Sie sollten Putin unterstützen - Sie kamen zum Kämpfen: Nordkoreaner an Russen-Front durch Porno-Zugang abgelenkt?

Kaum ein Land ist so abgeschottet vom Rest der Welt wie Nordkorea: Zugang zum „echten“ Internet hat Experten zufolge nur eine sehr begrenzte Gruppe der Machtelite.

Die allermeisten der nach Russland geschickten nordkoreanischen Soldaten dürften daher noch nie ins Ausland gereist, geschweige denn in den Genuss der freien Informationswelt gekommen sein. 

Das könnte sich nun, an der Front in Kursk, ändern. Möglich ist, dass sie dort erstmals im freien Netz chatten, Nachrichten lesen, Katzenvideos schauen – und vielleicht auch Pornos gucken.

„Aus einer gewöhnlich zuverlässigen Quelle erfahre ich, dass die nordkoreanischen Soldaten, die nach Russland entsandt wurden, noch nie ungehinderten Zugang zum Internet hatten.“ 

Infolgedessen bestünde ein großes Verlangen, Pornografie zu konsumieren, schrieb der britische Journalist Gideon Rachman auf X. Er ist Chefkommentator für Außenpolitik der „Financial Times“, sein Beitrag wurde inzwischen mehr als 36 Millionen Mal im freien Internet angezeigt.

Pornografie ist in Nordkorea strengstens verboten

Was vermutlich als Scherz gemeint war, sorgte für viel Aufregung. Das US-Verteidigungsministerium fühlte sich sogar gezwungen, die Meldungen zu kommentieren: Behauptungen über „nordkoreanische Internetgewohnheiten“ könnten demnach nicht verifiziert werden.

Mal dahingestellt, ob hinter Rachmans Post wirklich eine echte Quelle steckt oder britischer Humor – oder beides. Wahr ist dreierlei:

  • Pornos spielen eine sehr große Rolle im Internet: Allein das Portal „Pornhub“ gehört zu den meistbesuchten Webseiten der Welt.
  • Pornografie ist in Nordkorea strengstens verboten: Viele Menschen dort dürften deshalb noch nie einen Sexfilm gesehen haben. Verbreitet werden sie nur auf dem Schwarzmarkt auf physischen Datenträgern.
  • Die Mehrheit in Nordkorea weiß auch nichts von den anderen Inhalten des World Wide Web.

„Die meisten Nordkoreaner sind sich der Existenz des globalen Internets nicht bewusst, da der Zugang seit der Erfindung verboten ist“, schreibt die Organisation „PSCORE“ , die sich eigenen Angaben zufolge für die Wiedervereinigung Koreas einsetzt.

Die Absicht hinter der Zugangsbeschränkung liegt auf der Hand und ist so alt wie die Idee autoritärer Staatsführung selbst: Es geht um die Kontrolle von Informationen, zu deren Verbreitung das Internet massiv beigetragen hat (neben Katzenvideos und Pornos). 

Viele dieser Informationen gefallen Diktatoren nicht, seien es Bilder von leistungsstarken schicken Smartphones, Urlauben im Ausland, oder Nachrichtenmeldungen darüber, dass Menschen in Deutschland ein neues Parlament wählen dürfen, weil sie mit dem alten nicht mehr zufrieden sind.

Sieben Millionen Handys in Nordkorea

Doch in Nordkorea beginnt das Problem für Menschen, die ins Internet wollen, bereits bei der Hardware. Korea-Experte Frederic Spohr von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung geht von mindestens sieben Millionen Handys in Nordkorea aus, wovon die meisten Smartphones aus chinesischen Bauteilen seien. 

Die genaue Zahl ist unbekannt, wie so vieles in dem Land. Man könne aber davon ausgehen, dass Handys – im Gegensatz zu PCs – der bevorzugte Weg sind, um online zu gehen, „da zu vielen Haushalten keinerlei Leitungen führen“. Die Smartphone-Quote sei in der Hauptstadt Pjöngjang, wo die Elite wohnt, deutlich höher als auf dem Land.

Sieben Millionen Handys erscheint nicht viel angesichts von geschätzten mehr als 26 Millionen Einwohnern. Doch selbst wenn man in Nordkorea zum elitären Kreis der Smartphone-Besitzenden gehört, garantiert das längst noch keinen Internetzugang wie in Deutschland, wo WhatsApp, Google und Tagesspiegel nach kurzem Fingertippen auf dem Bildschirm erscheinen.

"Nordkoreanisches Intranet ist „mit dem wirklichen Internet absolut nicht zu vergleichen“

Für die breite Öffentlichkeit ist in Nordkorea nur ein Intranet zugänglich, ein begrenztes Netzwerk also. Wer sich schon mal im Intranet seiner Firma aufgehalten hat, der weiß um den geringen allgemeinen Informations- und Unterhaltungswert, den diese Netzwerke verglichen mit dem Internet bieten. Auch das nordkoreanische Intranet ist „mit dem wirklichen Internet absolut nicht zu vergleichen“, meint Spohr.

Die Organisation „Pscore“ beschreibt das nordkoreanische Internet als „Medium für Arbeitseffizienz, Bildung, Kommerzialisierung und Unterhaltung“. Wobei „Bildung“ hier sicherlich als Bildung im Sinne der Propaganda zu verstehen ist. Spohr verweist auf nordkoreanische Apps zum Beispiel für Online-Shopping, Mails und „wohl mehr und mehr auch E-Payment“.

Automatische Screenshots zur Kontrolle

Doch die staatliche Kontrolle der nordkoreanischen Handybildschirme reicht offenbar sogar noch weiter. Während sich manche User im Westen – durchaus zu Recht – wegen der Überwachung durch Google, Meta und Amazon sorgen, sind die in Nordkorea verkauften Smartphones laut Spohr mit staatlicher Überwachungssoftware ausgestattet. Dazu gehörten regelmäßige automatische Screenshots, die nicht gelöscht werden können und dokumentieren sollen, was man sich angesehen hat.

Wie überall auf der Welt und in jeder Diktatur der Weltgeschichte gilt sicher auch in Nordkorea, dass staatliche Kontrolle nie so absolut ist, wie es ein Regime gerne hätte. Nordkoreanische Hacker könnten es geschafft haben, staatliche Kontrollen auf dem Smartphone zu umgehen. Darauf deuten wohl Berichte hin. Doch zum Stand des technischen Wettrüstens zwischen Hackern und Staat ist nichts bekannt.

Trotz allem existiert das echte Internet, wie wir es kennen, auch in Nordkorea – für wenige Menschen. Spohr schätzt ihre Zahl auf einige Tausend beispielsweise an Forschungseinrichtungen oder in Ministerien, die Zugang bekommen können, „streng überwacht und oft zeitlich begrenzt“. Die Organisation „Pscore“ beschreibt diese nordkoreanische Erfahrung des freien Internets wie folgt:

  • Der Internetnutzung geht eine Bewerbung voraus, in der Zweck, Datum und Uhrzeit angegeben werden müssen.
  • Drei unterschiedliche Behörden sind für die Prüfung des Antrags zuständig.
  • Nach positivem Bescheid schaut ein Beamter während der Internetnutzung über die Schulter.

Man kann sich ausmalen, wie wahrscheinlich angesichts dieser Kontrollen der Konsum von Internetinhalten ausfällt, die dem Regime Nordkoreas missfallen. Seien es westliche Nachrichten oder eben Pornos.

Einen „unbeschränkten Zugang zum Internet hat nur der engste Führungszirkel“ in Nordkorea, sagt Spohr.

Von Tobias Mayer