Analyse zum Machtkampf - Die 3 Argumente für Scholz: Warum sich die SPD gegen Pistorius entschied

. Damit gibt der populäre Bundesverteidigungsminister den Weg frei für Kanzler Olaf Scholz, der seit geraumer Zeit auf miserable Umfragewerte kommt.

Pistorius: „Wir haben mit Olaf Scholz einen hervorragenden Bundeskanzler“

Dem war eine tagelange und öffentlich geführte Debatte  vorausgegangen, in deren Reihen der Ruf nach einer Kandidatur von Pistorius zuletzt immer lauter geworden war. Bei einer Mitgliederabstimmung hätte Pistorius mit großer Wahrscheinlichkeit das Rennen gemacht. Der Minister seinerseits hatte bis zu dem Video von einem dezidierten Verzicht auf seine Kandidatur abgesehen. Offenkundig spielte er zumindest vorübergehend mit der Überlegung, diese Führungsrolle zu übernehmen.

Es sei seine souveräne, persönliche und ganz eigene Entscheidung, versicherte Pistorius jetzt allerdings. Und er lobte: „Wir haben mit Olaf Scholz einen hervorragenden Bundeskanzler“, der für „Vernunft und Besonnenheit“ stehe. Das sei gerade in Zeiten globaler Unsicherheit von besonderer Bedeutung. „Er ist der richtige Kanzlerkandidat“, sagte der Minister.

In einer Telefonschaltkonferenz der SPD-Bundestagsfraktion und des Parteivorstands bedankte sich am Donnerstagsabend der Kanzler für die „Solidarität“, die ihm entgegengebracht worden sei. Nach Aussagen von Teilnehmern habe Olaf Scholz in seiner kurzen Ansprache erklärt, dass die Ampelkoalition nicht an der SPD gescheitert sei. Am Montag sollen die SPD-Gremien die erneute Kandidatur von Scholz förmlich beschließen.

Grüne und SPD liegen aktuell in den Umfragen dicht beieinander

Der Kanzler will, nach diversen Verzögerungsversuchen, nunmehr am 11. Dezember im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Darüber wird voraussichtlich am 16. Dezember abgestimmt. Durch eine erwartete Niederlage macht Scholz damit den Weg frei für vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar 2025. Dabei wird Scholz gegen Friedrich Merz (CDU) als Kandidat der Union und gegen Robert Habeck als Kandidat der Grünen antreten.

Grüne und SPD liegen aktuell in den Umfragen dicht beieinander. Die AfD hat ihre Co-Vorsitzende Alice Weidel als Kanzlerkandidatin nominiert; die Partei könnte nach aktuellen Umfragen auf Platz 2 hinter der dominierenden Union kommen, hat aber aufgrund der „Brandmauer“-Politik von CDU/CSU und einem Nein zur Zusammenarbeit aller anderen Parteien keine realistischen Chancen auf das Kanzleramt.

Spitzenkandidatin der BSW ist die Ex-Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht, während die FDP vom vormaligen Bundesfinanzminister Christian Lindner ins Rennen geführt wird. BSW, in den Umfragen im November zwischen 4 und 7,5 Prozent liegend, und FDP, zwischen 3 und 5 Prozent, haben auf die Proklamierung von „Kanzler“-Kandidaten verzichtet.

Die Entscheidung der SPD für Scholz lässt drei Rückschlüsse auf ihren Kurs im Wahlkampf zu, der jetzt begonnen hat:

1) Die SPD als „Friedens- und Stabilitätspartei“

Scholz wie Pistorius treten für eine Unterstützung der Ukraine ein, aber beide tun dies mit angezogener Handbremse und argumentieren beispielsweise gegen eine Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper an Kiew.

 Allerdings tritt der einstige Bundeswehr-Obergefreite Pistorius deutlich soldatischer auf als der Wehrdienstverweigerer Scholz. So forderte Pistorius im Herbst, Deutschland müsse sich „kriegstüchtig“ machen. Mit einer solchen Formulierung wartete der Kanzler nicht einmal in seiner „Zeitenwende“-Rede nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2023 auf.

Dies wird darum die Taktik der SPD sein: Während die Grünen und die Union als „Eskalierer“ dargestellt werden, wird Scholz sich als Garanten der Stabilität präsentieren. Von Wagenknecht, die sich ebenfalls als „Friedenspolitikerin“ inszeniert, wird sich Scholz dadurch abgrenzen, dass er solidarisch ist mit Kiew und Putin klare, auch militärisch definierte Grenzen setzen wird.

 Pistorius wäre hingegen von Wagenknecht wie der Friedensbewegung und den auch am linken Flügel der SPD starken Pazifisten als Kriegstreiber denunziert worden. Das wollte die SPD nicht riskieren. Die Botschaft: Mit Scholz hinarbeiten auf einen vernünftigen Frieden in Europa, ohne Russlands Forderungen eins zu eins zu erfüllen.

2) Erfahrung statt Popularität

Scholz trauen nach dem letzten ARD-Infratest-Ranking ganze 21 Prozent der Deutschen zu, ein guter Kanzler zu sein, bei Pistorius sind es fast dreimal so viele (60 Prozent). Im INSA-Politiker-Ranking liegt Pistorius in Sachen Beliebtheit auf dem ersten und Olaf Scholz auf dem letzten Rang, nämlich Platz 20. Die Entscheidung für den Minister hätte mithin den Reiz des Neuen und die Magie der positiven Zahlen mitgebracht.

Aber Pistorius profitierte zweifellos auch von der Schwäche seines Parteifreundes im Kanzleramt und wurde insofern überschätzt. Hätte Scholz das Feld geräumt, wäre Pistorius mit Fragen konfrontiert worden zu Themen, auf denen der Law-and-Order-Politiker in seinen bisherigen Ämtern auf Kommunal-, Landes- und Bundeseben keine Kompetenz entwickelt hat, insbesondere zur Stimulierung der Wirtschaft und zur Inflationsbekämpfung.

Nunmehr wird Scholz antreten und auf seine langjährige Erfahrung als Finanzminister und Kanzler verweisen. Und die miserable Bilanz der Ampel? Die wird Scholz im Wahlkampf voll und ganz der FDP und ihrer Weigerung anlasten, die Schuldenbremse aufzuweichen – und partiell den Grünen und ihrem Hoffnungsträger Robert Habeck, von deren ideologiegespeisten Heizungsgesetz er sich zugunsten „pragmatischer Lösungen“ absetzen wird.

3) Kontinuität statt Experiment – keine Biden-Harris-Kopie

Die Delegierung der Spitzenkandidatur an Pistorius hätte für einen Moment die SPD in den Zahlen nach oben gebracht. Aber die massive Niederlage der Demokraten und der Triumph von Donald Trump in den USA zu Beginn des Monats hat gezeigt, dass ein solches Wechseln der Pferde kurz vor dem Ziel nicht wirklich hilft. Kamala Harris brachte zu wenig Erfahrung mit, zeigte zu geringe Kompetenz, und das hätten die Wahlkämpfer der Opposition, die Union allen voran, auch bald Pistorius vorgeworfen.

Jetzt sagt die SPD stattdessen: Wir setzen auf Kontinuität!

Zusammengefasst: Boris Pistorius wurde von den Parteigremien letztlich als Sitzriese empfunden, als ein Herr Tur Tur aus den Michael-Ende-Romanen, der geschrumpft wäre, je näher der Wahltag gekommen wäre. Olaf Scholz hat in der Bundestagswahl 2021 schon einmal überrascht, als nur einer mit seinem (knappen) Sieg über CDU-Mann Armin Laschet gerechnet hatte – nämlich Olaf Scholz selbst. So wurde er Kanzler wider Erwarten und das, so möchte der Titelverteidiger jedenfalls seine Anhänger glauben machen, wird sich im Februar wiederholen.