Lehrer sieht „entscheidenden Moment“ für späteren Erfolg von Kindern schon vor der Grundschule
In deutschen Schulen mangelt es an Schüler-Teilhabe. Der Lehrerverband rechtfertigt sich und fordert „flankierendes Personal“.
Die aktuelle Studie „Teilhabeatlas Kinder und Jugendliche“ zeigt, dass sich junge Menschen in Deutschland mehr Möglichkeiten zur Mitsprache und Mitbestimmung wünschen. Für die Studie analysierte das Berlin-Institut gemeinsam mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und der Wüstenrot Stiftung Daten aus 400 Kreisen und kreisfreien Städten in Deutschland. Eines der Schlüsselergebnisse: Junge Menschen haben oft sehr konkrete Ideen dazu, was sich in ihrer Umwelt verbessern könnte, vor allem, was Schulalltag und die Ausstattung ihrer Schule anbelangt.
Inwieweit sie dort mit ihren Anliegen gehört werden, ist in ihrer Wahrnehmung jedoch sehr unterschiedlich. Auf Gymnasien haben Jugendliche eher das Gefühl von Beteiligung als auf anderen Schulformen. Ob die eigene Schule Mitgestaltung ermöglicht, hängt laut „Teilhabeatlas“ stark vom Engagement einzelner Lehrkräfte ab. Das Fazit: Schule bietet ungenutztes Potenzial für Beteiligung. BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA konfrontiert den Lehrerverband mit diesem Vorwurf.

So erklärt sich der Lehrerverbandspräsident die Unterschiede in der Schüler-Teilhabe
„Die Möglichkeiten einer Schule und ihrer Lehrkräfte, solche Optionen anzubieten, hängen aber auch von den äußeren Umständen ab“, sagt Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbands (DLV), BuzzFeed News Deutschland. „Überlastete Lehrkräfte haben keine Zeit und Kraft, zusätzlich zum Unterricht mit Vor- und Nachbereitung und Korrekturen weitere Angebote zu machen.“ Damit das möglich sei, brauche es Entlastung der Lehrkräfte durch mehr Verwaltungs- und IT-Personal, und „flankierendes Personal“ in den Bereichen Schulpsychologie, Schulsozialarbeit und Schulprojektarbeit.
„An allen Schulformen gibt es engagierte Lehrkräfte“, sagt Düll dazu, dass Jugendliche auf Gymnasien noch eher das Gefühl von Mitbestimmung haben als auf anderen Schulformen. Den Unterschied erklärt er sich damit, dass an den Real-, Haupt- und Gesamtschulen in der 9. oder 10. Klasse der Abschluss im Fokus stehe. Auf Gymnasien sei er in dieser Altersstufe noch weit entfernt. Sowohl bei Lehrkräften als auch Schülerinnen und Schülern bestehe deswegen mehr Bereitschaft für „zusätzliche Angebote und Engagement“, sagt er.
Klassenräte, Debattierclubs, AGs, Schulgärten, Schülerzeitungen, Exkursionen, Schüleraustausche und Übungsfirmen – Düll ist der Meinung, dass es vor allem diese Dinge „den Kindern und Jugendlichen bei der Persönlichkeitsentfaltung und der Erfahrung von Selbstwirksamkeit“ helfen. Für solche Angebote über den Unterricht hinaus brauche es allerdings auch zusätzliche Finanzierung für Material- oder Reisekosten. „Gerade in finanzschwachen Kommunen brauchen Schulen und Schülerinnen und Schüler mehr finanzielle Unterstützung für solche Projekte.“ Er hofft, dass sich das Startchancen-Programm der alten Bundesregierung, das Bildung gerechter machen soll, „auch in dieser Hinsicht positiv auswirkt“.
Besonders viele Schulabbrecher in Brandenburg – Lehrer fordert „Schulfähigkeitsprüfung“
„Das Startchancen-Programm ist ein guter Ansatz, aber es ist ausbaufähig“, sagt Hartmut Stäker, der Präsident des Verbands Bildung und Erziehung Brandenburg (BPV). „Für mich wirkt es wie ein Testballon.“ In einigen Landkreisen seines Bundeslands sind die Auswirkungen fehlender Teilhabe von Schülern und Schülerinnen deutlich spürbar, zum Beispiel in der Uckermark oder im Landkreis Prignitz. Dort brechen zwölf Prozent der Schüler und Schülerinnen die Schule ab.
Deutschlandweit beenden jedes Jahr rund 50.000 Schülerinnen und Schüler ihre Schullaufbahn ohne Abschluss, also etwa sieben Prozent. In süddeutschen Bundesländern sind es teilweise nur drei Prozent. „Die Unterschiede sind teils gravierend“, sagt Claudia Härterich vom Berlin-Institut. Stäker sieht das Problem nur bedingt in der Region: „Wir brauchen einheitliche Ziele in der Bildungspolitik, die für ganz Deutschland gelten, um Schulabbruch zu verringern“, sagt der Lehrer für Mathematik, Physik und Wirtschaftswissenschaften.

Stäker lobt den Alberta-Plan, benannt nach der Bildungsstrategie der kanadischen Provinz Alberta, den die neue Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) als Konzept „Bessere Bildung 2035“ mitinitiiert hat. Dieser setze klare Ziele, zum Beispiel, dass der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die die Mindeststandards in Deutsch und Mathematik nicht erreichen, um 50 Prozent sinken solle. Doch Stäker würde noch weitergehen: „Wir müssen im Kindergarten anfangen: Der Übergang vom Elementarbereich zur Grundschule ist ein entscheidender Moment“, sagt er BuzzFeed News Deutschland.
Stäker fordert eine „Schulfähigkeitsprüfung“, damit Kinder mit Entwicklungsverzögerungen nicht in die erste Klasse kommen und Lehrkräfte dort dann mit einer „enormen Leistungsspanne zwischen den Kindern kämpfen müssen“. Er kritisiert: „Manche Erstklässler können schon bis 1000 zählen und Geschichten erzählen, während andere noch Windeln tragen. Die Heterogenität muss eingedämmt werden und/oder für Kinder mit Förderbedarf, der oft schon in der Kita festgestellt wird, müssen personelle und zeitliche Ressourcen vorhanden sein. Damit wäre nicht nur den Lehrern, sondern vor allem den Schülern enorm geholfen.“