Exklusives Interview mit FOCUS online - „Die Zeit drängt“ – Top-Ökonom Lars Feld warnt vor Firmenflucht ins Ausland
Der IWF rechnet dieses Jahr mit 0,2 Prozent Wirtschaftswachstum in Deutschland. Was würden Sie, ganz einfach erklärt, tun, um die Prognose zu verbessern?
Feld: Ich würde die Rahmenbedingungen allgemein so verbessern, dass wir insbesondere beim Mittelstand eine größere Investitionsfreude schaffen.
Wie das?
Feld: Indem wir Arbeitskosten und Energiekosten reduzieren. Angesichts der Rahmenbedingungen wäre es zwar leichter, Steuerbelastung und Regulierungskosten herabzusetzen. Dies ist jedoch politisch nicht ganz einfach, weil innerhalb der Bundesregierung Interessen gegeneinanderstehen.
Warum?
Feld: Einer Entschärfung des Arten- oder des Lärmschutzes, um Infrastrukturinvestitionen zu erleichtern, stimmen nicht alle Koalitionspartner mit Freude zu. Ähnlich ist es beim Datenschutz und beim Arbeitsrecht.
Der Mittelstand ächzt tatsächlich unter vielen Regularien. Ein Werk, das in den USA innerhalb von elf Monaten steht, baut man in Deutschland eher in drei Jahren.
Feld: Ja, das ist absurd: Es fängt ja schon mit dem Zeitpunkt an, zu dem Sie den Bauantrag stellen. Stellen Sie den im Herbst nach der Sommerpause und das Problem könnte sein, dass es am Bauort eine seltene Insektenart gibt, dann warten Sie ganz sicher die neun Monate bis zum Frühjahr, um dann, wenn die Larven geschlüpft sind, zu überprüfen, wie selten die Käfer sind. Was wir uns da mittlerweile leisten, kann einfach nicht sein.
Was kann man steuerpolitisch tun?
Feld: Der Bund könnte den Solidaritätszuschlag stufenweise abschaffen. Der Rest-Soli liegt inzwischen zu deutlich mehr als der Hälfte auf unternehmerischen Einkünften. Wenn es diese Bundesregierung nicht schafft, dann wird das Bundesverfassungsgericht dies anordnen. Die Chancen stehen relativ gut, dass der Soli dann abgeschafft wird.
Und deswegen könnte die Bundesregierung das direkt freiwillig machen?
Feld: Dann hätte sie zumindest den politischen Vorteil. Wenn sie vom Verfassungsgericht gezwungen wird, dann hat sie keine politischen Vorteile.
Was schlagen Sie darüber hinaus vor oder würden Sie es beim Soli belassen?
Feld: Der Soli hat vom Finanzvolumen schon genügend Wumms, würde ich sagen. Das wären mittlerweile gut zehn Milliarden Euro im Jahr. Das muss der Bundeshaushalt erstmal jährlich verkraften. Bei anderen Maßnahmen bin ich zurückhaltend. Bei der Körperschaftsteuer oder der Gewerbesteuer müssten ja die Länder mitmachen. Und die Länder sind bisher nicht bereit gewesen, Abstriche zu machen. Wenn der Leidensdruck bei den Ländern hinsichtlich der Wirtschaftsentwicklung steigt, wäre die Bemessungsgrundlage ein guter Ansatzpunkt.
Wie stehen Sie zum Bürokratieabbau insgesamt, jetzt mal losgelöst von den Kosten?
Feld: Ich habe bereits zwei Punkte angesprochen, also Arbeitsmarktregulierung und Umweltrecht, die vereinfacht werden müssen. Datenschutz ist ebenfalls ein Thema, bei dem ich ansetzen würde. Denn wenn Deutschland bei der künstlichen Intelligenz mehr Entwicklung haben will, dann wird man das deutsche Datenschutzniveau reduzieren müssen.
Sonst sind wir wieder diejenigen, die hinterherhecheln und sich wundern.
Feld: Das sind wir sowieso. Man kann die jüngsten Nachrichten über Unternehmensentscheidungen auch als Alarmsignale verstehen. Die werden gern relativiert, weil es Einzelbeispiele sind. Aber nehmen Sie die Erweiterungsinvestition, die BioNTech vorgenommen hat, die fand nicht in Mainz statt, sondern in England. Erstens, weil die Baugenehmigung für das Werk schneller da war, zweitens wegen der Genehmigung von Tierversuchen. Die Pharmaindustrie kommt nicht ohne Tierversuche aus, in Deutschland ist das aber extrem schwierig. Hinzu kommt, dass BioNTech die Datenauswertung auf einem ganz anderen Niveau durchführen kann, weil der britische Datenschutz im Gesundheitswesen nicht so stark ausgeprägt ist wie in Deutschland. Um Forschungsergebnisse entsprechend evaluieren zu können, brauchen Sie nun mal Daten, und zwar eine große Menge an Daten. Schließlich gibt es wohl steuerliche Gründe für den Wechsel. BioNTech könnte vielleicht zukünftig nicht mehr in Deutschland versteuern; Rheinland-Pfalz würde wieder Nehmerland im Finanzausgleich.
Zum Abschluss: Was wäre ein Grund, warum sie zuversichtlich sind, dass wir unsere wirtschaftliche Situation geregelt kriegen?
Feld: Ich will die Alarmsignale, insbesondere die Erweiterungsinvestitionen des Mittelstandes im Ausland, nicht relativieren. Die sind alarmierend! Wenn eine Firma wie Stihl lieber in der Schweiz die nächste Erweiterung vornimmt, was ja wirklich kein Niedrigkostenstandort ist, oder eine Firma wie Miehle Arbeitsplätze in Deutschland ab- und in Polen aufbaut, dann ist das besorgniserregend. Aber auf der anderen Seite muss man beachten, dass es dieses Land sowohl politisch als auch gesellschaftlich immer wieder geschafft hat, in schwierigen Phasen umzusteuern, – und zwar besser, als es unsere europäischen Partner in Frankreich, Italien oder Spanien in der Vergangenheit hinbekommen haben.
Wie viel Zeit haben wir dafür?
Feld: Die Zeit drängt.