Buchkritik von Rainer Zitelmann - Kein Gott und kein Teufel – ein differenziertes Buch über Donald Trump

Dass Trump fast ausschließlich negativ zu bewerten ist, ist ein Konsens, der in Deutschland von den meisten Menschen geteilt wird. In ARD und ZDF wird fast ausschließlich negativ über ihn berichtet. Und außer der AfD gibt es wohl keine Partei, deren Vorsitzende sich nicht schon negativ zu Trump geäußert hätten. Auch der Autor dieses Buch, Ansgar Graw, der lange als Korrespondent in den USA gelebt hat, gehört zu denen, die Trump kritisch sehen. Das Verdienst seines soeben erschienenen Buches „ Die Ära Trump (Anzeige)“ liegt aber darin, dass er kein Schwarz-Weiß-Bild zeichnet.

Punkt für Punkt geht er alle gegen Trump erhobenen Vorwürfe durch und prüft, ob sie sich belegen lassen. Er ist dabei weder Verteidiger noch Ankläger, bemüht sich aber, trotz aller Kritik, Trump Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Sein Postulat: „Darum wird es Zeit, ehrlich mit Donald Trump umzugehen und gerechte Urteile zu fällen. Gerecht zu sein zu einem, der allenfalls selbstgerecht ist.“

Gerechtigkeit für Donald Trump

Für die Behauptungen, Trump sei ein Antisemit oder „homophob“, fänden sich ebenso wenig Belege wie dafür, dass er ein Rassist sei, der an die Überlegenheit der Weißen glaube. Und auch wenn seine Gegner ihn als Frauenfeind bezeichnen, zeigt seine Biografie, dass er immer wieder Frauen in entscheidende Führungspositionen in seinen Unternehmen und im Weißen Haus berufen habe. Und Trump sei auch nicht grundsätzlich gegen Migranten, sondern habe sich in der Auseinandersetzung zwischen Elon Musk und den Rechten in seiner Partei auf die Seite von Musk gestellt, der für qualifizierte Zuwanderung ist, aber eben gegen illegale Migration.

Graw präsentiert manche überraschende Aussagen von Trump, so etwa, dass er sich mehrfach gegen die Ideologie des sogenannten „amerikanischen Exzeptionalismus“ gewandt habe. Das sei ein gefährlicher Begriff, meinte Trump. Manchmal zeigt er Einfühlungsvermögen wie man es von ihm nicht erwartet hätte, so etwa wenn er die Berufung auf die amerikanische Einzigartigkeit mit dem Argument kontert: „Wenn Sie ein Deutscher sind, oder aus Japan oder aus China, wollen Sie niemanden haben, der so etwas sagt. Ich mochte den Begriff nie“ (2015).

Sympathiebekundungen für Diktatoren und Autokraten

Kritisch sieht Graw dagegen zu Recht Trumps häufig wiederholte Sympathiebekundungen für Diktatoren und Autokraten – ähnlich positive Äußerungen findet man kaum über demokratisch gewählte Staatsoberhäupter. Graw ist jedoch Optimist und glaubt, dass die Institutionen und die Verfassung der USA stärker sein werden und auch Versuche Trumps, Rechtsstaat und Demokratie auszuhebeln, überstehen würden.

Die Rolle, die Trump beim Sturm auf das Capitol spielte und die Tatsache, dass er die 1600 Teilnehmer begnadigte, nähren begründete Zweifel an seiner demokratischen Gesinnung und seinem Respekt vor dem Rechtsstaat. Aber auch in dieser Beziehung ist manche Kritik überzogen, so wie der Hinweis auf seine angebliche Drohung mit einem Blutbad für den Fall, dass er die Wahlen verliert. Obwohl es eindeutig ist, dass ein entsprechendes Trump-Zitat aus dem Zusammenhang gerissen und damit verfälscht wurde, wird es bis heute von seinen Gegnern ständig wiederholt. Graw führt weitere Beispiele an, wo Trumps Äußerungen von seinen Gegnern bewusst entstellt wurden.

Licht und Schatten in der Wirtschaftspolitik

Welche Kritik ist aber aus Sicht des Autors berechtigt? Er führt mehrere Beispiele an, wo Trump und seine Familie ihre geschäftlichen Interessen in ethisch fragwürdiger Weise mit dem politischen Amt verknüpften. In Trumps Wirtschaftspolitik sieht Graw positive und negative Aspekte: Positiv sind Steuersenkungen und Deregulierungen, wie er sie in der ersten Amtszeit vorgenommen und für die zweite Amtszeit angekündigt hat. Negativ ist seine Besessenheit von höheren Zöllen, also der Protektionismus, der bisher jedem Land auf lange Sicht geschadet hat. Und negativ ist natürlich auch die exzessive Staatsverschuldung – hier unterschied sich Trump indes nicht von seinem Vorgänger Barack Obama oder seinem Nachfolger Joe Biden. Man kann nur hoffen, dass es Elon Musk gelingen wird, den aufgeblähten Staatsapparat zurückzufahren.

Was in seiner Wirtschaftspolitik der zweiten Amtszeit dominieren wird, ist aus Sicht von Graw noch offen: „Wagt er mehr Markt oder zieht er sich zurück hinter Zollmauern?“ Vermutlich wird er beides tun. Die Sympathien des Autors liegen eher bei Javier Milei als bei Trump und er betont, dass sie sich im Stil ähneln mögen, aber ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen seien sehr unterschiedlich: „Trump verfolgt protektionistische und expansive Strategien, während Milei auf radikale Marktfreiheit und staatliche Zurückhaltung setzt.“ Graw zeigt, dass das Bild vom „puren Kapitalismus“ ist in den USA, das viele Europäer haben, mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat und schreibt zu Recht: „Amerika hat nicht zu viel, sondern zu wenig Kapitalismus“.

Wird es gut gehen zwischen Trump und Musk?

Der Einfluss von Musk kann aus Sicht von Graw eher positiv sein. Aber es stellt sich die Frage, wie lange es zwischen beiden gut gehen wird. Trump hasst es, wenn jemand anders neben ihm scheint. „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ ist wohl sein Motto. Wird es zwischen Trump und Musk, den beiden schwierigen Persönlichkeiten, irgendwann zum Showdown kommen? Trump, so Graw, sitzt am Ende am längeren Hebel.

Im besten Fall, so möchte ich hinzufügen, versteht Trump, dass nicht nur Musk ihn, sondern er auch Musk braucht. Von der notwendigen Entbürokratisierung und Deregulierung auch im Bereich der Raumfahrt würde Musk mit seinem Unternehmen Space X profitieren, aber am Ende auch Trump, wenn Amerika in den nächsten vier Jahren einen großen Schritt auf dem Weg zum Mars weiterkommt. Das könnte eine win-win-Situation für beide sind. Aber Trump denkt eben oft nicht rational und ist unberechenbar. Und Musk wird sich garantiert niemals einem anderen Menschen unterordnen, auch nicht Trump. Und Trump wird das ebenso wenig tun. Und die Demokraten haben bereits erkannt, wie sie geschickt einen Keil zwischen beide treiben können, wenn sie Trumps Eifersucht auf Musk anstacheln.

Auswüchse der „Woke-Kultur“ und „Genderideologie“

Positiv sieht Graw zu Recht auch, dass Trump begonnen hat, die Auswüchse der „Woke-Kultur“ und „Genderideologie“ zurechtzustutzen. Er verdankt seinen Erfolg unter anderem auch dem Unmut vieler Amerikaner über die von linken Tugendwächtern errichteten Tabus und Sprechverbote. Trump gibt sich als Anwalt der freien Rede, wobei er – auch dies sagt Graw – die freie Rede oft dazu verwendet, die Unwahrheit zu verbreiten. Alle wissen das, aber seine Anhänger scheinen sich nicht daran zu stören, empfinden ihn als authentisch und sehen in ihm einen Anwalt des gesunden Menschenverstandes. Trump habe „keine Überzeugung und keine Gesinnung und keine Ideologie, allenfalls einige Versatzstücke daraus, die er als Commonsense-Haltung bezeichnet“, so der Autor.

Insgesamt ein gelungenes – ebenso differenziertes wie fesselnd geschriebenes – Werk, das auch durch seine Aktualität besticht, da alle Ereignisse bis zum Vortag der Inauguration berücksichtigt werden.