CO2-Bilanz so groß wie von EU-Land - Die erschreckende Klima-Bilanz von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine
Durch Kampfhandlungen, Feuer an der Front und den nötigen Wiederaufbau verursacht Russlands Krieg gegen die Ukraine doppelt so viele Emissionen wie Belgien in einem Jahr verursacht. Auch die weltweite Aufrüstung sorgt für einen größeren CO₂-Ausstoß.
Der russische Angriff auf die Ukraine hat in den vergangenen zwei Jahren zu 180 bis 200 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen (in Äquivalenten) geführt, wie aus einer Studie hervorgeht. Das ukrainische Ministerium für Umweltschutz und natürliche Ressourcen rechnet mit 150 Millionen Tonnen – mehr als Belgien in einem Jahr verursacht und ein Fünftel der jährlichen Emissionen Deutschlands.
Militär, Aufrüstung und Flucht dominieren die Berichterstattung über Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine . Die Belastung der Umwelt und die Auswirkungen auf das weltweite Klima finden bisher kaum Beachtung. Lennard de Klerk will das ändern. Er ist Klimaforscher und Hauptautor der halbjährlich erscheinenden Studie „Climate Damage Caused by Russia’s War in Ukraine“. Er und sein Team aus internationalen Forschenden schlüsseln darin Klimaschäden und Treibhausgasemissionen des Krieges auf.
Wiederaufbau, Kampfhandlungen und Feuer an der Front sind Hauptquellen
Die Emissionen gehen sowohl auf die unmittelbare Kriegsführung zurück, als auch auf die Folgen des Krieges. „Panzer, Fahrzeuge und Flieger verursachen zwar Emissionen, aber machen schlussendlich nur ein Viertel des Gesamtausstoßes aus“, erklärt de Klerk im Gespräch mit Table.Briefings. Wesentlich sind zum Beispiel auch Feuer nahe der Frontlinie , die 15 Prozent der Emissionen ausmachen. Der größte Anteil geht aber auch zerstörte Infrastruktur und Gebäude zurück, die nach dem Krieg wieder aufgebaut werden müssen.
Doch auch indirekte, weniger offensichtliche Faktoren haben Einfluss. Da wären zum Beispiel Flugumleitungen , nachdem Russland den sibirischen Luftraum sperrte und auch der ukrainische Luftraum für den kommerziellen Verkehr geschlossen wurde. Diese führen zu längeren Flugrouten und höheren Treibhausgasemissionen, die mit zwölf Prozent des Gesamtausstoßes zu Buche schlagen. De Klerks Team bezog zudem die Sabotage an den Erdgaspipelines Nord Stream 1 und 2 im September 2022 in seine Berechnungen mit ein – sie mache zehn Prozent der gesamten Emissionen aus. Fluchtbewegungen verursachen zusätzliche zwei Prozent.

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Den größten Anteil der Emissionen – etwa 55 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent – macht aber der Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur aus. Häuser, Industrieanlagen, Transportsysteme, Energie- und Landwirtschaftsanlagen müssen nach dem Krieg wieder aufgebaut werden. Hier fallen beispielsweise Emissionen für die Zement- oder Stahlherstellung oder den Transport von Baustoffen an.
Weltweite Aufrüstung sorgt für größeren CO₂-Ausstoß
Neben den direkten verursacht der Krieg auch indirekte Emissionen, die de Klerk und sein Forscherteam nicht beziffert haben. „Konflikte tragen zur Militarisierung anderer Länder und einer weltweiten Aufrüstung bei, die ebenfalls Treibhausgase verursacht. Und sie verhindern, dass ein Land sich auf eine wirkungsvolle Klimapolitik konzentrieren kann“, erläutert de Klerk.
Das bestätigt auch das ukrainische Ministerium für Umweltschutz und natürliche Ressourcen. „Die effektive Umsetzung der staatlichen Klimapolitik wird durch die negativen Folgen des Krieges erschwert“, antwortet das Ministerium auf Anfrage von Table.Briefings. Finanzielle Mittel, die für Umwelt- und Klimaschutz vorgesehen waren, seien anderweitig gebunden.
Der Krieg verursacht zudem verheerende Auswirkungen auf die Umwelt. Er zerstöre ganze Ökosysteme, berichtet das ukrainische Ministerium, was die betroffenen Gebiete und die dort lebenden Menschen anfälliger für Auswirkungen des Klimawandels wie Hitze oder Extremwetterereignisse mache.
4000 Fälle von Umweltschäden in den vergangenen zwei Jahren
Insgesamt dokumentierte das Ministerium in den vergangenen zwei Jahren 4.000 Fälle von Umweltschäden , deren Kosten sich auf umgerechnet 52 Milliarden Euro belaufen. Den Großteil davon, nämlich 28 Milliarden Euro, macht die Luftverschmutzung durch den Krieg aus, knapp 24 Milliarden die Verunreinigung von Böden. Zudem werden seltene Tier- und Pflanzenarten vernichtet – darunter solche, die im Roten Buch der Ukraine, einer offiziellen Liste gesetzlich geschützter Tiere, Pflanzen und Pilze, aufgeführt sind.
Auch das Center for Environmental Initiatives Ecoaction , eine zivilgesellschaftliche Umweltschutzorganisation, behält durch den Krieg verursachte Umweltschäden im Blick. Die Forschenden registrierten in den vergangenen zwei Jahren mehr als 1.500 Fälle. Die gravierendsten waren die Sprengung des Kachowka- Staudamms im Juni 2023, die Besetzung der Sperrzone von Tschernobyl und des Kernkraftwerks Saporischschja und die Flutungen von Bergwerken im Donbas, die zu Grundwasserverseuchung und Bodenabsenkung führten.
Gesellschaftliches Verständnis für Klimaschutz ist trotz Krieg hoch
Dennoch bleibt die Ukraine gewillt, Klima- und Umweltschutzmaßnahmen umzusetzen – auch, weil Politiker wissen, dass eine effektive Klimapolitik maßgeblich für eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union sein könnte. „Wir haben einen Entwurf für eine Strategie zur Entwicklung und Umsetzung der staatlichen Klimapolitik bis 2035 und einen operativen Aktionsplan mit klar definierten Aufgaben entwickelt“, berichtet das Ministerium. Auch für den Großteil der ukrainischen Gesellschaft (95 Prozent) bleibt Umweltschutz trotz der umfassenden Invasion durch Russland wichtig, betont Ecoaction gegenüber Table.Briefings.
Die Realität bleibt aber, dass Schutzmaßnahmen nicht überall umsetzbar sind. So sind mehr als 800.000 Hektar Wald und 514 Schutzgebiete besetzt . Aktuell okkupiert Russland 18 Prozent der ukrainischen Landfläche, inklusive der Krim.
So detaillierte Daten wie im Fall dieses Krieges liegen selten vor. De Klerk zufolge liege das unter anderem daran, dass seit dem Zweiten Weltkrieg viele Konflikte weit weg vom westlichen Blickpunkt stattfanden. „Auch die Ausklammerung des gesamten militärischen Bereichs aus dem Kyoto-Protokoll spielt mit hinein.“ Ein schwerwiegender Fakt, denn Streitkräfte machen insgesamt 5,5 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen aus, wie die Studie von de Klerks Team belegt.
Von Anouk Schlung
Das Original zu diesem Beitrag "Die erschreckende Klima-Bilanz von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine" stammt von Table.Media.