„Gift für die deutsche Wirtschaft“: Top-Ökonom warnt vor weiteren US-Zöllen
Wie gefährlich zusätzliche US-Strafzölle für die deutsche Wirtschaft sind, wie die größte Volkswirtschaft Europasa aus der Krise kommt, erklärt der IW-Chef im Interview mit dem FOCUS.
Herr Prof. Hüther, im vergangenen Jahr hat das Verarbeitende Gewerbe bundesweit 68.000 Stellen abgebaut. Gegenüber dem jüngsten Hoch von 2018 liegt der Rückgang sogar bei 172.000. Ist Deindustrialisierung Deutschlands im vollen Gang?
In der Tat befindet sich die Industrie bereits seit 2018 in einer Rezession. Die Industrie leidet unter hohen Energiepreisen, Steuerlasten und der überbordenden Bürokratie. Aus diesem Grund hat Deutschland in den letzten Jahren stark an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt: Im internationalen Ranking sind wir seit 2014 von Platz 6 auf Platz 24 abgerutscht. Diese Entwicklung bleibt nicht folgenlos – sie dämpft industrielle Investitionen, die jedoch essenziell für den notwendigen Strukturwandel und eine resiliente Wirtschaft sind.
Wie schlimm kann es noch werden?
Deutschlands Exporte profitieren bereits seit einigen Jahren nicht mehr im gleichen Maße vom globalen Wirtschaftswachstum wie früher. Das stellt das exportorientierte deutsche Geschäftsmodell zunehmend vor Herausforderungen. Handels- und geopolitische Risiken – darunter die Politik der USA unter Trump, die Sicherheitsbedrohung von Russland und die wirtschaftliche Konkurrenz aus China – erhöhen zusätzlich den Druck auf die deutsche Wirtschaft. Neben diesen De-Globalisierungstendenzen kommen weitere disruptive Veränderungen hinzu: Die verschleppte Digitalisierung, der demografische Wandel und die drängende Dekarbonisierung müssen gleichzeitig bewältigen werden.
Wie gefährlich ist dabei Donald Trump und die erwarteten pauschalen Zölle von 20 Prozent auf alle Einfuhren?
Ein transatlantischer Handelskrieg mit gegenseitigen Zollerhöhungen wäre ein Albtraum für den Welthandel. Falls die EU und USA gegenseitig Zölle in Höhe von 20 Prozent erheben und Trump zusätzlich chinesische Importe mit Zöllen von 60 Prozent belegt, könnte die Wirtschaftskraft Deutschlands im Jahr 2028 – am Ende von Trumps Amtszeit – um 1,45 Prozent niedriger ausfallen und zu einem Verlust von 180 Milliarden Euro über vier Jahre führen. Dies wäre Gift für die derzeit ohnehin schwächelnde deutsche Wirtschaft.
Helfen die geplanten Milliarden-Investitionen von Union und SPD, um den Trend zu drehen?
Der Infrastrukturfonds ist ein wichtiger und richtiger Schritt, um die Versäumnisse der vergangenen 20 Jahre aufzuholen. Allerdings muss sichergestellt werden, dass das Finanzpaket nicht zu einem reinen Verschiebebahnhof mutiert – die Investitionen müssen zusätzlich erfolgen. Gleichzeitig darf sich die Politik nicht auf diesem fiskalischen Impuls ausruhen.
Sondern?
Strukturreformen müssen ehrlich und konstruktiv vorangetrieben werden. Dazu zählt eine längst überfällige Rentenreform, um die arbeitende Gesellschaft und die nächste Generation zu entlasten. Gleiches gilt für die ausufernden Sozialabgaben. Der Infrastrukturfonds allein reicht nicht aus – er muss durch schnellere und effizientere Planungs- und Genehmigungsverfahren ergänzt werden. Gleichzeitig sind Deregulierung und Bürokratieabbau essenziell, um Investitionen zu erleichtern. Außerdem sind Maßnahmen wie verbesserte Abschreibungsregeln zur Investitionsförderung, eine umfassende Unternehmenssteuerreform und die Sicherstellung wettbewerbsfähiger Energiepreise notwendig.