus

Das Trump-Universum hat sich in den vergangenen Jahren ausgedehnt, trotz aller Skandale, Betrügereien und autoritären Drohgebärden des Ex-Präsidenten. Seine „Make America Great Again“-Devise (MAGA) zelebrierte er früh als eine Art Kult, der zunächst die weiße, religiöse, ältere und weniger gebildete untere Mittelschicht im ländlichen Raum faszinierte.

Doch in den vergangenen Jahren hat Trumps Bewegung auch im Bürgertum Wurzeln geschlagen. Also in jener „Mitte der Gesellschaft“, die einst das solide Fundament der Demokratie bildete. Ist die Mitte also nach rechts gerutscht? Warum lässt sie sich auf Populisten ein?

Früher galt das amerikanische Zweiparteiensystem als Garant für einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Die Präsidentschaftskandidaten wetteiferten vor allem um die Stimmen der Mitte, was den Ton und den Inhalt ihres Wahlkampfs prägte. Dass die Republikaner in Trumps MAGA-Bewegung aufgehen würden und sich damit „de facto von der Demokratie verabschiedet“ haben, schien unvorstellbar, sagt der Politologe Jan-Werner Müller von der Universität Princeton.

Republican Presidential Nominee Donald Trump Campaigns In Pennsylvania
Getty Images Trump will sich an seinem ersten Tag im Amt wie ein Diktator verhalten

Die alten republikanischen Eliten schlossen einen Pakt mit Donald Trump. Doch schon bald verloren sie die Kontrolle über ihn.

Plutokraten wie Elon Musk pumpen Millionen Dollar in die republikanischen Interessenverbände. Rund 50 weitere Unternehmer haben insgesamt 1,4 Milliarden Dollar an Trump nahestehende Organisationen gespendet.

Krude Theorie vom „großen Austausch“

Diese Milliardäre, sagt der Yale-Politologe Jacob Hacker, wollen nicht nur Wahlen gewinnen, sondern auch die Regeln von Wirtschaft und Demokratie verändern. Die MAGA-Botschaft verfängt auch bei jenen Teilen des bürgerlichen Milieus, die von höheren Steuern, mehr Regulierung, also typischer Politik der Demokraten, noch nie viel gehalten haben.

Während der Präsidentschaft Trumps sank die Steuerlast, argumentieren sie, und die USA mussten auch nicht der Ukraine beistehen. Dank Trumps Autorität sei es in seiner Amtszeit erst gar nicht zu internationalen Konflikten gekommen.

Viele seiner Wähler glauben, dass konservative Weiße durch unkontrollierte Zuwanderung ersetzt werden sollten. Die krude Theorie vom „großen Austausch“ verbreiten auch Europas Rechtspopulisten, vom Brexit-Propagandisten Nigel Farage über Marine Le Pen in Frankreich bis hin zur deutschen AfD.

Donald Trump schürt die Angst vor „Überfremdung“, indem er vor den „schlechten Genen“ der Migranten warnt und deren Verbündete, die Linken, als „Ungeziefer“ verunglimpft. Er verspricht Massendeportation von Millionen Menschen.

Trumps Verhalten werten manche als Zeichen von Durchsetzungskraft

Noch vor zehn Jahren hätten solche Pläne die gesellschaftliche Mitte schockiert. In diesem Wahlkampf aber scheint sie nichts mehr zu erschrecken. Populisten vermitteln ihren Anhängern neben politischen Botschaften auch ihr unter-komplexes Weltbild, das alle Lebensbereiche einschließt. Deshalb fühlen sich Trumpisten von Gegenargumenten persönlich bedroht und reagieren darauf mit Wut.

MAGA-Influencer und rechtspopulistische Medien wie Fox erklären zum Sieger, wer mit Hetze, Schauermärchen und Memes die digitale Empörungsmaschinerie am zuverlässigsten auf Touren bringt.

Dass Trump sämtliche Regeln des Anstands zerlegt, werten inzwischen auch bürgerliche Wähler als Zeichen von Durchsetzungskraft. Nach seiner Amtszeit als US-Präsident hat er die Polarisierung weiter forciert.

Das macht sich nun für ihn bezahlt, weil auch Menschen, die Demokratie und Parlamentarismus eigentlich schätzen, bereit sind, einen Autokraten zu wählen – sofern dieser nur glaubhaft mache, ihre Interessen durchzusetzen, wie der Forscher Milan Svolik von der Universität Yale sagt.

J. D. Vance, der republikanische Kandidat für die Vizepräsidentschaft, schrieb 2016 über seinen späteren Boss: Trump sei „kulturelles Heroin“. Das gilt auch heute noch. Gut möglich, dass inzwischen die Mehrheit der Amerikaner süchtig ist. Und dass die Abhängigen eine immer höhere Dosis verlangen, um den Rausch zu spüren, den Trumps Populismus auslöst.

3. Abschottung

Über Jahrhunderte konzentrierten sich die USA vor allem auf sich selbst. Eine der Ausnahmen war die Beteiligung am Ersten Weltkrieg. Nachdem 1939 erneut Krieg in Europa ausgebrochen war, formierte sich das America First Committee, das eine Beteiligung des Landes verhindern wollte. Mochte der Rest der Welt auch in Flammen aufgehen – Hauptsache, Amerika florierte.

Erst der Angriff der Japaner auf Pearl Harbor machte die isolationistischen Träume zunichte. Und auch wenn die USA nach dem Zweiten Weltkrieg zur Führungsmacht des Westens aufstiegen, die Idee eines Amerikas, das sich selbst genügte, lebte fort.

Schon in seiner ersten Amtszeit hatte Trump davon gesprochen, dass internationale Allianzen – ganz gleich ob politisch, militärisch oder geschäftlich – vor allem danach zu bewerten seien, inwiefern die Amerikaner davon profitierten, nicht der Westen als Ganzes, nicht die internationale Werteordnung. Plötzlich stand vieles infrage, was Weltpolitik und Welthandel in der Vergangenheit begünstigt hatte.

Heute wirken Trumps Bestrebungen auf viele noch verführerischer als in seiner ersten Präsidentschaft. Demokratien sind in die Defensive geraten, während Autokraten ihre Macht mehren. Die traditionellen Bündnisse, so Trumps Lesart, bremsten die USA wirtschaftlich aus, förderten Armut und Verzweiflung. Der Rückzug ins Nationale sei die einzige Alternative. Jedoch: mit welchen Folgen?

Wahlnacht könnte Thriller werden

Trumps „Neo-Isolationismus“ sei komplett aus der Zeit gefallen, schrieb kürzlich der amerikanische Politologe Charles Kupchan im Magazin „Foreign Affairs“. Die Vereinigten Staaten könnten es sich schlicht nicht leisten, vor den Problemen der Welt davonzulaufen. Dazu seien die Länder heute viel zu eng vernetzt, digital und wirtschaftlich. Ballistische Raketen diverser Feinde könnten das Land binnen kürzester Zeit erreichen.

Trump: «Die denken, wir sind dumme Menschen.»
Evan Vucci/AP/dpa Trump: «Die denken, wir sind dumme Menschen.»

Allerdings deutet einiges darauf hin, dass Donald Trump in seinen isolationistischen Vorstellungen auch wählerisch ist. Er fremdelt vor allem mit den Partnern des Westens, während er aus seinem

Faible für Alleinherrscher kein Geheimnis macht. Seine America-First-Ideologie und die Autokraten-Kumpanei sind eine gefährliche Kombination – nicht nur für Europa, sondern auch für die USA selbst.

Weil das Rennen zwischen Kamala Harris und Donald Trump so knapp ist, verspricht die Wahlnacht ein Thriller zu werden. Wenn die ersten Wahllokale schließen, wird es noch keine verlässliche Prognose geben.

Belastbares Gesamtergebnis am Mittwochmorgen noch nicht erwartet

Denn während in Kentucky und Indiana um Mitternacht deutscher Zeit einige Wahlbezirke bereits abgestimmt haben, wird in Kalifornien und Oregon noch fünf Stunden lang gewählt. Konkret heißt das: Wenn die Amerikaner an der Ostküste um Mitternacht ins Bett gehen und Trump vorne liegen sollte, heißt das noch lange nicht, dass er tatsächlich gewinnt.

Wie ausgezählt wird, ist von Bundesstaat zu Bundesstaat verschieden. In Arizona werden die Stimmen nach Eingang direkt gezählt, in New Hampshire erst nach Wahlschluss um 20 Uhr Ortszeit. In manchen Staaten werden sie im Wahllokal ausgezählt, in anderen zu einer zentralen Zählstation gebracht.

Entscheidend sind die Ergebnisse in den sieben Swing States, die in der Vergangenheit mal zum republikanischen Kandidaten, mal zum demokratischen tendierten: Die ersten Daten werden wohl aus Arizona und Georgia eintreffen, Prognosen aus Pennsylvania und Wisconsin dürften dagegen dauern.

Ein belastbares Gesamtergebnis wird am Mittwochmorgen deutscher Zeit nicht erwartet. Bei der Präsidentschaftswahl 2020 hat es vier lange Tage gedauert, bis klar war, dass Joe Biden gewonnen hatte.

Es wird also auf ein paar Zehntausend Stimmen hier und ein paar Zehntausend Stimmen dort ankommen. In dieser Hinsicht nähert sich die amerikanische Politik dem amerikanischen Leben an: Ein Münzwurf kann darüber entscheiden, ob man es schafft oder nicht – oder eben ob man diese Wahl gewinnt oder verliert.

4. Wirtschaft und Inflation

Paul Krugman mag schon vor Jahren den Wirtschaftsnobelpreis gewonnen haben, aber warum seine Landsleute vor dieser Wahl so pessimistisch sind, kann auch er nicht erklären. In seiner Kolumne in der „New York Times“ hat Krugman immer wieder über die sogenannte „Vibecession“ gespottet, die gefühlte Rezession. Denn die Lage der Wirtschaft sei doch viel besser als die Stimmung im Land.

Und tatsächlich ist da was dran. Blickt man auf die gesamtwirtschaftlichen Indikatoren, dann ergibt sich ein positives Bild. Die Arbeitslosenquote ist historisch niedrig, die Löhne steigen, und im Gegensatz etwa zu Deutschland wächst die US- Wirtschaft mit mehr als zwei Prozent im Jahr. Amerika geht es im Großen und Ganzen recht gut – und dennoch haben die Amerikaner ein schlechtes Gefühl.

Besonders kurios: Viele Bürger sagen in Umfragen, dass sie mit ihrer eigenen finanziellen Situation zwar zufrieden seien, aber die wirtschaftliche Lage doch insgesamt schlecht sei. Manche glauben sogar, dass die Arbeitslosigkeit gestiegen sei, obwohl sie gesunken ist, und dass die Aktienkurse gefallen seien, obwohl die Börse alle Rekorde bricht.

Man kennt diese fast schon schizophrene Wahrnehmung der Realität aus anderen Nationen, in denen Populisten stark sind – und das Land und die Lage permanent schlechtreden. Wenn die Menschen die ganze Zeit hören, wie mies alles sei, muss ja irgendwas dran sein. Selbst wenn es einem selbst gar nicht schlecht geht.

Bei vielen Älteren sind die Rücklagen für die Rente aufgezehrt

Aber das ist nur ein Teil der Erklärung. Der andere Teil lautet: Vor allem die unteren und mittleren Einkommen haben von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nicht profitiert. Anderthalb Jahre lag die Inflationsrate zwischen sechs und neun Prozent, das hat die Preise enorm getrieben. Nahrungsmittel, Benzin, auch Medikamente sind so teuer geworden, dass viele Amerikaner von ihren Ersparnissen leben.

Bei vielen Älteren sind die Rücklagen für die Rente aufgezehrt. Eine ungeplante Ausgabe von mehr als 400 Dollar – wenn zum Beispiel das Auto repariert werden muss oder eine neue Waschmaschine hersoll – können 40 Prozent der Amerikaner nur mithilfe eines Kredits bezahlen. Oder sie müssen etwas anderes dafür verkaufen. Rund die Hälfte der Wählerinnen und Wähler hält die Inflation für die größte Sorge im Land.

Die Demokraten haben im Wahlkampf immer wieder betont, dass die Inflationsrate bereits gesunken sei. Aber hinter dieser Argumentation steckt ein Denkfehler. Denn wenn die Inflation sinkt, bedeutet das nicht, dass die Produkte billiger werden – die Preise steigen nur nicht mehr so stark. Anders formuliert: Auch bei einer niedrigeren Inflationsrate ist der Wocheneinkauf immer noch verdammt teuer.

Genau das ist die Not von Kamala Harris. Ein Populist wie Trump kann sich im Wahlkampf hinstellen und sagen: In meiner Amtszeit war alles noch günstiger, also wählt mich. Er muss nicht erklären, dass die Inflation vor allem in Folge der Corona-Pandemie und durch den Ukraine-Krieg stieg. Aber diese Differenzierung bekommt auch Harris nicht in die Köpfe der Wähler. Sie war als Vizepräsidentin ein Teil der letzten Regierung – also ist sie für viele ein Teil des Problems.

Kamala Harris hat nun versprochen, dass sie als Präsidentin erstmals Preiskontrollen durchsetzen wolle, durch ein landesweites Verbot von Preisabsprachen im Lebensmittelhandel. Das hat ihr prompt die Kritik der großen Supermarktketten eingebracht.

5. Sexismus und Rassismus

Und trotzdem: Warum kann Harris einen wie Trump in den Umfragen nicht einfach überflügeln? So blass ihre Vision für das künftige Amerika im Wahlkampf geblieben sein mag, schlechter als Trump kann sie doch eigentlich nicht abschneiden.

Den Ausschlag könnte am Ende eine simple Frage geben: Mann oder Frau? In Gesprächen mit Wählerinnen und Wählern fällt auf, dass die Herkunft von Kamala Harris kaum eine Rolle spielt. Die Tochter von indischen und jamaikanischen Einwanderern hat ihre Identität im Wahlkampf nie in den Vordergrund gestellt. Aber dass sie kein Mann ist, das scheint für viele immer noch ein Problem zu sein: Vor allem unter jungen Männern schwächelt sie in Umfragen, bei Latinos und schwarzen Wählern liegt Trump vorn.

„Mir scheint, und ich beziehe mich hier explizit auf Männer, dass ihr einfach nicht von der Idee begeistert seid, eine Frau zur Präsidentin zu machen, und dass ihr andere Gründe dafür findet“, sagte Barack Obama vor ein paar Wochen in Pittsburgh über schwarze Männer, die nicht wählen wollen. Es war ein bemerkenswerter Appell von einem, dessen Präsidentschaft zeigte, dass sich in den USA doch etwas tun kann. Den Rassismus hat er nicht besiegt, natürlich nicht. Aber Obamas Wahlsieg hat eine Hürde überwunden.

„Ich dachte, dass ich bis an mein Lebensende keinen schwarzen Präsidenten mehr erleben würde“, sagt Annette Gordon-Reed, selbst Afroamerikanerin. Die Harvard-Professorin hat Bücher über mehrere US-Präsidenten geschrieben. Obamas Amtszeit habe gezeigt, dass das Unmögliche eben doch möglich sei, was auch für Harris gelten würde.

Doch der Präsident müsse in den USA ein harter Kerl sein. Gordon-Reed sagt: „Auch wenn es nicht offen thematisiert wird, spielt Sexismus natürliche eine Rolle in diesem Wahlkampf. In den USA ist der Präsident ein Symbol für die Nation, ein Zeichen von roher, männlicher Kraft.“

Dabei hat der Kampf für Gleichberechtigung in den Vereinigten Staaten eine lange Geschichte: Der Widerstand der Suffragetten gegen eine von Männern dominierte Gesellschaft, das Wahlrecht für Frauen, das Recht auf Abtreibung – hart umkämpfte Siege waren das, die Leistung von unermüdlichen Pionierinnen. Nur auf der höchsten politischen Ebene ist der Widerstand bis heute groß.

Unter den Demokraten wächst die Unruhe

Kaum mehr als ein Prozentpunkt trennt Harris und Trump momentan in den Umfragen, sie führt hauchdünn. Vor der Wahl 2020 lag Joe Biden gut neun Prozentpunkte vorne, 2016 hatte Hillary Clinton immerhin sechs Prozentpunkte mehr als Donald Trump. Was aber auch zeigt: Die Umfragen begünstigten die demokratischen Kandidaten – und sie lieferten ein verzerrtes Bild. Denn 2016 gewann Trump gegen Hillary Clinton. Und 2020 lag Joe Biden am Ende viel knapper gegen Donald Trump vorn, als man auf Basis der Umfragen erwartet hatte.

Liefern also doch die Wettquoten eine verlässlichere Vorhersage der amerikanischen Zukunft, wie das zum Beispiel Elon Musk behauptet?

Vor mehr als hundert Jahren, als repräsentative Meinungsumfragen noch keine Rolle spielten, war das Wetten auf künftige Präsidenten in den Vereinigten Staaten eine Art Volkssport und ein treffsicheres Prognoseinstrument. Entsprechende Finanzprodukte wurden an der Wall Street gehandelt.

Der amerikanische Wirtschaftsprofessor Paul Rhode hat analysiert, dass zwischen 1884 und 1920 immer der Favorit der Börse die Wahl gewann, außer anno 1916. Was auch daran lag, dass damals vor allem Männer wetteten und ausschließlich Männer wählen durften. Das Frauenwahlrecht wurde in den USA erst 1920 eingeführt. Auch an den Onlinewetten der Gegenwart beteiligen sich mehrheitlich Männer.

Manches spricht also dafür, dass die Wettquoten, die viele Anhänger von Trump als Indiz für einen Sieg ihres Kandidaten interpretieren, ein maskulines Trugbild sind, zumal Harris viel mehr Frauen als Trump mobilisiert.

Dennoch wächst unter den Demokraten die Unruhe. Kamala Harris müsse noch offensiver bei schwarzen Männern für sich werben und, ja, natürlich auch bei Frauen, heißt es. Auf sie wird es ankommen, um ihn zu schlagen.