Zur Zeitumstellung: Verschwende deine Zeit! Michaela Krützens Buch über geschenkte und verlorene Stunden

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Michaela Krützen lehrt an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) München. © S. Fischer

HFF-Professorin Michaela Krützen schreibt in ihrem Buch „Zeitverschwendung“ über geschenkte und verlorene Stunden. Unser Buchtipp zur Zeitumstellung.

Ein Donnerstagabend, im Fernsehen läuft nix Gescheites, also: Netflix an. Oder Amazon Prime oder Apple TV oder wie sie alle heißen, diese Zeitfresser. Denn seien wir mal ehrlich: Fast genauso viele Minuten wie mit dem Schauen von Serien oder Filmen verbringt man damit, sich durch das Überangebot zu klicken und für eine Sendung zu entscheiden. Lebenszeit, die du nicht zurückbekommst.

Michaela Krützen hat ein Buch geschrieben, das gut zu diesem Wochenende passt, an dem wir eine Stunde geschenkt bekommen. Die Uhren werden in der Nacht vom 26. auf 27. Oktober zurückgestellt. Herrlich: 60 Minuten zusätzlich. Und was machen wir daraus? Länger schlafen? Eine Semmel extra frühstücken? Noch eine Runde mehr um den Block beim Morgensport? Oder einfach mal: gar nichts tun? „Zeitverschwendung“ heißt die Arbeit der Lehrstuhl-Inhaberin Medienwissenschaft an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) München, in der sie sich mit „Gammeln, Warten, Driften in Film und Literatur“ befasst. Anhand von Filmen wie „The Big Lebowski“ (1998), „Die Müßiggänger“ (1953) oder „Der Zauberberg“ (1924) hinterfragt Michaela Krützen, was Zeitverschwendung eigentlich ist. Wie sich die Definition je nach gesellschaftlichem und historischem Kontext ändert – und wie ein jeder selbst sein eigenes Handeln rund um die Uhr (!) kritisch auf Produktivität hin abklopft.

Einfach mal nix tun: „Zeitverschwendung“ von Michaela Krützen.
Einfach mal nix tun: „Zeitverschwendung“ von Michaela Krützen. © S. Fischer

Denn: „Es gibt keine Tätigkeit, die per se Zeitverschwendung ist“, sagt Krützen. Entscheidend sei die eigene Wahrnehmung. Interessant: Während wir uns mitunter furchtbar selbst geißeln, wenn wir eine halbe Stunde am Handy gedaddelt und wahllos Quatschvideos auf Youtube angeschaut haben, ist eine halbe Stunde aufs Meer oder ins Lagerfeuer gucken total in Ordnung. Weil Medienkonsum per se kritisch gesehen wird, Innehalten hingegen gesellschaftlich erwünscht ist in unseren hektischen Zeiten. Und weil es heute für alles einen Hashtag gibt, hat sich das Aus-dem-Fenster-Starren inzwischen in den Sozialen Netzwerken etabliert: „Rawdogging“ heißt der Trend, bei dem sich insbesondere Männer im Internet dafür feiern lassen, mehrstündige Flüge ohne Zerstreuung „durchzustehen“. Kein Buch, kein Film, keine Musik – einfach nur hier sitzen.

Das veranschaulicht das Ringen darum, sich bei aller Produktivität Nichtstun zu erlauben. „Die Frage ist: Wie können wir uns von dem Gefühl, jede Minute sinnvoll nutzen zu müssen, lösen? Und wer definiert überhaupt, was sinnvoll ist?“, fragt Krützen. Ein Blick in die Film- und Literaturwelt gibt spannende Antworten. Und lädt dazu ein, mehr Müßiggang zu wagen. „In den Regalmetern finden sie sich zuhauf: Herumtreiber und Schulschwänzer, Hippies und Nichtstuer, Bummler und Drückebergerinnen, Schlafmützen und Träumer, Vagabunden und Flaneure, Verweigerer und Müßiggänger, Eckensteher und Bohemiens, Aussteigerinnen und Taugenichtse, Gammler und Dandys, Faulpelze und Tagediebe“ – nehmen wir uns die Zeit, uns ihnen zu widmen. Definitiv keine Verschwendung! Michaela Krützen: „Zeitverschwendung. Gammeln, Warten, Driften in Film und Literatur“. S. Fischer, Frankfurt am Main, 960 Seiten; 38 Euro.

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