Norwegens Turbo für die Energiewende - Nach sensationellem Rohstoff-Fund bleibt Europa nur noch eine große Hürde
Energiewende hängt von Seltenen Erden ab
Für Trond Watne, Chefgeologe von Rare Earths Norway, ist der „Fund ein Meilenstein. Er könnte von großer Bedeutung für die lokale Kommune, aber auch für Norwegen und ganz Europa sein“, so Watne. Das Unternehmen schätzt, dass damit zehn Prozent des europäischen Bedarfs an Seltenen Erden gedeckt werden könnten.
Der Hintergrund: In einem riesigen, 559 Millionen Tonnen schweren Gesteinsbrocken stecken vermutlich 8,8 Millionen Tonnen Seltene Erden. Darunter befinden sich mindestens 1,5 Millionen Tonnen Neodym und Praseodym - Elemente, die für alle hochtechnologischen Anwendungen von zentraler Bedeutung sind.
Die Seltenen Erden stecken in den Permanentmagneten der Windkraftanlagen, in den Magneten der Elektroauto-Motoren, auch in Solarzellen, Displays, Festplatten oder Energiespeicher-Akkus. „Alle unsere „Wenden“, vor allem die Mobilitätswende und die Energiewende, hängen davon ab, dass wir über die diese Rohstoffe frei verfügen können“, sagt Jochen Kolb, Professor für Geochemie und Lagerstättenkunde am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Genau dies können Europa und der Weltmarkt jedoch bislang nicht.
Denn: 80 Prozent der Seltenen Erden, die Europa benötigt, lagern in China. Doch der fernöstliche Wirtschaftsgigant besitzt nicht nur hier das weltweite Monopol. Zusammen mit Malaysia besitzt China allein das Know-How, um die Seltenen Erden aus dem Gestein herauszulösen, sagt Kolb. Ohne dieses Know-How können die riesigen Funde aus Norwegen nicht weiterverarbeitet werden. „Wenn man Eisenerz gewinnt, hilft das nichts, wenn man kein Stahlwerk hat“, vergleicht Jochen Kolb die Situation.
Europa braucht eigene Fabriken für Seltene Erden
Das bedeutet konkret: „Könnte Norwegen heute mit dem Abbau des Erzkonzentrats beginnen, müsste man das Gestein nach China und Malaysia bringen, um es dort weiterzuverarbeiten, damit es dann bei uns in der Industrie wieder eingesetzt werden kann“, so Kolb. Die Abhängigkeit zu China bliebe somit bestehen.
Die einzige Lösung laut Jochen Kolb: „Um von China unabhängig zu werden, müssen wir dieses Know-how selbst entwickeln. Dafür braucht es Forschungsgelder.“ Mit zehn bis 20 Millionen Euro wäre Deutschland in der Lage, eigene Fabriken zu entwickeln, in denen die Seltenen-Erden-Oxyde herausgelöst werden, sagt Kolb. „Wenn ich bedenke, dass wir Milliarden Euro für Chip-Fabriken ausgeben, wäre das eine Kleinigkeit.“
Aber ein wichtiger weiterer Schritt. Nicht nur für die wirtschaftliche Unabhängigkeit von China, sondern auch im Sinne von Umwelt- und Arbeitsrechte-Standards. „In China sind diese Bereiche intransparent.“ Forschungen für eigene Fabriken zur Weiterverarbeitung von Seltenen Erden liefen bereits in Aachen und Freiberg, sagt Kolb. In Polen will ein kanadisches Unternehmen eine Aufbereitungsanlage bauen, Polen soll zum „Drehkreuz für Seltene Erden“ werden.
Fund in Norwegen kann zur Veränderung des Weltmarktes führen
Und es gibt noch weitere Unwägbarkeiten: Wie das Unternehmen Rare Earth Norway in seiner Presseerklärung selbst einräumt, ist noch nicht hunderprozentig sicher, dass im Fen Carbonatite Complex das größte Vorkommen Seltener Erden in Europa liegt. Bei dem Fund handele es sich zunächst um mögliche „Ressourcen“, nicht um gesicherte „Reserven“, sagt Kolb. Das Unternehmen habe mit Probebohrungen in dem 559 Millionen Tonnen schweren Gesteinsmassiv des erloschenen Vulkans eine Wahrscheinlichkeitsrechnung angestellt und danach vermutet, dass 8,8 Millionen Tonnen Seltene Erden dort lagern: „Der Abstand zwischen den Bohrungen ist aber noch zu groß, um mit Sicherheit sagen zu können, wie groß die Menge ist.“
Klar ist aber auch für ihn: „Die Menge ist groß.“ Der Fund könnte eine „Diversifizierung des Weltmarktes“ auslösen, die Abhängigkeit von China könnte gebrochen werden. „Daher ist ist die Entdeckung ein Meilenstein“, sagt Kolb. Nun müsse schnell geklärt werden, wie groß das Vorkommen tatsächlich ist, und dann müsse im norwegischen Bezirk Telemark, wo der Vulkan liegt, eine Infrastruktur mit Bergbau und Wiederaufbereitungsanlage gebaut werden.
Für Kolb sind diese lokalen Infrastrukturen von zentraler Bedeutung, „um sich mittelfristig aus der Abhängigkeit von China zu lösen.“ Er glaubt, dass Norwegen in den kommenden fünf Jahren die Fabriken und das Know-How aufgebaut haben wird, um die Seltenen Erden zu fördern und weiterzuverarbeiten. Dies werde dann einen „Schub für die Energie- und Mobilitätswende bringen“.
„In Europa auch wieder Bergbau betreiben“
Rohstoff-Experte Kolb erhofft sich durch Funde wie in Norwegen einen Mentalitätswechsel und ein größeres Bewusstsein für Rohstoffe: „Wir müssen unserer Gesellschaft klar machen, dass wir, wenn wir den Weg der Energiewende gehen wollen, in Europa auch wieder Bergbau betreiben müssen.“
Der habe in Deutschland ein schlechtes Image. „Unser Bild vom Bergbau ist in den Siebzigerjahren hängengeblieben“, sagt Kolb. Dabei habe sich der Bergbau in den vergangenen 40 Jahren weiterentwickelt. Schweden mache es vor: Das skandinavische Land habe eine große Eisenerzindustrie. „Sie bauen Zink, Eisen, Blei und Kupfer ab. Das ist für den technischen Fortschritt alles nötig“, sagt Kolb. Schweden nutze die eigenen Rohstoffe und treibe die technologische Entwicklung voran. „Und die haben sicher nicht die niedrigsten Umweltstandards.“