NATO-Großmanöver: Gebirgsjäger aus Mittenwald mitten im Weltgeschehen
Die Fronten in Europa sind verhärtet wie lange nicht mehr. Die Situation wirft Fragen auf. Was, wenn sich die russischen Aggressionen auf weitere Nachbarländer oder gar NATO-Mitglieder ausweiten? Das Bündnis reagiert mit dem größten Abschreckungsmanöver seit Jahrzehnten. 90 000 Streitkräfte werden an die Ostflanke verlegt. Mittendrin: Das Bataillon 233 aus Mittenwald, das in Nordnorwegen Präsenz zeigen soll.
Mittenwald – Wer aktuell durch die Edelweiß-Kaserne in Mittenwald geht, bemerkt sofort: Hier steht ein außergewöhnlicher Einsatz bevor. Sämtliche Fahrzeuge auf dem Gelände wurden in speziellen Tarnfarben bemalt. Darunter auch die für Gebirgsjäger existenziellen Hägglunds. Die Kettenfahrzeuge sind nun allesamt grau, braun und weiß übermalt. Nichts mehr zu sehen vom vertrauten Olivgrün. Der Farbwechsel hat einen Hintergrund: Das Bataillon 233 wird für die nächsten zwei Monate nach Nordnorwegen verlegt. Rund 650 Soldaten nehmen an der Großübung „Quadriga“, dem deutschen Beitrag zur NATO-Operation „Steadfast Defender 2024“, teil. Dabei geht es um nichts Geringeres, als die Vorbereitung für den Ernstfall: eine militärische Eskalation zwischen Ost und West.
Für uns ist das ein riesiger Kraftakt.
„Für uns ist das ein riesiger Kraftakt“, betont Oberstleutnant Bastian Steves. Auch der Kommandeur selbst wird im Polarkreis mit dabei sein. Für ihn und seine Kameraden geht es auf sensibles Terrain –sowohl in politischer als auch klimatischer Hinsicht. Der NATO-Mitgliedsstaat und Russland haben eine rund 200 Kilometer lange gemeinsame Staatsgrenze mit einem Übergang im Nordosten. Dazu kommen extreme Wetterbedingungen. „Der größte Gegner ist mit Sicherheit die Arktis selbst“, verdeutlicht Steves. Eiskalte Temperaturen von bis zu Minus 52 Grad sind jederzeit möglich. Darüber hinaus bedeutet es auch logistisch einen riesengroßen Aufwand, ein ganzes Bataillon samt einer „deutlich dreistelligen Zahl“ an Fahrzeugen zeitweise in ein über 1000 Kilometer entferntes Land zu verlegen. Auf dem Land-, Luft- und Seeweg. „Die Vorbereitungen haben schon begonnen“, bestätigt der Kommandeur. Aktuell sind sogar schon Mittenwalder Jager vor Ort – allerdings im Rahmen der jährlich stattfindenden Übung „Eiskristall“, die Soldaten auf die klimatischen Herausforderung am Polarkreis einstellen soll. Selbiges hat Ende 2023 noch einmal das nahezu gesamte Bataillon gemacht. Nicht aber in Nordnorwegen, sondern am wohl kühlsten Ort, den es im Landkreis gibt.
Auf dem Zugspitzplatt trainierten im vergangenen Dezember insgesamt 600 Soldaten das richtige Verhalten bei eisiger Kälte, testeten neue Spezialkleidung und probten die selbstständige Versorgung. „Alles so authentisch wie möglich“, betont der Sprecher des Bataillons, Oberstleutnant Max-Joseph Kronenbitter. Bei der Vorbereitung achteten die Verantwortlichen auf jedes noch so kleine Detail. So bekamen die Teilnehmer in diesem Zeitraum auch die norwegische Variante der in Bundeswehrkreisen wohlbekannten Einmannpackung (EPa) als Verpflegung. Teilweise herrschten auf gut 2600 Metern Höhe knapp minus 20 Grad. Ein Vorgeschmack auf das, was sie in den kommenden zwei Monaten erwartet.
Steves sieht sich und seine Kameraden für die Zeit im Norden Europas gewappnet. Von Anfang Februar bis Ende März dauert ihre Beteiligung dort voraussichtlich an. Konkret konzentriert sie sich auf die Operation „Nordic Response“, die wiederum eine Teilübung des deutschen Beitrags zum Großmanöver ist.
In Norwegen sind die Gebirgsjäger dann einer heimischen Brigade unterstellt. Zusammen mit ihnen und weiteren Partnern proben sie den Kampf unter extremsten Bedingungen. Dabei sollen sie besonders von der langjährigen Erfahrung und den Erkenntnissen der norwegischen Streitkräfte profitieren. Zusammen simulieren sie dabei den Ernstfall: Die gemeinsame Verteidigung der NATO-Nordflanke nach einem Ausruf des Bündnisfalls (NATO-Artikel 5). Ein Szenario, mit dem man sich aufgrund der weltpolitischen Lage nun offenbar wieder auseinandersetzen muss.