„Weg für eine Konfrontation ist geebnet“: Nato reagiert auf Russlands Ansprüche in der Arktis
Lange galt die Nordpolar-Region als sicherheitspolitische Idylle. Tatsächlich aber treibt Russland deren Militarisierung voran. Die Nato reagiert.
Das Abkommen bot auf den ersten Blick nichts Überraschendes: Norwegens US-Botschafter Marc Nathason unterzeichnete Anfang Februar das Supplementary Defense Cooperation Agreement mit dem nordischen Nato-Partner. Die US-Streitkräfte erhalten zusätzlich zu den schon seit 2021 genutzten vier militärischen Einrichtungen der Norweger Zugang zu weiteren acht. Bei genauerer Betrachtung wird die Eile sichtbar, mit der die USA ein strategisches Defizit im hohen Norden kompensieren wollen. Anders als im Rest von Europa ist die stärkste Militärmacht der Welt seit dem Kalten Krieg vom Polarkreis fast verschwunden.
Ohne die Fähigkeiten des US-Militärs geht normalerweise wenig, wie man an der derzeitigen Nato-Übung sieht. Bei „Steadfast Defender“ operieren so viele US-Truppen auf dem europäischen Festland wie seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht mehr. In der Arktis allerdings sind die USA auf ihre Verbündeten angewiesen.
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Diese Analyse liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Security.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte sie Security.Table am 9. Februar 2024.
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Arktis rückt in den Fokus der Nato
Bereits im Dezember 2023 haben das neue Nato-Mitglied Finnland und Schweden, das demnächst zur Nato gehören soll, in Washington ähnliche Abkommen wie Norwegen unterzeichnet. Lappland, Finnlands nördlichste Region, ist mit dem größten Truppenübungsplatz Europas in Rovajärvi, seinem Luftwaffenstützpunkt Rovaniemi und dem Grenzschutzstützpunkt Ivalo ein strategisch wichtiger Drehpunkt für militärische Operationen der USA. „Die Arktis rückt immer mehr in den Vordergrund, auch für die USA und die Nato. Die reaktiven Abschreckungsmaßnahmen, die sie jetzt ergreifen, sind nur folgerichtig“, erklärt Michael Paul, Arktis-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Die Antwort aus Moskau ließ denn auch nicht lange auf sich warten. „Dies steht voll und ganz im Einklang mit der Politik der militärischen Aufrüstung und des aktiven Engagements der Nato in der Arktis“, verlautete Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums. Die idyllischen Zeiten, in denen die Nordpolar-Region als Hort friedlicher Koexistenz galt, sind vorbei.
Der Arktische Rat, dem die acht Anrainerstaaten angehören, hat seine Konsultationen seit dem russischen Angriff auf die Ukraine eingestellt, auch weil Russland von 2021 bis 2023 offiziell den Vorsitz führte. Zwar war der Rat, eine Art zwischenstaatliches Gremium, nie für Sicherheitsfragen zuständig, diente aber der Kommunikation. Vor allem der Gesprächsfaden zu Russland ist gerissen.
Weg für Konfrontation geebnet
„Der kooperative Ansatz von früher existiert nicht mehr“, sagt Carlo Masala, Politikprofessor an der Universität der Bundeswehr in München. Er hält die momentane Situation für gefährlich, beschreibt sie zwischen den USA und Russland als zunehmend „kompetitiv“: „Der Weg für eine Konfrontation ist geebnet, ähnlich wie in den 1960er- und 1970er-Jahren.“
Russlands Präsident Wladimir Putin machte Ende Dezember klar: Eine erhöhte Präsenz in der Arktis habe für Russland „unbestreitbare Priorität“. Die neue Marinestrategie aus dem Jahr 2022 erklärt, warum. Russland hat eine 25.000 Kilometer lange, fast unbewohnte Küste am Arktischen Ozean, die durch einen Eispanzer weitgehend geschützt ist. Noch, müsste man sagen. Durch den Klimawandel, so schätzen Experten, könnte schon 2035 ein weitgehend eisfreier Arktischer Ozean Realität sein. Dies macht Schiffspassagen einfacher und ermöglicht einen größeren Zugang zu den Öl- und Gasreserven.
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„Die Nordpolar-Region war für Russland immer von großer strategischer Bedeutung, das ist nichts Neues. Annähernd 50 Prozent der Arktis ist russisch. Schon Putins Rede 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz markiert den Beginn einer Remilitarisierung der Arktis“, sagt SWP-Experte Paul. Wie abgestimmt, hissten russische Meeresforscher einige Monate später spektakulär eine Flagge auf dem Meeresboden am Nordpol – in mehr als vier Kilometer Tiefe.
Russland beansprucht weite Teile der Arktis
Neu ist allerdings, dass Russland auf immer weitere Gebiete Ansprüche erhebt. Auf einem der letzten Treffen des Arktischen Rates im Mai 2021 erklärte Außenminister Sergej Lawrow, die gesamte Arktis sei „unser Territorium“. Seit Jahren reaktiviert Russland bereits stillgelegte militärische Stützpunkte. Im Dezember weihte Putin in Sewerodwinsk am Weißen Meer zwei neue Atom-U-Boote ein, von denen Interkontinentalraketen mit einer Reichweite von bis zu 8.000 Kilometern abgeschossen werden können. Sie sind ein Herzstück der russischen Nuklearstrategie. Überdies kündigte der Präsident Ende Januar den Bau zweier atomar betriebener Eisbrecher an.