Habeck-Kennerin über Kanzlerkandidaten - „Die einzige Konkurrentin, vor der Habeck Angst haben muss, ist Alice Weidel“
„Habeck hat sich mit Angriffen auf Lindner zurückgehalten - das war klug“
Auch Hubert Kleinert, Professor für Politik, Zeitgeschichte und Sozialwissenschaften an der Hessischen Hochschule für Öffentliches Management und Sicherheit in Gießen, glaubt, dass Habeck „bei den Wählern aus der Mitte, für die die Persönlichkeit der Kandidaten eine entscheidende Rolle spielt, eine Chance hat“.
Kleinert kennt die Partei nicht nur aus der Theorie. Er gehörte 1983 der ersten Grünen-Fraktion im Bundestag an, sieht seine Partei mittlerweile aber kritisch.
2024 verfasste der Professor mit zwei anderen früheren Grünen-Politikern sogar einen Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ), in dem er ein „Ende der ideologischen Rechthaberei“ forderte.
Habeck, so sieht es der Ur-Grüne, kommt auch sein Verhalten beim Ampel-Aus zugute. „Er hat es vermieden, Teil eines 'Rosenkriegs' über das Ende der Ampel zu werden und sich mit persönlichen Angriffen, etwa auf Christian Lindner, zurückgehalten“, sagt Kleinert im Gespräch mit FOCUS online. „Das war klug.“
Habecks größte Schwäche ist seine Bilanz als Wirtschaftsminister
Trotzdem: Der grüne Kanzlerkandidat hat auch einige gravierende Schwächen. Die größte, da sind sich viele Experten einig, ist seine Bilanz als Bundeswirtschaftsminister.
Die deutsche Wirtschaft ist 2024 zum zweiten Mal in Folge geschrumpft, viele deutsche Maschinenbauer und Autozulieferer bauen Stellen ab und investieren lieber im Ausland. In dieser Zeit war Robert Habeck Chef des Wirtschaftsressorts. Dazu kommen einzelne Projekte, die für Unmut in der Bevölkerung sorgten.
„Das Heizungsgesetz ist nicht vergessen. Und auch nicht andere Fehltritte, die mit den Grünen zu tun hatten. Der Zweifel, ob die Energiewende wirklich so gut durchdacht war und ist, ist im Lande weit verbreitet“, sagt Kleinert.
Auch wenn sich Habeck durch sein Kommunkationstalent gut in Szene setzen kann, vielleicht auch besser als Scholz oder Merz, wird er diese schwerwiegenden Zweifel an seiner Person wohl kaum restlos beseitigen können.
Habeck: „Viel bürgerlicher werden Sie es nicht finden“
Dazu kommt, dass sich der Kanzlerkandidat der Grünen meist nur sehr allgemein äußert. „Ob sich das so durchhalten lässt, wenn die Wahlprogramme stärker in den Mittelpunkt rücken, ist fraglich“, sagt Kleinert.
Eine andere Frage ist, ob Habeck, der Apothekersohn aus einem wohlhabenden Kieler Vorort, wirklich so bürgerlich ist, wie er sich verkauft. Biografin Gaschke findet, das ist Definitionssache. Ihrer Einschätzung nach hat sich das gesamte politische Spektrum ein Stück nach links verschoben.
„Viele ganz normale Leute finden sich praktisch ohne eigenes Zutun rechts der politischen Mitte wieder, was sie vermutlich verärgert und ganz sicher nicht zum Grün-wählen motiviert. Aber die, wenn Sie so wollen: 'neue Mitte', die kann SPD wählen, Merz wahrscheinlich nur unter Schmerzen, und Habeck? Na klar!“
Immerhin spricht der Grüne so, wie sich das viele von Politikern wünschen, sagt Gaschke. Nicht spiegelstrichhaft, nachdenklich, auch mal zweifelnd. Grundsätzlich findet sie: „Er hat einen Doktortitel, er hat vier Kinder, er ist, soweit man weiß, immer noch mit seiner Original-Ehefrau zusammen – viel bürgerlicher werden Sie es nicht finden.“
Wichtiger sind in Gaschkes Augen aber andere Fragen: „Was für eine Wirtschaft- und Energiepolitik hat er gemacht? Wird er machen? In wessen Interesse handelt er? Wem nützt, was er tut? Und wird er dabei noch von anderen Prinzipien geleitet als von der Idee, dass es schon sehr cool wäre, Kanzler zu sein?“
Grüne wehrten sich gegen TV-Duell mit Weidel
Am Ende glaubt die Habeck-Kennerin, dass weder Scholz noch Merz Habeck so richtig ins Schwitzen bringen können. Aber jemand anderes. Sie sagt: „Die einzige Konkurrentin, vor der Habeck Angst haben muss, ist Alice Weidel.“
Tatsächlich lehnte Habeck Mitte Dezember ein TV-Duell mit der Politikerin ab. Eigentlich hatten ARD und ZDF ein Streitgespräch zwischen Merz und Scholz und eines zwischen Habeck und Weidel geplant.
Habecks Wahlkampfsprecher sagte dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) damals: „Wir hatten ein solches Duell im Vorfeld klar ausgeschlossen und auch mitgeteilt, dass wir eine Einladung nicht akzeptieren werden.“
Gaschke vermutet, dass sich der Grüne auch aus strategischen Gründen gegen den Schlagabtausch gewehrt hat. „Zu Weidel kann Habeck unter gar keinen Umständen freundlich sein – die AfD ist ja des Teufels –, und wenn er dann einen Moment nicht aufpasst, und aus Versehen etwas Frauenfeindliches sagt, kriegt er an ganz unerwarteten Fronten Probleme.“
„Noch nie ein volles Bierzelt so konzentriert erlebt wie bei Habeck“
Wie gut Habeck und die Grünen bei der Bundestagswahl im Februar abschneiden werden, muss sich zeigen. Wer bei seiner Partei nachhorcht, bekommt jedenfalls optimistische Rückmeldungen.
„Noch nie habe ich bei einem Grünen ein volles bayerisches Bierzelt so konzentriert, so aufmerksam und auch so begeistert erlebt wie bei Habeck“, sagt zum Beispiel Johannes Becher, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bayerischen Landtag, zu FOCUS online.
Ob das reicht, um wieder in eine Regierung einzuziehen oder sogar Bundeskanzler zu werden, bleibt bei den aktuellen Umfragewerten der Grünen, die sich bei um zwölf bis 14 Prozent der Wählerstimmen eingependelt haben, allerdings fraglich.