Gesine Schwan diskutiert in Biburg mit Bundestagsabgeordnetem: Wie steht es um unsere Demokratie?
Hoher Besuch aus Berlin in Biburg: Prof. Dr. Gesine Schwan, Politikwissenschaftler und Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, war beim Bezirksparteitag der SPD im Bürgerhaus zu Gast.
Biburg – Groß war das Interesse, den Worten einer der wohl bekanntesten Frauen Deutschlands zu hören zum Thema „75 Jahre Grundgesetz: Wie steht es um unsere Demokratie?“ zu hören. So groß, dass sogar noch extra Stühle geholt werden mussten. Kein Wunder, hatte doch die Attacke auf SPD-Politiker Matthias Ecke in Dresden nicht nur die Genossen erschüttert.
„Das hat uns vor Augen geführt, wie ernst diese Frage diskutiert werden muss“, sagte Daniel Liebetruth, Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Fürstenfeldbruck, zur Begrüßung. Er und alle anderen Politiker seien immer wieder Beleidigungen und Anfeindungen ausgesetzt – in den Sozialen Medien, aber auch am Infostand. „Lasst uns die Demokratie nicht als selbstverständlich hinnehmen. Denn das ist sie nicht“, appellierte er an den Anwesenden.
Dann kam Gesine Schwan zu Wort. In 25 Minuten ( „Der Michael hat mir nur 24 zugestanden.“) führte sie demokratietheoretische Überlegungen aus. Den Anker unserer Demokratie bilde Artikel 1 des Grundgesetz (Die Würde des Menschen ist unantastbar). Daraus ergebe sich das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung.
Mehr Partizipationin den Kommunen
Verschiedene Menschen haben aber auch verschiedene Interessen, erklärte Schwan. In einer Demokratie müssten diese abgeglichen und ein Kompromiss, ein Grundkonsens ausgehandelt werden, der am Gemeinwohl orientiert ist. Dieser müsse argumentativ ausgehandelt, auch erstritten werden, aber immer fair und nicht beleidigend. „Derzeit erleben wir aber, dass das nicht gelingt, dass die Politiker nicht zu einer Lösung kommen“, so Schwan. Und das führe zu Vertrauenslust. Um Demokratie wieder glaubwürdiger zu machen, müsse man Partizipation in den Kommunen ausweiten. Stichwort: Bürgerbeteiligung.
Politische Kulturohne Zuspitzungen
Bundestagspolitiker Michael Schrodi, der mit Schwan auf dem Podium saß, wollte wissen, „wie wir unsere Demokratie wehrhafter machen können“. Schwan antwortete: Zum einen müsse man die Institutionen rechtlich absichern („dass bei der personellen Besetzung nicht alles den Bach runtergeht“). Zum anderen erhalte sich Demokratie nur, wenn Werte und Vorstellungen der Bürger ähnlich sind. „Wir brauchen eine politische Kultur ohne Zuspitzungen, die nur darauf aus sind, den anderen zu diskreditieren.“ Leider sei das derzeit der Fall. „Da wird gedemütigt und niedergemacht“, sagte Schwan. Das sei kein politischer Streit.
Auch soziale Ungleichheiten müssten ausgeglichen werden. „Die Gleichheit muss aber für alle hergestellt werden, nicht nur für die Volksgenossen.“
Nach zwei Stundenist das Publikum dran
Nachdem sich Schwan und Schrodi gut zwei Stunden die Bälle hin und her geworfen hatten, war das Publikum dran. Eine Zuhörerin fragte Schwan nach der Bezahlkarte für Asylbewerber („Sind wir da eingebrochen und werfen dem rechten Flügel ein Zuckerli hin?“). Sie halte die Bezahlkarte für „ein Musterbeispiel einer bekloppten Politik“, antwortete die Politikwissenschaftlerin. Wie man darin etwas Unmoralisches sehen könne, dass Geflüchtete ihre Familien zuhause mit Geld unterstützen, sei verrückt. Zudem sei es realitätsfern anzunehmen, dass wegen der Karte weniger Flüchtlinge kommen, so Schwan weiter. Schrodi bezeichnete die Karte als „Scheinlösung, eine Gängelung.“
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Das Problem von Fake News und Parallelwelten in Sozialen Netzwerken sprach eine weitere Besucherin an. „Einen Grundkonsens über die Faktenlage gibt es nicht“, sagte sie. Die Offenheit und Stärke unserer Demokratie sei gleichzeitig die Achillesferse, weil es viele Einfallstore für Desinformation gebe. Schwan antwortete ihr, dass es für Lüge oder Wahrheit keinen absoluten Maßstab gebe. Eine Gesellschaft müsse politisch so erfahren sein, dass sie gegen Stimmungen immun ist. Sei sie das nicht, werde es gefährlich. „Die Nazis sind über Stimmungen an die Macht gekommen.“
Dass die Sozialbindung von Wohnungen nach 30 Jahren entfällt, thematisierte ein Besucher. Eine weitere Besucherin regte an, dass man nicht immer nur das Negative betonen solle, sondern auch das Positive. „Uns geht es doch eigentlich gut“, sagte sie. Die Grundüberlegung, das Positive zu betonen, teile sie, sagte Schwan. „Aber die sozialen Situationen sind doch sehr verschieden.“ Deutschland gehöre in Europa zu den Ländern mit den krassesten sozialen Gegensätzen.
Nach drei Fragerunden beendete Schrodi die Diskussion. Und Schwan meinte dazu in ihrer Berliner-Art: „Jetzt ist auch gut.“