FOCUS online: Herr Kufen, Sie haben zunächst überlegt, den AfD-Parteitag wegen Sicherheitsbedenken zu verhindern. Das führte nicht zum Erfolg. Jetzt argumentieren Sie mit möglichen Straftaten auf dem Parteitag – wie kam es zur Idee für diesen Trick?
Thomas Kufen: Kein Trick! Natürlich haben politische Parteien und auch die Alternative für Deutschland einen Anspruch auf Nutzung der kommunalen Einrichtungen, um dort zum Beispiel Versammlung abzuhalten, In der Rechtsprechung ist aber seit langem anerkannt, dass dieser Anspruch nicht besteht, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es im Rahmen der Benutzung einer öffentlichen Einrichtung zu Rechtsbrüchen in Form einer Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten kommt. Einer Kommune ist das nicht zuzumuten. Sie ist sogar verpflichtet dem vorzubeugen.
„Urteile belegen klar und deutlich die zunehmende Radikalisierung“
Sie argumentieren in Ihrer Vorlage damit, dass eine zunehmende Radikalisierung der AfD zu beobachten sei. Das ist aber nicht neu, warum werden Sie erst jetzt aktiv?
Kufen: Seit dem Vertragsschluss im Januar 2023 ist mit zunehmender Deutlichkeit eine fortschreitende Radikalisierung wesentlicher Teile der AfD zu beobachten. Diese Entwicklung findet unter anderem Ausdruck in der Verbreitung beziehungsweise Verwendung einer verbotenen SA-Kampflosung. Diese und ähnliche Äußerungsdelikte treffen zusammen mit den in der jüngsten Zeit bekannt gewordenen ausländerfeindlichen Bestrebungen in der AfD, die insbesondere bei einer Zusammenkunft eines rechtsextremen Netzwerkes im November 2023 in Potsdam deutlich geworden sind.
Sie erklären sich auch dadurch, dass es gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen in der AfD gibt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind. Das entspricht übrigens den ausdrücklichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in seinem aktuell bekannt gewordenen Urteil vom 13. Mai 2024.
Sie meinen das Urteil, demzufolge der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall beobachten darf. Welche Rolle hat zudem das Urteil gegen Thüringens AfD-Chef Björn Höcke für die Verwendung der Nazi-Parole „Alles für Deutschland“ gespielt?
Kufen: Diese Urteile belegen klar und deutlich die zunehmende Radikalisierung maßgeblicher Führungskräfte der AfD. Insbesondere das Urteil gegen Björn Höcke zeigt deutlich, dass die nationalsozialistische Ideologie über das permanente Verwenden von NS-Parolen propagiert wird.
„Die AfD hat es selbst in der Hand, ob der Parteitag stattfinden kann“
Rechnen Sie denn damit, dass die AfD die geforderte Selbstverpflichtung abgeben wird, um ihren Parteitag zu retten?
Kufen: Die AfD hat es selbst in der Hand, ob der Parteitag in Essen stattfinden kann. Sie hat in der Zwischenzeit einen Rechtsbeistand betraut, der am Mittwoch mit der Stadtverwaltung in Kontakt getreten ist. Alle weiteren Schritte werden nun juristisch erörtert.
Die AfD hat bereits mit rechtlichen Schritten gedroht. Städte, die der AfD ihre Räumlichkeiten vorenthalten wollten, haben vor Gericht gegen die Partei verloren. Was macht Sie so sicher, dass das im Essener Fall anders sein wird?
Kufen: Der Partei steht der Rechtsweg offen.
Wenn der Mietvertrag aufgelöst wird, müsste die AfD eine andere Veranstaltungshalle finden. Sollte Ihr Vorgehen dann auch in anderen Städten Schule machen?
Kufen: Die Maßstäbe für Veranstaltungen in städtischen Einrichtungen gelten nicht nur für Immobilien der Stadt Essen.
Sollte es zu Schadensersatzforderungen gegen die Messe kommen, würde die Stadt Essen einspringen. Ist das angesichts von Schulden in Höhe von drei Milliarden nicht noch eine zusätzliche Belastung für die Stadtkasse?
Kufen: Noch einmal: Wenn die AfD zusichert, Straftaten ihrer Delegierten und Besuchenden des Parteitags zu verhindern, unmittelbar zu unterbinden und zu ahnden, kann der Parteitag in der Grugahalle stattfinden. An der Einhaltung der Selbstverpflichtung werden wir die Versammlungsleitung messen.
Wenn die AfD Ihren Forderungen nachgibt, wird der Parteitag stattfinden müssen. Wie wollen Sie dann für die Sicherheit von Parteitag und Gegendemonstranten sorgen, ohne dass es für die Essener Bürger zu unzumutbaren Einschränkungen kommt?
Kufen: Wir sind dazu mit der Polizei, der Feuerwehr und den Ordnungsbehörden sowie den verschiedenen Anmeldern der Kundgebungen und Versammlungen im intensivem Austausch. Die Sicherheit hat absolute Priorität.
„Es wurde jahrelang zu viel an Personal und Ausstattung gespart“
Neben dem AfD-Parteitag steht Essen auch vor anderen Herausforderungen. Die Kriminalität war 2023 so hoch wie seit 2016 nicht mehr. Warum bekommt die Stadt das Problem nicht in den Griff?
Kufen: Stadtverwaltung und Polizei arbeiten eng zusammen. Wir stärken unseren Kommunalen Ordnungsdienst, setzen auf vorbildliche Maßnahmen, wie die sogenannten Besonderen Verbindungskräfte, die die Polizei unterstützen, und verfolgen die Strategie des Förderns und Forderns. Wir bieten Chancen und setzen Grenzen.
Essen gilt als Clan-Hotspot. Was tun Sie, um die Machenschaften der Großfamilien auszubremsen?
Kufen: Auch hier setzen wir auf eine enge Zusammenarbeit mit allen zuständigen Behörden zusammen. Ob in der SiKo Ruhr, in die die Stadt sich intensiv einbringt, aber auch die Strukturen der Polizei gegen die Clankriminalität, in die das Ordnungsamt intensiv eingebunden ist; das Haus der Sicherheit oder das Haus des Jugendrechts, um zwei weitere Beispiele zu nennen.
Es finden an jedem Wochenende gemeinsame Razzien mit der Polizei statt. Außerdem gibt es regelmäßig Kontrollen mit weiteren Behörden, wie dem Hauptzollamt und den Finanzbehörden. Ziel ist es, die seit vielen Jahren im Ruhrgebiet verkrusteten Clan-Strukturen aufzubrechen und Straftäter dingfest zu machen.
Es scheint, als würden die Städte in NRW und anderswo am Rande ihrer Möglichkeiten stehen. Was fordern Sie von Landes- und Bundesregierung?
Kufen: Ich sage ganz klar, Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte müssen mit mehr Kräften ausgestattet werden. Es wurde jahrelang zu viel an Personal und Ausstattung gespart. Verfahren dauern zu lange. Für Kommunen sollte es außerdem einfacher sein, an konkreten Gefahrenpunkten im öffentlichen Raum eine Videoüberwachung einzuführen.