Hilfszahlungen auf Tiefpunkt – Wird die Ukraine ein „zweites Vietnam“?
Die Ukraine erhält immer weniger Hilfe von ihren Verbündeten. Gleichzeitig steigert Russland die Verteidigungsausgaben. Ist der Kampf bereits verloren?
Kiew – Die Hilfszahlungen der internationalen Gemeinschaft für die Ukraine sind auf dem niedrigsten Stand seit Kriegsbeginn. Zwischen August und Oktober dieses Jahres erhielt das Land mit 2,1 Milliarden Euro nur etwa ein Zehntel des Betrags aus dem Vorjahreszeitraum. Damit steigt die Gefahr, dass dem ohnehin schwächelnde Abwehrkampf der Ukraine die Luft ausgeht.

Mit dem Vorstoß auf das von Russland besetzte Ostufer des Flusses Dnipro nahe der Stadt Cherson konnten die ukrainischen Streitkräfte Mitte November endlich einen Erfolg im Ukraine-Krieg verbuchen – allerdings den einzig nennenswerten seit längerer Zeit. Ein Großteil der Front ist seit etwa einem Jahr in Grabenkämpfen zum Erliegen gekommen, die keiner der Kriegsparteien ein Vorankommen ermöglichen. Die Situation ist so festgefahren, dass sie vielerorts mit der Westfront des Ersten Weltkriegs verglichen wurde. Ob dieser Vergleich berechtigt ist oder nicht – fest steht, dass die groß angekündigte Gegenoffensive für die Ukraine und ihre Unterstützer eine herbe Enttäuschung war.
Ukraine-Hilfe erreicht neuen Tiefstand – Der „Eindruck einer zögerlicheren Haltung der Unterstützer“
Diese Enttäuschung scheint sich auch in den Zahlen des Ukraine Support Tracker widerzuspiegeln. Das Projekt des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel) misst die internationale Unterstützung für die Ukraine in Form von militärischen, finanziellen und humanitäre Hilfen. Der aktuellste veröffentlichte Datensatz geht bis zum 31. Oktober 2023 – und zeichnet ein genauso düsteres Bild wie das Geschehen an der Front. Mit 2,1 Milliarden Euro war die Summe aller neu zugesagten Hilfspakete zwischen August und Oktober 2023 so niedrig wie zuletzt im Januar 2022. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist sie damit um 87 Prozent zurückgegangen.
Was ist das Institut für Weltwirtschaft?
Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel ist ein unabhängiges Wirtschaftsforschungsinstitut in Deutschland. Es wurde 1914 gegründet und konzentriert sich auf die Forschung in den Bereichen Weltwirtschaft, internationale Wirtschaftsbeziehungen, Wirtschaftspolitik und damit verbundene Themen. Das Institut betreibt wissenschaftliche Forschung, veröffentlicht Berichte, analysiert wirtschaftliche Entwicklungen und bietet Politikempfehlungen auf der Grundlage seiner Forschungsergebnisse an. International ist es für seine Arbeit zur wirtschaftlichen Analyse und Politikberatung anerkannt .
Zudem sei die Zahl der Geldgeber gesunken. Nur 20 der 42 erfassten Länder hätten in den drei Monaten neue Hilfspakete zugesagt. Damit sei auch die Anzahl der aktiven Geber so gering wie zuletzt im Januar 2022. Dies bestätige „den Eindruck einer zögerlicheren Haltung der Unterstützer“, so Christoph Trebesch. Er ist der Leiter des Teams, das den Ukraine Support Tracker erstellt, und Direktor eines Forschungszentrums am Kiel Institut für Weltwirtschaft.
Ukraine ist „von einigen wenigen Kerngebern abhängig“ – Das könnte Putins Position stärken
Die Ukraine sei „zunehmend von einigen wenigen Kerngebern abhängig, die weiterhin umfangreiche Unterstützung leisten, wie Deutschland, die USA oder die nordischen Länder“, so Trebesch. Das Land könne „angesichts der Ungewissheit über weitere US-Hilfen“ nur hoffen, dass die EU bald das angekündigte 50-Milliarden-Euro-Hilfspaket verabschiede. „Eine weitere Verzögerung würde“, Trebesch zufolge, „Putins Position deutlich stärken“.
Den Auswertungen des Ukraine Support Tracker lässt sich entnehmen, wie wichtig die EU-Hilfen für die Ukraine sind. Gehe man allein von der zugesagten Militärhilfe für 2023 aus, so der Tracker, dann hätten die Länder der Europäischen Union die USA schon jetzt überholt. Vor allem Deutschland und die nordischen Länder (Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland) hätten in den vergangenen Monaten erhebliche neue Hilfen zugesagt. Insgesamt seien die USA mit einem Volumen von 44 Milliarden Euro zwar noch der größte Geber von Militärhilfe, Deutschland hole mit militärischen Zusagen in Höhe von über 17 Mrd. Euro jedoch rasch auf.
Republikaner blockieren Bidens Hilfspaket – In Russland stellt man sich auf einen langen Krieg ein
Solche Anstrengungen der europäischen Unterstützer könnten in Zukunft noch wichtiger werden, vor allem wenn die von Trebesch angesprochene Verzögerung der US-Hilfen am Ende zum Totalausfall werden sollte. Zwar wollte US-Präsident Joe Biden schon in diesem Jahr ein Hilfspaket von mehr als 60 Milliarden Dollar auf den Weg bringen, dieses wurde dann aber von den Abgeordneten der Republikanischen Partei blockiert. Trotz derZusagen des US-Präsidenten, bedeutende Änderungen in der Grenzpolitik vorzunehmen, ließ sich die Grand Old Party keinen Millimeter bewegen – trotz der eindringlichen Warnungen Bidens, dass der russische Präsident Wladimir Putin nicht haltmachen werde, wenn er die Ukraine eingenommen habe.
Derweil erklärte der Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes, dass die westliche Unterstützung für die Ukraine den Konflikt in ein „zweites Vietnam“ verwandeln würde, das Washington auf Jahre hinaus verfolgen werde. Gleichzeitig hat Russland einen Haushaltsplan für die kommenden drei Jahre verabschiedet, der allein im kommenden Jahr etwa 140 Milliarden Euro für das Ankurbeln der Kriegswirtschaft vorsieht. Damit sei der Krieg nicht mehr nur die Hauptpriorität Putins, sondern auch „der Haupttreiber des russischen Wirtschaftswachstums“, so der US-Thinktank CEIP.
Die Finanzierung dieser Rüstungsausgaben ist durch den Export von Öl und Gas gedeckt, mit dem Russland allein im Oktober 16,3 Milliarden Euro eingenommen hat, wie Die Zeit schreibt. Das sei mehr, als in jedem der 18 Monate zuvor. Insgesamt sehe der Haushaltsplan fast 40 Prozent der Ausgaben direkt oder indirekt als Verteidigungsbudget vor. Es ist deutliches Zeichen aus Russland. (tpn)