Merz zu Besuch bei Wüst: Wenn der Kanzler auf seinen Gegenentwurf in der CDU trifft

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Friedrich Merz reist zum Antrittsbesuch nach Nordrhein-Westfalen. Dort trifft er auf Hendrik Wüst, der aktuell deutlich mehr Rückendwind genießt als der Kanzler.

Münster – Es ist kein gewöhnlicher Antrittsbesuch für Friedrich Merz an diesem Montag. Und das hat nicht nur damit zu tun, dass sich der Bundeskanzler in seinem Heimat-Bundesland Nordrhein-Westfalen die Ehre gibt. Unter anderem stand eine gemeinsame Kabinettsitzung mit der Landesregierung von Ministerpräsident Hendrik Wüst im Münsteraner Rathaus an.

Der CDU-Landeschef hatte zuvor bereits angekündigt: „Nordrhein-Westfalen ist bereit, in Zeiten großer Herausforderungen eine starke Rolle anzunehmen.“ Den Merz-Besuch wertete er als „Zeichen für Verantwortung und Respekt“. Zudem betonte Wüst: „Deutschland war immer dann stark, wenn Bund und Länder gut und eng zusammengearbeitet haben.“

Führen Regierungen auf unterschiedliche Arten: Bundeskanzler Friedrich Merz (r.) kommt in Münster mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst zusammen. © IMAGO / Sven Simon

Merz besucht Wüst in Münster: Uneinigkeit in Bundesregierung wegen Steuern und Sozialstaat

Folglich geht es für die beiden CDU-Granden auch darum, den Schulterschluss zu demonstrieren. Das dürfte trotz der anstehenden Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 14. September für Merz noch wichtiger sein als für Wüst. Denn während der 69-Jährige außenpolitisch beim Bemühen um eine Lösung im Ukraine-Krieg immer wieder Präsenz zeigt, dürfte er innenpolitisch vor dem ausgerufenen „Herbst der Reformen“ zunehmenden Druck verspüren.

Da wäre das Thema Steuererhöhungen, das SPD-Chef und Finanzminister Lars Klingbeil offenbar keinesfalls abzuräumen bereit ist, während Merz derartige Mehrbelastungen für die Bürger weiter kategorisch ausschließt. Uneinigkeit herrscht auch bezüglich der Reformen beim Sozialstaat, den sich Deutschland laut dem Kanzler so finanziell nicht mehr leisten könne, was Arbeitsministerin Bärbel Bas als „Bullshit“ abtut.

Und selbst der gern den Eindruck einer Verbrüderung mit Merz erweckende CSU-Chef Markus Söder brachte den Regierungschef in die Bredouille. In der Bild hatte der bayerische Landesvater für die Regionalisierung der Erbschaftssteuer geworben. In Münster musste der Kanzler darauf reagieren und sprach von „einer alten Diskussion“, dem Vorschlag messe er „im Augenblick keine Priorität“ bei.

Merz zum Antrittsbesuch in NRW: Ministerpräsident Wüst wie ein Gegenentwurf zum Kanzler

Es sind weitere Beispiele dafür, dass in der schwarz-roten Bundesregierung längst nicht immer mit einer Stimme gesprochen wird. Dabei war nach dem selbstverschuldeten Dilemma um die abgesagte Wahl dreier neuer Verfassungsrichter im Bundestag wegen des Union-Nein bei SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf im Juli Besserung gelobt worden.

Solche Sorgen kennt Wüst nicht, der in Düsseldorf seit dieser Legislaturperiode eine schwarz-grüne Koalition anführt. Was im Bund aktuell angesichts der Aussagen einiger führender Politiker der Union undenkbar erscheint. Im bevölkerungsreichsten Bundesland funktioniert es. Auch, weil Wüst gewissermaßen als ein Gegenentwurf zu Merz auftritt – obwohl die beiden Juristen und Wirtschaftspolitiker mehr als nur das Parteibuch eint. Der Nachfolger von Armin Laschet gibt sich als verbindendes Element und versteht es, in der Kommunikation die richtige Tonart zu finden. Nach außen und offenkundig auch nach innen.

Lars Klingbeil (l.) unterhält sich stehend mit Bärbel Bas, davor streckt sich Friedrich Merz über den Tisch
Über den Kopf des Kanzlers hinweg: Finanzminister Lars Klingbeil (l.) und Arbeitsministerin Bärbel Bas sind sich bei Steuern und Sozialstaat nicht ganz einig mit Friedrich Merz. © IMAGO / Metodi Popow

Während Merz durchaus mal Sätze äußert, die das Zeug haben, ihm schnell auf die Füße zu fallen. Laut der Tagessschau hadern Parteifreunde in Nordrhein-Westfalen durchaus mit der „mangelnden Impulskontrolle“ des Sauerländers. Wüst wird dagegen als Tüftler der Macht angesehen. Durchaus mit Ambitionen, Merz irgendwann einmal auf der Regierungsbank zu beerben.

Merz ruft Demonstranten auf den Plan: Kanzler in Münster als „Kriegstreiber“ beschimpft

Letztlich war es der 50-Jährige, der dem Parteichef nach monatelangen Diskussionen den Roten Teppich zur Kanzlerkandidatur ausrollte. Vor knapp einem Jahr gab er auf einem Vorstandstreffen der NRW-CDU bekannt, Merz zu unterstützen. Damit setzte Wüst zugleich Söder unter Druck, der Merz zwar ebenfalls bei jeder Gelegenheit den Rücken stärkt, sich jedoch seinerzeit schwertat, den offenbar gehegten Kanzler-Traum ein zweites Mal aufzugeben.

Dass der offen ausgetragene Machtkampf zwischen Söder und Laschet um die Kandidatur für die Bundestagswahl 2021 die Union damals die politische Vormachtstellung im Bund und damit die weitere Kanzlerschaft nach 16 Jahren Angela Merkel gekostet haben dürfte, erwähnte auch Wüst, als er im September 2024 beiseite trat. „So etwas darf sich in der Union niemals wiederholen“, betonte er in Richtung Merz und Söder. Eine klare Ansage, die ihm aber niemand wirklich krumm nehmen konnte.

Merz weiß also durchaus, was er Wüst zu verdanken hat: das Ende der Debatten um den Frontmann im Wahlkampf. Dennoch galt der NRW-Landesvater als „klarer Verlierer“ im Merz-Kabinett.

Bei seinem Besuch in Münster wurde der Kanzler nun keineswegs nur positiv empfangen. Von einigen Demonstranten musste er sich „Kriegstreiber Merz“-Rufe anhören. Für sie war es offenkundig nicht mit der Haltung der Regierung im Ukraine-Krieg und im Gaza-Krieg vereinbar, dass der Besuch am Antikriegstag stattfand. Dazu im Rathaus Münster, in dem 1648 der Westfälische Frieden zur Beendigung des Dreißigjährigen Kriegs verhandelt wurde.

CDU/CSU-Werte bei jüngsten Wahlumfragen im Bund

INSA: 26 Prozent (29. August)

Forsa: 25 Prozent (26. August)

Allensbach: 28 Prozent (21. August)

Yougov; 27 Prozent (20. August)

Merz über NRW-Kommunalwahlen: Bundespolitik hat „nur begrenzten Einfluss auf Ergebnisse“

Im Gegensatz zu Wüst mit der NRW-CDU hat Merz mit der Union seit der jüngsten Wahl einiges an Zustimmung verspielt. Kam die CDU in Nordrhein-Westfalen bei der Landtagswahl 2022 auf 35,7 Prozent, bescheinigen ihr Umfragen in diesem Jahr bis zu 39 Prozent. Die Union holte sich das Kanzleramt im Februar mit 28,5 Prozent zurück, bringt es in jüngsten Erhebungen teilweise nur noch auf 25 oder 26 Prozent.

Zuletzt zeigte der NRW-Check, zudem dass die NRW-CDU in dem Bundesland deutlich vor der Bundes-CDU liegt. Wüst hat aktuell ohnehin Rückenwind. Beim Parteitag der NRW-CDU wurde er mit 98 Prozent erneut zum Landeschef gewählt.

Wichtige Prozentzahlen nicht nur für die CDU liefern am 14. September die bereits erwähnten Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen. Merz spielte deren Bedeutung jedoch herunter, als er klarstellte, sowohl die Politik im Bund als auch die auf Landesebene werde „nur begrenzten Einfluss haben auf die Wahlergebnisse“. Es gelte: „Kommunalwahlen sind Kommunalwahlen.“ Zudem sei mit „sehr, sehr unterschiedlichen Ergebnissen“ zu rechnen.

Das klingt also nicht danach, als würde der Kanzler in zwei Wochen gebannt nach Nordrhein-Westfalen schauen. Nach dem Antrittsbesuch ruft nun wieder Berlin. Dort wartet viel Arbeit auf den Kanzler. Und die erfordert seine volle Aufmerksamkeit. (mg)

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