Ausbilderin muss fünf Jahre auf Hörgerät warten

Bei der Anerkennung von Diagnosen oder der Bewilligung von Hilfsmitteln stoßen viele Menschen auf Hindernisse. Der Sozialverband Deutschland zeigt auffällige Fälle.
Eine Frau mit einer schweren neuroimmunologischen Erkrankung geht auf zwei gesunden Beinen in die Reha und kommt im Rollstuhl wieder heraus. Ein Mann muss Sozialhilfe für seine Eltern beantragen, weil die Kosten im Pflegeheim exorbitant gestiegen sind. Diese Fälle sind nur zwei der vielen Beispiele aus dem Beratungsalltag des Sozialverbands Deutschland (SoVD) in Niedersachsen. Am Mittwoch veröffentlichte der Verband sein "Schwarzbuch sozial", in dem die nach seinen Angaben größten Ungerechtigkeiten, mit denen er im vergangenen Jahr zu tun hatte, aufgezeigt werden.
"In unserer Arbeit in unseren 50 SoVD-Beratungszentren sehen wir jeden Tag, wie sehr Menschen mit Behörden und Ämtern kämpfen müssen", heißt es darin. Die über 20 Fälle, die geschildert werden, zeigen laut Verband: "Recht haben und recht bekommen sind leider sehr oft zwei unterschiedliche Paar Schuhe."
Hinter den Akten stehen Menschen
Demnach seien vor allem Ältere, Kranke, Pflegebedürftige und Menschen mit geringem Einkommen von falschen und ungerechten Entscheidungen von Ämtern und Krankenkassen betroffen. Insbesondere im Bereich Pflege zeige sich eine große Verunsicherung. Die Anzahl der Verfahren in der Beratung zu diesem Thema habe sich mehr als verdoppelt.
Ziel des "Schwarzbuch sozial" sei es, mit den Verantwortlichen in Politik und Institutionen darüber ins Gespräch zu kommen. Und deutlich zu machen, dass hinter den Akten immer Menschen mit persönlichen Schicksalen stehen. "Viele Menschen, die zu uns kommen, sind verzweifelt, überfordert und wissen häufig nicht, wie sie ihren Alltag noch stemmen sollen", sagt Bernhard Sackarendt, Verbandsratsvorsitzender des SoVD in Niedersachsen.
Vier Fälle aus dem Schwarzbuch stellen wir Ihnen hier vor:
Rollstuhlfahrer kann gelbe Tonne nicht bereitstellen
In Hannover ersetzt seit Anfang des Jahres die gelbe Tonne die zuvor verwendeten gelben Säcke. Und genau die bringt für Peter Lüdtke unerwartete Probleme mit sich. Der 76-Jährige wohnt mit seiner Frau in einem Einfamilienhaus im Stadtteil Misburg. Da er im Rollstuhl sitzt, kann er die Mülltonnen nicht selbst an die Straße stellen. Für die Restmüll- und Biotonne nutzt er deshalb schon lange den Abholservice des Müllentsorgers Aha.
Den wollte er auch für die gelbe Tonne buchen – es stellte sich aber heraus: Für diese geht das nicht. Aha hat laut eigenen Angaben die Abfuhr der gelben Tonne für die Duales System Deutschland GmbH (auch bekannt als "Grüner Punkt") übernommen – eine Abholung vom Grundstück sei bei der Gelben Tonne nicht vorgesehen, auch nicht gegen Gebühr. Aha, Duales System und auch der Behindertenbeauftragte der Stadt konnten Lüdtke laut dem SoVD bisher keine Lösung anbieten.
"Für uns wäre es die beste Lösung, wenn das Duale System den Service in seinen Ausschreibungskatalog aufnimmt. Dann gäbe es für ganz Deutschland eine einheitliche Lösung und Betroffene könnten sich auf diese Regelung verlassen", so Lüdtke im Gespräch mit dem SoVD Niedersachsen.
Rentner ohne Smartphone kann kein Deutschlandticket kaufen
Joachim Lessmann nutzt die Stadtbahn und Busse in Hannover regelmäßig. Über die Einführung des Deutschlandtickets hat sich der 71-Jährige deshalb sehr gefreut. Schließlich ist das Deutschlandticket deutlich günstiger als ein Monatsticket der Üstra.
Womit er nicht gerechnet hat: Er kann das Deutschlandticket nicht kaufen. Denn bei der Üstra Hannoversche Verkehrsbetriebe gibt es dieses ausschließlich in digitaler Form. Wer es nutzen möchte, benötigt also ein Smartphone. "Nur weil ich nicht im Internet unterwegs bin, kann ich mir in Hannover kein Deutschlandticket kaufen", wird er im Schwarzbuch zitiert. "Da fühlt man sich schon ein bisschen wie der letzte Depp."
Auf Nachfrage bei der Üstra wurde Lessmann nur darauf hingewiesen, dass Verhandlungen für eine Chipkarte laufen. Eine Papierlösung solle es nicht geben. Beim SoVD ist das Problem bekannt, Lessmann ist nicht der einzige Betroffene. "Für uns als Sozialverband ist es völlig unverständlich, warum es kein analoges Ticket gibt. So werden gerade ältere Menschen, für die eine Nutzung besonders wichtig ist, kategorisch ausgeschlossen", kritisiert der Verband.