Haushalt hilft nur eigenem Machterhalt - Zu viel Zündstoff: Regierung hat Neuwahlen erst einmal nur verschoben

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Jetzt zeigt sich: Der Ampel geht es nur um Macht, nicht um Deutschland
Dienstag, 09.07.2024, 09:00

Die drohenden Neuwahlen wurden durch die Einigung auf den Haushalt 2025 für den Moment abgewendet. Ob die Regierung wirklich gerettet ist und welche Positionen des Kompromisses großes Konfliktpotential enthalten, schätzt Sozialforscher Andreas Herteux ein.

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Hat die Haushaltseinigung die Ampel-Regierung gerettet? 

Die Haushaltseinigung hat die Regierung nicht gerettet, denn grundsätzlich war davon auszugehen, dass es im Interesse aller an der Koalition beteiligter Parteien liegt, die Zusammenarbeit, trotz aller Differenzen und Schwierigkeiten, fortzusetzen.

Daran ändert auch manch mahnende Stimme aus den Reihen der Ampel-Fraktionen nichts, die dies vorab in Frage stellte. Das waren am Ende nur taktische Positionierungen für die Öffentlichkeit, die gleichzeitig dazu dienen sollten, den eigenen Verhandlungsspielraum zu erweitern. Ein Ergebnis war erwartbar, der wenig gerühmte Teufel steckt dann in den Details, wenn es um die Konkretisierung geht. Hier scheinen Streitigkeiten und Nachverhandlungen bereits absehbar.

Die Einigung auf den Haushalt 2025 bringt daher erst einmal temporäre Stabilität und soll ein Signal der Handlungsfähigkeit an die Bevölkerung, Medien aber auch die verlorenen Wähler aussenden.

Über den Experten Andreas Herteux

Andreas Herteux
Andreas Herteux

Andreas Herteux ist ein deutscher Wirtschafts- und Sozialforscher, Publizist und der Leiter der Erich von Werner Gesellschaft. Herteux ist zugleich Herausgeber und Co-Autor des Standardwerks über die Geschichte der Freien Wähler (FW). Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt.

Sie schließt die Konfliktlinien allerdings nicht und wird auch die Diskussionen über Neuwahlen sowie die Debatte über Ausrichtung und Qualität der politischen Arbeit nicht verstummen lassen. Der Kompromiss ist aber ein deutliches Zeichen dafür, dass die Ampel gewillt ist, die Legislaturperiode gemeinsam zu beenden.

Hatte die Ampel daher gar keine andere Wahl als sich auf einen Haushalt zu einigen? 

Gemeinhin sollte man im Leben immer eine Wahl haben, aber tatsächlich können an dieser Stelle mehrere Perspektiven eingenommen werden.

Es wäre beispielsweise möglich, die pointierte Erzählung der Ampel zu übernehmen, welche die Haushaltseinigung als eine Art Neustart für ein künftig verständigeres sowie klareres Koalitionswirken darstellen möchte, das die Handlungsfähigkeit in schwierigen geopolitischen Zeiten gewährleistet. Ein Vorgang aus Staatsräson. Manche haben diesen Narrativ übernommen, reden oder schreiben nun von einem gewonnenen „Realitätssinn“ und einer neuen „Regierung der Mitte“, andere bleiben auf Distanz.

Alternativ bietet sich der Blickwinkel der Opposition an, die nur eine Verzögerung des Zusammenbruchs der sowieso schon geschwächten Regierung erkennen möchte. Keine Staatsräson, nur der Selbsterhaltungstrieb. Es ist am Ende der übliche Kampf um die Deutungshoheit und damit um die Köpfe und Herzen der Menschen.

Ob das Pendel der Bewertung tatsächlich in Richtung Bundesregierung ausschlagen wird, bleibt zweifelhaft, denn nach einer aktuellen Befragung sind ca. 79 Prozent mit ihrer Arbeit in der Summe weniger oder vollkommen unzufrieden. Die Prognose, dass es hier keinen Stimmungsumschwung mehr geben kann, ist daher keine sehr gewagte.

Aber geht es darum überhaupt noch? Müsste in den mannigfaltigen internen Überlegungen nicht längst die perspektivische Parteiebene, wir haben bekanntlich 2025 wieder Bundestagswahlen, in den Vordergrund treten?

Fakt bleibt; SPD, Grüne und FDP kommen in vielen Umfragen zusammen gerade einmal auf Werte um die 33 Prozent. Der negative Trend ist bei keiner Ampel-Partei zu übersehen. Die Koalitionspartner wären daher, geht man vom heutigen Stand aus, bei Neuwahlen keine Gewinner. Dies würde zudem die ein oder andere Karriere, und ja, auch darüber darf man reden, empfindlich beschneiden oder vielleicht sogar beenden.

Für die Parteien geht es daher in den nächsten Monaten darum, sich und ihre Inhalte klarer hervorzuheben. Mit der Haushaltseinigung haben sie sich nun, als Nebeneffekt, einen Rahmen geschaffen, der eine weitere Beschädigung der Einzelorganisationen durch das „globale Markenbild“ der Koalition vermeiden soll. Innerhalb besagten Rahmens wird es aber klare Positionierungen geben, um das eigene Profil für die kommende Bundestagswahl  zu schärfen. Notfalls auch gegen die Interessen der anderen Ampel-Partner gerichtet. Weitere Konflikte sind absehbar, vollkommen eskalieren sollten sie aber nicht.

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Was sind die wichtigsten Punkte der Haushaltseinigung 2025? 

Im Moment muss vieles noch konkretisiert werden. Ein wesentlicher Punkt ist die Schuldenbremse. Die Ampel-Koalition hat beschlossen, diese weiterhin einzuhalten. Dabei wurde keine Notlage festgestellt, was bedeutet, dass die staatlichen Ausgaben stark reglementiert sind und die Möglichkeit zur Neuverschuldung nur sehr begrenzt besteht.

Bei relevanten Investitionen und Klimaschutz sind keine Kürzungen vorgesehen. Davon und durch weitere Anpassungen, auch im steuerlichen Bereich, verspricht man sich wichtige Wachstumsimpulse.

Beim Bürgergeld sind ebenfalls keine monetären Veränderungen angedacht. Sanktionen und Anreize werden wohl erwogen. Der Kinder- und Jugendplan sowie die Demokratieförderung werden ohne Abstriche fortgeführt. Kindergeld und Kinderzuschlag erhöhen sich 2025.

Die Verteidigungsausgaben werden als wichtig erachtet, der Wehretat wird aber nicht so stark steigen, wie es vielleicht durch das zuständige Ministerium gewünscht worden wäre.

Grundsätzlich ist dies aber nur der Rahmen. Die genaue Ausgestaltung gilt es abzuwarten.

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Bieten diese Punkte Konfliktpotential? 

In der Haushaltseinigung kann sich grundsätzlich jede Ampel-Partei wiederfinden. Das hat auch Bundeskanzler Olaf Scholz betont und es erscheint auf den ersten Blick auch nicht falsch - solange der gewagte Blick an der Oberfläche bleibt.

Sobald es in die Tiefe und um konkrete Maßnahmen sowie Gesetzesvorhaben geht, dürfte es noch schwierig werden. Die SPD würde gerne in soziale Programme investieren und so den eigenen Markenkern revitalisieren. Die Grünen noch mehr in die sozial-ökologische Transformation, während die FDP auf Haushaltsdisziplin und Wachstumsimpulse setzt. Die Schuldenbremse ist ebenso umstritten, wie Veränderungen beim Bürgergeld. Es wird daher definitiv noch intensive Diskussionen geben, die aber wiederum die angesprochene Profilierungschance in sich tragen.

Hinzu kommt jedoch, dass mancher Vorschlag, an dieser Stelle seien nur die angekündigten Steuererleichterungen für neue Arbeitskräfte aus dem Ausland, welche sie gegenüber der niedergelassenen Bevölkerung bevorzugen würde, genannt, auch großen gesellschaftlichen „Zündstoff“ in sich trägt. Warum den Verantwortlichen ein derart leicht zu emotionalisierendes sowie rechtlich schwieriges Thema quasi „durchgerutscht“ ist, erscheint ein wenig rätselhaft.

Und natürlich; eine Diskussion über dieses und ähnliche Themen könnte sehr viele andere Inhalte mit denen die Ampel punkten wollte, überlagern und sich am Ende als kontraproduktiv erweisen.

Insgesamt mag der Zusammenbruch der Bundesregierung daher zwar abgewendet sein, allerdings bleibt das Regieren weiter schwierig und es wird auf allen Ebenen weitaus mehr um Schadensbegrenzung sowie Parteipolitik gehen, denn um eine konstruktive und zukunftsweisende Politik.

Die Ampel ist, nüchtern analysiert, gescheitert. Realistisch betrachtet, wird es aber keine Neuwahlen geben. SPD, Grüne und FDP haben kaum mehr etwas zu gewinnen, aber sehr viel zu verlieren. Daher wäre es aus ihrer Perspektive unklug, es darauf ankommen zu lassen.

Häufig gestellte Fragen zu diesem Thema

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Jürgen W. Falter

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Dieser Text stammt von einem Expert aus dem FOCUS online EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Themenbereich und sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.