Aussagen in ARD-Talk - „Beim Bürgergeld arbeiten die nicht“: Die Fakten zu Lindner-These bei Miosga

Auf nichts ist weniger Verlass als auf die öffentliche Meinung: Wurde FDP-Chef Christian Lindner und Ex-Finanzminister Christian Lindner noch bis vor kurzem für jede kritische Äußerung zum Bürgergeld gelobt, weil er sich damit als Ampel-Rebell profilierte, fliegen ihm nun diese Äußerungen um die Ohren.

So geschieht es gerade nach seinem Auftritt in der ARD-Talksendung von Caren Miosga. Dort forderte Lindner, der mit seinen Liberalen in der Ampel-Regierung das Bürgergeld mit eingeführt hat, den Regelsatz jetzt um 24 Euro zu senken.

Lindner bei Miosga zu Bürgergeld

„Die Menschen könnten auch arbeiten!“, begründete Lindner seine Forderung und fügte hinzu: „Beim Bürgergeld arbeiten die nicht!“ Das sei „Fake News“, damit suggeriere der FDP-Mann im Prinzip, dass alle Bürgergeldempfänger faul auf dem Sofa liegen und sich von der arbeitenden Bevölkerung aushalten lassen, monieren nun Online-Publikationen wie etwa „Der Westen“.

Was ist dran an Lindners Einschätzung? Diese fünf Fakten sollten alle kennen, die sich mit dem Thema beschäftigen:

1) Totalverweigerer sind eine Minderheit

Die „Totalverweigerer” genannten Bezieher, die weder (regulär) arbeiten wollen noch an Maßnahmen der Jobcenter teilnehmen, fallen offiziell kaum ins Gewicht. Bundesweit wurden zuletzt knapp 20.000 Sanktionen gegen solche „Kunden” verhängt.

Insgesamt beziehen derzeit rund 5,6 Millionen Menschen in Deutschland Bürgergeld von denen laut Arbeits- und Sozialministerium (BMAS) etwa vier Millionen erwerbsfähig sind.

Allerdings ist die Arbeitsverwaltung auch gutwillig und geht zunächst stets vom Mitwirkungswillen der angeblich Berechtigtenaus. Strafen gelten als letztes Mittel.

Das BMAS spricht von „hartnäckigen Verweigerern“, denen nach entsprechenden Verwarnungen das Bürgergeld bis zu zwei Monate lang entzogen werden kann.

2) Die Hälfte arbeitet und bekommt Bürgergeld

Unter den vier Millionen Erwerbsfähigen zwischen 15 und 65 Jahren steht eine große Zahl gar nicht für eine Job-Vermittlung zur Verfügung: Sei es, dass sie bereits arbeiten und Bürgergeld als sogenannte Aufstocker beziehen – das sind laut Bundesagentur für Arbeit rund die Hälfte der Erwerbsfähigen. Sei es, dass sie wegen Aus- oder Weiterbildung keinen Job annehmen können, selbst krank sind oder kranke Angehörige pflegen.

3) Migranten profitieren überproportional vom Bürgergeld

Unter den Berechtigten zum Bezug von Bürgergeld sind überproportional viele Ausländer: rund die Hälfte. Das ist deutlich mehr, als es dem prozentualen Anteil von Ausländern generell an der Gesamtbevölkerung entspricht: Laut Statistischem Bundesamt sind rund 16,5 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen keine deutschen Staatsangehörigen. Womit der Begriff des „Bürgers” ad absurdum geführt wird, denn als solcher gilt genau genommen nur der Staatsbürger, also der mit deutschem Pass. Das Bürgergeld allerdings gibt es für jeden, der in Deutschland rechtmäßig ansässig ist.

Laut Bundesagentur für Arbeit sind viele Migranten auch in einfache Jobs nur schwer vermittelbar, weil grundlegende Kenntnisse fehlen. Die vergleichsweise hohe Zahl von ausländischen Bürgergeldempfängern erklärt sich im Fall von Zuwanderern aus arabischen und insgesamt muslimischen Ländern wie Somalia, Eritrea, Pakistan oder Nigeria auch durch die traditionell große Zahl von Familienangehörigen, vor allem Kindern, die ebenfalls berechtigt sind. Bevorzugt behandelt werden beim Bürgergeld zudem Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die rund 13 Prozent der Bezieher ausmachen.

4) Das Bürgergeld genügt zum Leben

Das Bürgergeld ist mit 563 Euro für Alleinstehende und 506 Euro für Verheiratete je Person nicht sonderlich üppig, es soll aber mit anderen Hilfen wie Wohn- und Heizungsgeld knapp zum Leben reichen, zumal wenn mehrere Empfänger zusammenleben.

Ein Bezieher von Bürgergeld in München kommt mit dem Regelsatz, dazu 849 Euro für Wohnen/Miete und 460 Euro für Wohnnebenkosten auf monatlich 1872 Euro Sozialleistungen.

Bezahlt wird auch die Kranken- und Pflegeversicherung. Für jedes Kind gibt es darüber hinaus beim Bürgergeld zwischen 357 und 471 Euro.

5) Betrüger diskreditieren das Bürgergeld

Immer wieder tauchen gut belegte Beispiele auf, wie Abzocker das Geld, das ihnen der Staat aus Steuermitteln überweist, unberechtigt einstreichen.

Ein berühmter Fall ist der eines mutmaßlichen Nigerianers, der durch Übernahme zahlreicher Vaterschaften mit entsprechender Provision seinen Fuhrpark finanziert und ihn auch gern öffentlich vorzeigt. Mit dem Bürgergeld für mehr als 40 Kinder lässt es sich in Nigeria wohl leben.

Andere fallen auf, wenn zum Beispiel nach einer Festnahme herauskommt, dass sie unter verschiedenen Namen bei Jobcentern quer durch die Republik ihre Bezugsquellen haben.

Jüngstes Beispiel: Ein Iraner, der in Krefeld mutmaßlich mehrere Brände legte, besaß offenbar 27 verschiedene Identitäten, so die Landesregierung Nordrhein-Westfalen. Mit diesen stellte er jeweils Asylanträge.

Nicht zuletzt, um solchen Missbrauch einzudämmen, beschloss man die Einführung der persönlichen Bezahlkarte für Asylbewerber anstelle von Barauszahlungen. Ein weiterer Gedanke dabei: Die Überweisung von Mitteln aus dem Bürgergeld etwa an Schlepper in den Heimatländern zu unterbinden.

Ein weiteres Problem: das Bürgergeld und die Schwarzarbeit. Es gibt bislang kaum Möglichkeiten für die Jobcenter, Schwarzarbeit zuverlässig aufzudecken – zwischen den Agenturen und dem ermittelnden Zoll stehen offenbar unüberwindliche Brandmauern statt Vernetzung.

Unter dem Strich hat Lindner also nicht differenziert genug geantwortet, was als Wahlkämpfer, der er jetzt ist, verständlich ist. Als ehemaliger Finanzminister weiß er es allerdings besser.