Mit manikürten Krallen: Lahav Shani und das Rotterdam Philharmonic Orchestra

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Lahav Shani wird 2026 Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. © Marco Borggreve

2026 wechselt Lahav Shani von Rotterdam nach München. Mit den Niederländern gastierte er gerade in der Isarphilharmonie. Dvoraks Neunte wird dabei zur ungewöhnlichen, noblen Klangerfahrung.

Solche Gäste kennt man. Die nicht mit der Tür ins Haus fallen, sondern beim Betreten der Wohnung die Schuhe ausziehen und als Präsent eine Bonbonniere dabeihaben, in diesem Fall mutmaßlich Zartbitter. Und die an der abendlichen Tafel geistreiche Konversation betreiben, bei Pointen nicht herausplatzen, sondern amüsiert lächeln. So ungefähr hat man sich das Spiel des Rotterdam Philharmonic Orchestra vorzustellen. Eines jener Ensembles aus den Niederlanden (man höre nur das Amsterdamer Concertgebouworkest), dessen Musizieren nichts Präpotentes hat. Ein Warmblüter, edel timbriert, kultiviert und mit Delikatesse.

Vor diesem Hintergrund passt der Chef ideal. Auch Lahav Shani, so temperamentvoll und animierend er dirigiert, so sehr liebt er doch die Zwischentöne, die Intensität im Zurückgenommenen. Dass dieser Feinabschmecker nicht mehr lange bei den Rotterdamern bleibt, um 2026 nach München zu wechseln, ist bekannt (übrigens nicht dem Programmheft). Und es ist, man sieht sich wieder bestätigt beim Gastspiel der Niederländer in der Isarphilharmonie, ein Glücksfall für die hiesigen Philharmoniker – die ja auch weniger nach Stahl, vielmehr nach Bronze tönen.

Kammermusikalisches und Kollegiales

Die sind, inklusive des künftigen Intendanten Florian Wiegand, in kleiner Delegation erschienen. Was nicht nur sie erleben: Dvoraks Neunte einmal nicht als Orchesterreißer. Shani lässt sich mit den Rotterdamern viel Zeit für die Introduktion, später dann fürs Largo. Ein Mut zum Verweilen spricht aus dieser Deutung, eine kammermusikalische Grundierung. Und viel Kollegiales: Shanis Vorstellung vom Werk ist stets spürbar, doch nimmt er Angebote aus dem Orchester auf. Gerade der langsame Satz mit seinem hier phänomenalen, wie unendlich gesponnenen Englischhorn-Solo entfaltet sich in all seinem Weh, doch nie in Weinerlichkeit.

Sicher gibt es Kontraste. Aber die sind logisch eingepasst und wollen nicht überwältigen. Shanis Dvorak zeigt Krallen, doch sind die sorgsam manikürt. Am letzten Cello-Pult sitzt dabei der Star: Gautier Capucon will an solcher Anti-Klischee-Aktion offenkundig mitwirken. Zumal er, man registriert es vor der Pause, einen etwas anderen Zugriff pflegt. Schumanns Cello-Konzert ist ohnehin eher Solistensache. Das Orchester gibt Stichworte und den Sekundanten, Capucon nutzt das für eine Intensität, die besonders in den Tiefenregistern auch Holziges, Geräuschhaftes riskiert.

Weit spreizt sich dabei das Farb- und Nuancenspektrum, wobei Capucon Primus inter pares bleibt. Sogar in der Zugabe, der Adaption einer Schostakowitsch-Prelude, die der Franzose zusammen mit der Rotterdamer Cellisten-Gruppe spielt. Drei Lieder ohne Worte von Felix Mendelssohn Bartholdy eröffneten den bejubelten Abend und gaben den Ton vor: auch hier pure Noblesse und viel Feintuning. Die Vorfreude auf Lahav Shani wächst immer mehr.

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