Bei Empfänger-Streit mit Jobcenter: Wichtiges Bürgergeld-Instrument kaum genutzt
Schlichten statt streiten: Das neue Verfahren für Bürgergeld-Empfänger soll Konflikte lösen – Experten sehen Chancen, aber auch deutliche Grenzen.
Hamm – Seit der Bürgergeldreform im Juli 2023 gibt es ein neues Instrument zur Konfliktlösung zwischen Jobcentern und Leistungsberechtigten: das sogenannte Schlichtungsverfahren. Es soll Auseinandersetzungen rund um den Kooperationsplan deeskalieren und Lösungen ermöglichen. Doch obwohl das Verfahren gesetzlich verankert ist, wird es bislang kaum genutzt. Eine erste Bilanz zeigt: Die Erwartungen an das Instrument sind groß, die Realität jedoch ernüchternd.
Schlichtungsverfahren bei Bürgergeld soll Meinungsverschiedenheiten lösen
Mit dem Bürgergeld wurde der frühere Zwangscharakter der Eingliederungsvereinbarung durch den Kooperationsplan ersetzt – ein freiwilliges, nicht rechtsverbindliches Dokument, das Vereinbarungen über Leistungen und Pflichten zwischen Jobcenter und Bürgergeldbeziehenden festhält. Kommt es bei der Erstellung dieses Plans zu Meinungsverschiedenheiten – etwa über zumutbare Eigenbemühungen –, kann ein Schlichtungsverfahren nach § 15a SGB II eingeleitet werden.
Kooperativer statt konfrontativer Ansatz: „Beratung auf Augenhöhe“ für Bürgergeldempfänger
Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ist das Ziel, eine „kooperative Beratung auf Augenhöhe“ zu fördern. Der entscheidende Unterschied zur früheren Praxis: Die Eingliederungsvereinbarung enthielt stets eine Rechtsfolgenbelehrung, bei deren Missachtung Leistungskürzungen drohten. Der Kooperationsplan hingegen hat keine rechtliche Verbindlichkeit – und die Schlichtung bietet neue Spielräume zur Einigung, ohne sofort Sanktionen nach sich zu ziehen.
Das Gesetz sieht keine einheitliche Umsetzung vor. Jedes Jobcenter organisiert das Verfahren selbst. Laut der Online-Jobcenter-Befragung OnJoB, durchgeführt im Frühjahr 2024, geben 70 Prozent der befragten Geschäftsführungen an, das Schlichtungsverfahren intern durchzuführen – meist mit eigenem Personal. Nur elf Prozent setzen auf externe Stellen, etwa Beratungsstellen oder andere Behörden. Diese könnten laut IAB Bedenken hinsichtlich der Unparteilichkeit entgegenwirken, so Sarah Bernhard, eine der Autorinnen des IAB-Forschungsberichts 17/2024.
Schlichtungsverfahren kaum genutzt – trotz Konfliktpotenzial
Trotz rechtlicher Verankerung bleibt die Nutzung des Schlichtungsverfahrens bisher gering. Zwischen Juli 2023 und Januar 2025 wurden bundesweit lediglich rund 200 Fälle dokumentiert – und das in nur 87 von 300 Jobcentern mit gemeinsamer Trägerschaft. Das Verfahren scheint vielen Bürgergeld-Empfänger bekannt zu sein oder wird als zu bürokratisch wahrgenommen.
Viele Leistungsberechtigte wissen nicht einmal, dass es das Verfahren gebe, so die Kritik im IAB-Forschungsbericht 4/2025. Auch wenn Jobcenter verpflichtet sind, über die Schlichtung aufzuklären, ist fraglich, ob diese Informationen bei den Betroffenen ankommen – insbesondere bei Menschen mit geringem Regelwissen oder Sprachbarrieren. Ein weiteres Hindernis: Das Verfahren ist auf Konflikte beim Erstellen des Kooperationsplans beschränkt. Fragen zur Umsetzung oder zu Leistungen sind ausgeschlossen – was das Einsatzfeld erheblich einschränkt.
Wie sehen die Jobcenter selbst das neue Instrument? Die Bewertung fällt laut IAB eher verhalten aus. Die Mehrheit der Geschäftsführungen sieht zwar ein gewisses Potenzial zur Konfliktlösung – die Zustimmung liegt jedoch meist unter 50 Prozent. Nur eine Minderheit glaubt, dass das Schlichtungsverfahren Vertrauen stärkt oder das Image des Jobcenters verbessert. Laut IAB wird das Verfahren im Vergleich zu anderen Bürgergeld-Neuerungen wie dem Kooperationsplan oder dem Weiterbildungsgeld am kritischsten bewertet. Entscheidend scheint die Tatsache zu sein, dass das Verfahren weder zu einem verbindlichen Ergebnis führt noch unmittelbare rechtliche Konsequenzen hat. Ohne Verbindlichkeit fehle schlichtweg der Druck zur Einigung.
Trotzdem fügt sich das Schlichtungsverfahren in ein größeres Mosaik an Konfliktlösungsmechanismen ein. Jobcenter bieten laut IAB auch interne und externe Mediation, Ombudsstellen und das sogenannte Kundenreaktionsmanagement an – eine Art Beschwerdestelle, mit dem Ziel, die Qualität der Beratung zu sichern. Allerdings ist nur das Schlichtungsverfahren gesetzlich verankert. (ls)