„Stromnotstandsland“? Deutschland muss nach Atom-Aus mehr Strom importieren
Deutschland verzeichnet erstmals ein Defizit im grenzüberschreitenden Stromhandel. Doch die Verbraucher profitieren. Die Union warnt nach dem Atomausstieg vor neuen Problemen beim Kohleausstieg.
Berlin - Der Stromhandel über Ländergrenzen hinweg ist gang und gäbe. Laut Bundesnetzagentur profitieren die nationalen Strommärkte davon, weil Unterschiede bei Verbrauch und Erzeugung besser ausgeglichen werden können. Da beispielsweise der Wind in Europa nicht immer überall gleich stark weht, können andere Kraftwerke dies ausgleichen.
Stromimporte aus dem Ausland senken Verbraucherpreise: 2023 erstmals ein Minus für Deutschland
Viele Jahre lang hat Deutschland im grenzüberschreitenden Stromhandel einen Überschuss erzielt. Laut dem Portal Stromdaten.info, dessen Daten bis 2016 zurückreichen, erreichte der Überschuss im Jahr 2022 mit rund 2,96 Milliarden Euro ein Allzeithoch. Im vergangenen Jahr wurde nach dem Abschalten der letzten Atomkraftwerke jedoch erstmals ein Defizit verzeichnet.
Stromdaten.info hat errechnet, dass die deutschen Versorger 2023 rund 54 Terawattstunden im Wert von 5,75 Milliarden Euro aus dem Ausland importierten. Die Exporte der deutschen Erzeuger beliefen sich dagegen nur auf gut 42 Terawattstunden im Wert von 3,47 Milliarden Euro. Damit ergab sich ein Defizit von 11,7 Terawattstunden oder 2,28 Milliarden Euro.
Stromimporte aus dem Ausland senken Verbraucherpreise: Strom im Ausland billiger
Die Bundesnetzagentur bestätigte diese Zahlen gegenüber der Augsburger Allgemeinen. Ob das Defizit mit dem Atomausstieg zusammenhängt, ist allerdings unklar, auch wenn das Minus vor allem von April bis Oktober auflief, also in den Monaten nach der Abschaltung des letzten Reaktors. „Deutschland verfügt über ausreichend Erzeugungskapazität, um den Strombedarf auch ohne Importe jederzeit zu decken“, sagte eine Sprecherin der Bundesnetzagentur der Zeitung. Zugleich betonte sie: „Wird Strom importiert, liegt das daran, dass der Strom im Ausland günstiger war.“ Durch die Importe werde der Strom also für die Verbraucher in Deutschland preiswerter.
Ohne den grenzüberschreitenden Handel wären die Strompreise also vermutlich deutlich stärker gestiegen, die Verbraucher in Deutschland hätten noch mehr zahlen müssen. Dabei waren auch wegen der explodierenden Brennstoffkosten für Gaskraftwerke die Strompreise 2023 so hoch wie noch nie. Nach Angaben des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) mussten im vergangenen Jahr im Schnitt 45,73 Cent pro Kilowattstunde gezahlt werden. 2022 waren es 37,91 Cent. Im Jahr 2021, dem Jahr vor Ausbruch des Ukraine-Krieges, lag der Durchschnittspreis noch bei 32,16 Cent pro Kilowattstunde.
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Im laufenden Jahr sinken die Strompreise wieder, allerdings nur leicht. Laut der BDEW-Strompreisanalyse vom Februar 2024 ging der durchschnittliche Haushaltsstrompreis zu Jahresbeginn 2024 um knapp acht Prozent gegenüber dem Jahresdurchschnitt 2023 zurück. Er lag im Januar bei durchschnittlich 42,22 Cent pro Kilowattstunde.
Stromimporte aus dem Ausland senken Verbraucherpreise: Union nennt Atomausstieg einen schweren Fehler
Gleichwohl kritisierte Jens Spahn in der Augsburger Allgemeinen die hohen Stromhandelsdefizite. „Trotz Energiekrise drei sichere und klimaneutrale Kernkraftwerke abzuschalten, war ein schwerer Fehler“, sagte der stellvertretende Unionsfraktionschef. Bürger und Unternehmen zahlten mit hohen Stromkosten den Preis für die Politik der Ampel.
Spahn warnte vor einer ähnlichen Entwicklung beim geplanten Ausstieg aus der Kohleverstromung. „Am Ende dieses Monats gehen weitere acht Gigawatt Kohlekraft dauerhaft vom Netz, ohne jeden Ersatz“, so der CDU-Politiker. Auch im nächsten Winter würde man wieder von den Nachbarn abhängig und müsse teuren Strom importieren. „Die Ampel macht Deutschland zu einem Stromnotstandsland“, so Spahn weiter. „Es muss gelten: kein Ausstieg mehr ohne vorherigen Einstieg in entsprechenden Ersatz. Bevor weitere Kohlekraftwerke vom Netz gehen, müssen entsprechend Gaskraftwerke gebaut sein.“