Militärexperte Wolfgang Richter - Putins Trump-Kalkül: Er setzt auf einen „Deal“ und bereitet sich schon jetzt vor
Im Ukraine-Krieg spitzt sich die Lage vor Ort weiter zu: Rund 50.000 russische Soldaten, unterstützt von nordkoreanischen Truppen, sammelten sich in der Nähe des ukrainisch besetzten Gebiets Kursk, und Putin startete kurz darauf eine neue Großoffensive, die schwere Zerstörungen und mehrere Tote zur Folge hatte.
Militärexperte Wolfgang Richter erklärt im Interview mit FOCUS online, welche Pläne Putin jetzt verfolgt und was das mit Donald Trump zu tun hat.
FOCUS online: Herr Richter, warum bombardiert Russland die Ukraine ausgerechnet jetzt mal wieder so extrem?
Wolfgang Richter: Russland greift nach wie vor die Energieinfrastruktur der Ukraine an, aber auch Rüstungsbetriebe, Flugplätze und Verkehrsknotenpunkte. Offenbar will es noch vor dem Wintereinbruch und der Übernahme der Amtsgeschäfte durch Präsident Trump am 20. Januar 2025 militärische Erfolge erzielen und die Ukraine zermürben, um die eigene Verhandlungsposition zu stärken.
Experte: Putin setzt auf einen „Deal“ mit Trump
In welchem Zusammenhang steht der Anruf Trumps bei Putin mit der massiven Bombardierung? Was sagt das aus? Welches Signal sendet Putin damit aus?
Richter: Putin setzt einerseits auf die Chance, mit Trump zu einem „Deal“ zu kommen; er signalisiert aber auch, dass er sich von seinen politischen und militärischen Zielen auch von Trump nicht abhalten lassen wird.
Die Intensivierung der Angriffe ist auch ein Signal der Stärke: Putin will demonstrieren, dass Russland eine Weltmacht auf Augenhöhe mit den USA ist.
Was bedeutet die Wahl Trumps für Putin? Inwiefern puscht ihn das mit Blick auf seine Pläne in der Ukraine nochmal?
Richter: Trump hat seine Absicht geäußert, den Krieg in kurzer Zeit mit einem Kompromissfrieden zu beenden. Vermutlich will Putin bis dahin seine militärischen Ziele im Donbas erreichen.
Mit der Intensivierung der militärischen Operationen will er seine Ausgangslage verbessern, um den Krieg unter günstigeren Vorzeichen zu beenden, als das bei den gescheiterten Verhandlungen im März und April 2022 der Fall gewesen wäre.
„Der ukrainische Gegenangriff in Kursk könnte sich als fataler operativer Fehler erweisen“
In Kursk zieht Russland Truppen zusammen, um die Region zurückzuerobern. Wie ist dort die Lage? Was droht den Ukrainern?
Richter: Mit der Bereitstellung von etwa 50.000 Soldaten um Kursk will Russland unzweifelhaft eigenes Staatsgebiet von ukrainischen Truppen befreien, allerdings ohne seine militärischen und politischen Ziele im Donbas aufzugeben.
Deshalb hat Moskau, entgegen den Erwartungen Kiews, keine operativen Reserven aus dem Donbas nach Kursk abgezogen. Stattdessen geht die russische Armee dort langsam und weitaus kräftesparender vor als bei den Angriffen im Gebiet Donetsk. Als Folge davon gab es keine militärische Entlastung der erschöpften ukrainischen Truppen im Donbas.
Der ukrainische Gegenangriff in Kursk könnte sich als fataler operativer Fehler erweisen. Er hat die eigene Personalnot im Donbas verschärft, ohne dass dort der russische Druck nachlässt. Die Russen gewinnen täglich an Boden.
„Die Kämpfe können sich noch bis in das neue Jahr hinziehen“
Wird das ein Debakel für Ukraine oder für Putin bei Kursk? Haben sich Ukrainer dort tief eingegraben, drohen sie überrannt zu werden, oder könnte hier eine zähe Front ohne vor und zurück entstehen?
Richter: Natürlich ist es gerade im Winter nicht einfach, eingegrabene Truppen zu überrennen, so lange sie über ausreichende Feuerunterstützung verfügen.
Aber selbst wenn sich die Ukrainer im Kursker Gebiet noch eine Weile halten, so ist ein Zurückweichen der Ukrainer an der Donbas- und Charkiw-Front mit der Gefahr verbunden, dass den Kräften in Kursk die Versorgung und letztendlich der Rückzugsweg abgeschnitten werden könnte.
Ich gehe davon aus, dass Kiew seine Truppen von dort zurückziehen wird, bevor ihnen dort die Munition ausgeht oder sie gar eingeschlossen werden. Die Kämpfe können sich aber noch bis in das neue Jahr hinziehen.
Nordkoreanische Truppen sind keine „game changer“
Berichten zufolge haben nordkoreanische Soldaten jetzt aktiv an Kriegshandlungen teilgenommen und es kam zu Gefechten mit ukrainischen Truppen – und auch zu Friendly-Fire auf Russen. Was bedeutet das jetzt und welche Folgen hat das? Was ist von Südkorea zu erwarten?
Richter: Ob im Raum Kursk nordkoreanische Soldaten organisiert im Kampf eingesetzt werden, und mit welchem Erfolg, ist noch zweifelhaft.
Ihre Stärke von möglicherweise 10.000 Soldaten von möglicherweise 10.000 Soldaten, davon maximal die Hälfte Kampftruppen, ist vergleichsweise gering, ihre Ausrüstung ist veraltet, ihre Führungsfähigkeit unterentwickelt. Sie haben seit 70 Jahren keine Kriegserfahrung sammeln können. Sie sind keine „game changer“.
Gleichwohl sind die geopolitischen Folgen beträchtlich. Mit dem Einsatz von Nordkoreanern im westlichen Russland werden zwei entfernte Konfliktregionen verknüpft.
Südkorea ist herausgefordert und wird reagieren, mit der direkten Lieferung von Munition und Waffen an die Ukraine und mit der Entsendung von Militärberatern und Dolmetschern.