Abou-Chaker, Remmo, Miri, Al-Zein - Studie behauptet: Wer von „kriminellen Clans“ spricht, ist rassistisch

Pelzer weist zudem darauf hin, dass Angehörige arabischsprachiger Großfamilien in Deutschland oft „ausgegrenzt und stigmatisiert“ würden und „von Alltagsrassismus betroffen“ sein. Das wirke sich „negativ auf individuelle Entfaltungsmöglichkeiten aus“ und begünstige „eine kriminelle Karriere“.

Gegenüber FOCUS online betont Pelzer, im Kontext mit Clans bedeute Stigmatisierung, „dass Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Großfamilie als potenzielle Kriminelle etikettiert und dementsprechend behandelt werden“.

„Dann scheiße ich auf euch und gehe den kriminellen Weg“

Das beginne schon in der Schule. So könne eine Stigmatisierung durch Lehrer oder Klassenkameraden dazu führen, „dass sich Betroffene gemobbt fühlen. Das verursacht Stress und wirkt sich negativ auf das Selbstwertgefühl aus.“ Unter Umständen könne die Stigmatisierung „das Risiko eines Schulversagens“ steigern.

Problematisch werde die Zugehörigkeit zu einer Großfamilie „insbesondere bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz, einem Job oder auch einer eigenen Wohnung“, so Kriminologe Pelzer. „Sowohl die schulisch Erfolgreichen als auch die Schulabbrecher berichten über Erlebnisse der Zurückweisung von Arbeitgebern oder Vermietern mit Verweis auf ihren familiären Hintergrund.“

Über die Folgen der angeblichen Stigmatisierung sagte der Forscher zu FOCUS online: „Es kann passieren, dass Betroffene sich irgendwann mit der Situation abfinden oder gar die Zuschreibung als kriminelles ‚Clanmitglied‘ in das Selbstbild übernehmen und sich dann denken: ‚Okay wenn ihr mir keine andere Chance lasst, dann scheiße ich auf euch und gehe jetzt den kriminellen Weg‘."

Stigmatisierung verstärke also „die Bindung an einen kriminellen Lebensentwurf. Die Kriminalität erscheint irgendwann als alternativlos“, so Pelzer. „Ungleiche Chancen zu gesellschaftlicher Teilhabe spielen eine große Rolle.“

Auf die Frage, warum Angehörige arabischer Großfamilien in Deutschland kriminelle Karrieren starten, sagte der Forscher, eine wichtige Rolle spiele „das Aufwachsen unter prekären sozialen Bedingungen“. Hinzu kämen „Fluchterfahrungen und andere traumatische Erlebnisse“. Zudem würden „die negativen Auswirkungen eines Duldungsstatus“ Straftaten begünstigen.

Von Polizei „häufiger kontrolliert und härter behandelt“

In diesem Zusammenhang wirft Pelzer den Verantwortlichen in Deutschland „institutionelle Diskriminierung“ vor. „Geflüchtete aus dem Libanon und deren Nachkommen in bereits dritter Generation haben in nicht wenigen Fällen keinen Aufenthaltstitel. Sie sind ausländerrechtlich nur geduldet, obwohl vollkommen klar ist, dass ihr Lebensmittelpunkt und ihre Lebensperspektive in Deutschland liegt und sie nicht in den Libanon zurückkehren oder als in Deutschland Geborene dorthin auswandern werden.“

Für den Wissenschaftler steht fest: „Menschen, die hier dauerhaft leben, in ihren Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Integration derart einzuschränken, ist aus kriminalpräventiver Sicht vollkommen kontraproduktiv.“ Es wäre besser, „soziale Ungleichheit zu reduzieren und allen Menschen eine Perspektive zu gesellschaftlicher Teilhabe zu bieten.“

In den Interviews mit Mitarbeitern der TU Berlin berichteten viele Angehörige arabischer Großfamilien „über negative Erfahrungen mit Polizeikontakten“, so Pelzer. Sie glaubten, „dass sie aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes, ihres Nachnamens oder ihrer Herkunft von der Polizei häufiger kontrolliert und härter behandelt werden“.

Über die Rolle der Polizei sagt der Forscher zu FOCUS online: „Feststellen können wir zunächst, dass das Polizei-Verhalten häufig als stigmatisierend erlebt wird und dass diese Erlebnisse dazu beitragen können, dass die Betroffenen sich aus der Gesellschaft zurückziehen.“ Pelzer: „Wie der Rest der Gesellschaft, ist auch die Polizei von Alltagsrassismen geprägt.“

Die Einschätzung des Forschers ist brisant. Denn nach dieser Lesart führt der verstärkte Druck von Polizei und Justiz auf Angehörige arabischer Großfamilien dazu, dass sich die Betroffenen erst recht abschotten und kriminelle Handlungen begehen. Auf die Reaktionen von Clan-Ermittlern in Bund und Ländern darf man gespannt sein.

„Das ist Rassismus“ - Studienleiter kritisiert Medien

Und auch die Medien würden beim Thema Clankriminalität schwere Fehler machen, behauptet der Forscher. Er hält es nämlich für „rassistisch“, wenn man entsprechende Großfamilien, aus denen heraus immer wieder Straftaten verübt werden, als „Remmo-Clan“, „Abou-Chaker-Clan“, „Miri-Clan“ oder „Al-Zein-Clan“ bezeichnet. „Sie müssen sich vergegenwärtigen, dass diesen Familiennamen oder ‚Clans‘ jeweils mehrere hundert oder tausend Menschen zugerechnet werden können. Sie haben zwar denselben Nachnamen, viele Angehörige kennen sich aber nicht und haben im Alltag gar nichts miteinander zu tun.“

Die Forschung zeige, dass traditionelle Clanstrukturen im Alltag kaum noch eine Rolle spielten. Vielmehr hätten sich die Clans in zahlreiche Sub-Gruppen und Sub-Sub-Gruppen ausdifferenziert.

„Wenn also in den Medien von einem bestimmten ‚kriminellen Clan‘ die Rede ist, werden dadurch logischerweise alle Menschen, die sich diesem ‚Clan‘ zurechnen, über einen Kamm geschert, obwohl kriminelle Strukturen nur in einzelnen Gruppen dieses ‚Clans‘ zu finden sind“, so Pelzer.

„Das ist Rassismus, weil das Attribut ‚kriminell‘ einzig anhand von gleichen Nachnamen und einer angenommenen gemeinsamen Abstammung aller Angehörigen, der gesamten Gruppe verallgemeinert zugeschrieben wird.“