Neues Säbelrasseln des Iran: Raketenangriffe schüren Angst vor Eskalation im Nahen Osten
Die Lage im Nahen Osten spitzt sich zu: Der Iran hat Raketen auf den Irak und Syrien abgefeuert. Eine Analyse, zu den Folgen des Angriff für den Israel-Krieg.
Tel Aviv/Teheran – Seit über 100 Tagen ist der Krieg in Israel das bestimmende Thema im Nahen Osten. Nahezu jede neue Entwicklung schürt Sorge vor einem ein Flächenbrand, der mehrere Länder in einen größeren Krieg hinein. An mehreren Nebenschauplätzen drohen Kämpfe zu eskalieren. Mit den jüngsten Raketenangriffen der iranischen Revolutionswächter auf Ziele im Irak und in Syrien positioniert sich Teheran erstmals offensiv im Israel-Krieg. Die Folgen für den Nahen Osten sind ungewiss.
Iran startet Angriff auf Irak und Syrien: Wohl Mossad-Zentrale als Ziel
Nach eigenen Angaben hat die iranische Revolutionsgarde (IRGC) mehrere ballistische Raketen auf Ziele im Irak und in Syrien abgefeuert. Bereits am Dienstag (16. Januar) verkündeten sie auf einem offiziellen IRGC-Kanal, die Angriffe seien Rache unter anderem für den Anschlag in der südiranischen Stadt Kerman Anfang Januar sowie Tötung eines hochrangigen IRGC-Offiziers Ende Dezember.
Ziel der Attacke im Nordirak: eine Spionagezentrale des israelischen Geheimdienstes Mossad. „Heute Abend wurden ballistische Raketen eingesetzt, um Spionagezentren und Versammlungen antiiranischer Terrorgruppen in der Region zu zerstören“, teilten die Revolutionswächter mit. Der Angriff in Syrien galt nach iranischen Angaben der Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Es handelte sich laut der staatlichen Nachrichtenagentur Irna mit einer Strecke von mehr als 1200 Kilometern um die geografisch bisher weitreichendste Raketenoperation des Iran. In Tel Aviv wird der Angriff wahrscheinlich größere Sorgen hervorrufen. Denn: 1200 Kilometer wäre in etwa die Entfernung, die Raketen aus dem westlichen Iran auch benötigen, um wichtige Ziele in Israel zu erreichen. Die iranische Machtdemonstration könnte damit auch ein klares Signal an den Erzfeind gewesen sein.
Iran greift Irak an: USA reagieren und verurteilen Angriffe im Krieg im Nahen Osten
Ein Sprecher des US-Außenministeriums sagte, dass ein iranischer Angriff in der Nähe der nördlichen irakischen Stadt Erbil am Montag „die Stabilität des Irak untergräbt“. Matthew Miller sagte laut Guardian: „Wir lehnen die rücksichtslosen Raketenangriffe des Iran ab.“ Er fügte hinzu, die USA unterstützen „die Bemühungen der irakischen Regierung und der Regionalregierung Kurdistans, den Hoffnungen des irakischen Volkes gerecht zu werden“.
Dass der Krieg im Gazastreifen und die Auswirkungen auf den Nahen Osten die USA schon länger tiefer in die Konflikte hineinziehen, als von der Regierung gewollt, ist inzwischen ein offenes Geheimnis. Außenminister Antony Blinken bemüht sich seit Ausbruch des Israel-Kriegs um diplomatische Lösungen, er reist regelmäßig in die Region. Und auch vom US-Flugzeugträger „Dwight D. Eisenhower“ aus greifen Kampfjets inzwischen Stützpunkte der Huthi im Jemen an.
Krieg zwischen Hamas und Israel vor Ausweitung: Iran, Hisbollah und Huthis zündeln im Nahen Osten
Was im Oktober als Krieg zwischen der Hamas im Gazastreifen und Israel begann, hat sich nun auf mehrere Schauplätze ausgeweitet: In Nordisrael gibt es immer wieder Gefechte mit der Hisbollah, die Huthis aus dem Jemen beschießen mit Raketen diverse Zeile. Fast drei Monate verhielt sich derweil der Iran auffällig ruhig. Als Strippenzieher im Hintergrund und Unterstützer von anti-israelischen Gruppierungen wird Teheran allerdings bereits in den vergangenen Monaten aktiven Einfluss auf die Angriffe auf Israel gehabt haben.
Zuletzt waren die Töne aus dem muslimischen Land allerdings schriller geworden: Anfang des Jahres entsandte der Iran das Kriegsschiff „Alborz“ ins Rote Meer. Nun, wenige Stunden nach dem jüngsten Raketenangriff des Irans, lobte Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei den Kampf der Huthi-Rebellen gegen Israel. „Die Nation des Jemen und Ansar Allah (Huthi) haben in der Tat eine große Arbeit geleistet“, zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Irna den 84-Jährigen am Dienstag. Ihr Werk sei der Beweis für den Kampf auf dem Weg Gottes. „Wir hoffen, dass diese Bemühungen zum Sieg führen werden“, sagte Chamenei.
Iran als Strippenzieher im Nahen Osten: Kopf hinter israelfeindlichem Bündnis
Die Rolle des Iran im Machtgefüge des Nahen Ostens ist seit der iranischen Revolution in den 1970er Jahren geprägt von tiefgehendem Hass auf Israel. Seit Jahrzehnten unterstützt Teheran etwa die Hamas finanziell und militärisch, zudem führt der Iran die selbsterklärte „Achse des Widerstands“, ein Bündnis aus israelfeindlichen Milizen, an. Sie richtet sich neben dem israelischen Staat auch gegen die militärische Präsenz der USA im Nahen Osten.
Laut Experte Azadeh Zamirirad will der Iran zwar eine weitere Eskalation in der Region vermeiden – dennoch zündele das Land. Obwohl viele Gruppierungen dem Bündnis gegen Israel angehören, hat die „Achse des Widerstands“ in der Region einen schweren Stand. „Sie ist in weiten Teilen der Region unpopulär, weil sie als Mittel Irans wahrgenommen wird, in innere Angelegenheiten der Nachbarstaaten einzugreifen und hier staatliche Kontrolle mit Gewalt zu untergraben“, sagte Zamirirad der Bundeszentrale für politische Bildung im Oktober.
Folgen von Israel-Krieg auf Nahen Osten: Saudi-Arabien und Iran konkurrieren um Vorherschafft
Dass der schiitische Iran seinen Einsatz im Nahen Osten verstärkt, könnte aber auch mit dem Auftreten Saudi-Arabiens zusammenhängen. Die sunnitische Regierung in Riad positioniert sich aktuell an der Seite der westlichen Verbündeten und geht mit der eigenen Flugabwehr gegen Huthi-Angriffe vor. In einem älteren Beitrag stuft das Council on Foreign Relations Saudi-Arabien als wichtigen Faktor für die politische Ordnung der Region ein.
Saudi-Arabien und der Iran stehen in direkter Konkurrenz um die Vormacht im Nahen Osten. Geprägt ist das Verhältnis von strategischer Rivalität und gegenseitigem Misstrauen. Dennoch: Erst im vergangenen Jahr kündigten beide Seiten an, ihre Beziehungen wieder intensivieren zu wollen. Die Tagesschau bewertete die Annäherung Anfang 2023 als Beginn eines möglichen Umbruchs in der Region.
Der Ausbruch des Kriegs in Israel könne diese Bemühungen aber wieder zurückwerfen, urteilte die Zeitschrift für Internationale Politik und Gesellschaft (IPG) vergangenen Oktober. Inwieweit die jüngsten Entwicklungen tatsächlich dauerhaft Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen den beiden Ländern haben wird, bleibt abzuwarten. Sicher ist, dass der Iran mit seinen Raketenangriffen im Krieg im Nahen Osten ein deutliches Signal an Israel und seine Verbündeten gesendet hat – und es ist nicht auszuschließen, dass in den kommenden Tagen weitere folgen. (fbu)