Woher stammen die Namen der Alpengipfel? Ein Toponomastiker klärt auf
Bergnamen dienen, nüchtern betrachtet, der Orientierung. Der ein oder andere erzählt aber auch eine Geschichte – und im Nachhinein wurde manchem eine ganze Sage angedichtet. Die Herkunft der Namen ist dabei weitaus geerdeter, als man bei Watzmann, Bscheißer oder Mädelegabel denken mag.
Region - Mensch und Berg – ein nicht wirklich liebevolles Verhältnis. Früher, erklärt Dr. Hans-Martin Rummenhohl von der Landsberger Sektion des Deutschen Alpenvereins, benannten die Bergbauern nur für sie wichtige Orte, um sich zu orientieren, um Ziele, Wegspannen benennen zu können: Flächen, Gebiete, die sie bewirtschafteten. Aber sicher nicht die Alpengipfel. Die wurden erst Anfang des 19. Jahrhunderts kartografiert – und dabei schriftlich festgehalten. Viele Namen rühren aus dem Respekt her, den die Menschen den ‚übermenschlichen Bergen‘ gegenüber hegten, die gerne mal mit Steinschlägen das Leben bedrohten. Und bei dem ein oder anderen kam es, auch wegen der Dialekte, zu Missverständnissen, die sich mit der Zeit eingeschliffen haben.
Der Experte der Toponomastik
Experte für das Toponomastik genannte Gebiet der Orts- und Flurnamenskunde ist Dr. Wolf-Armin Frhr. von Reitzenstein, Historiker, Träger des Bayerischen Verdienstordens und seit über 100 Semestern Dozent an der LMU. Wobei er diese „abseitige Wissenschaft“ nur gezwungenermaßen erlernt habe, erzählt der über 80-Jährige: „Meine Bergsteigerfreunde studierten Pharmazie und Petrografie: der eine Experte für die Vegetation, der andere fürs Gestein.“ Was sei ihm da übrig geblieben, als sich auf die Gipfelnamen zu stürzen?
Die bergen unter anderem äußerst oft Beschimpfungen, sagt von Reitzenstein, denn gut Kirschen essen war mit ihnen nicht. Zum Beispiel der Bscheißer, im 16. Jahrhundert noch ganz direkt „Scheißer“ genannt. Oder der Hundsarsch – deutlicher muss man nicht werden. Wobei sich in der massiven Beschimpfung eben auch durchaus der Respekt zeigt, den der Berg dem Menschen einflößte.
Von einer sanfteren Erfahrung im Miteinander von Mensch und Berg zeugt der Kniepass, vormals „Kniebos“, wie Reitzenstein erläutert – wobei ‚bos‘ für Stoß stehe: „Der Pass ist so steil, dass man sich das Knie stößt.“ Oder auch das Sonntagshorn, das mit seiner sanft abfallenden Südseite den Hirten ermöglicht habe, sonntags in Ruhe die Messe zu feiern, während die Schafe gemütlich weiden konnten. Ein anderer Berg ist nach seiner Funktion benannt: der Heimgarten, früher der – eingezäunte – Haingarten: voll mit Gämsen, „die für die Herzöge leicht und schnell zu schießen waren“.
Viele Gipfelnamen tragen die Namen von Menschen. Almbesitzern, die ihr Land unterhalb des Gipfels hatten: Der Brennerpass bezieht sich auf Prennerius aus Mittenwald, einen Kohlebrenner, der dort lebte. Unterhalb des Kaisergebirges lag die Alm, die den Stauferkaisern gehörte. Und die Benediktenwand, im 13. Jahrhundert noch Berg St. Benedikt, gehörte dem Kloster Benediktbeuern.
Dickbäuchig und scharfkantig
Wer nach Namen sucht, sucht nach Ähnlichkeiten. Predigtstuhl ist klar. Kampenwand kommt von bayerisch Kampe, dem Zacken – beziehungsweise dem Kampen, mit dem man sich durchs Haar fährt. Ein Berg mit Leibesfülle? Der wird zum Wamperter Schrofen, ein durchaus dickleibiger, schroffer Berg. Der Watzmann kommt von waz, scharf. Die Sage vom blutdürstigen König Watzmann, der samt Frau und sieben Kindern zu Stein erstarrte, sei ihm erst viel später angedichtet worden, sagt von Reitzenstein. Allerdings passend zu dem ‚grausamen‘ Berg, der zahlreiche Todesopfer forderte.
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Ein anderer Bergname beruhe hingegen tatsächlich auf einer Sage: der „Frau Hitt“ im Karwendel, eine Felsformation in Frauengestalt, wenn man sie denn sehen will. Die Sage dazu: natürlich gruselig. Eine grausame Frau, die einem Bettler, der um Essen bat, nur Steine gegeben haben soll – und deshalb zur Strafe selbst zu Stein wurde. So rein gar nichts hat hingegen die Mädelegabel mit einem Mädchen zu tun: „Mädele ist die kleine Mahd, also das kleine Gelände unter dem Gipfel, das bewirtschaftet wurde“, sagt der Toponomastiker. Nur die drei Zacken haben sich als „Gabel“ im Namen verfestigt.
Wenn die Fantasie versagt
„Es gibt aber auch einen Berg, dessen gebräuchlicher Name in keiner Karte steht: die Montgelasnase, gesprochen Monschlanosn“, so der Experte. Die Form des Berges gleiche „dem Zinken des Grafen von Montgelas“, was der Eitelkeit des Münchener Politikers jedoch nicht zugesagt habe – weshalb auf seinen Befehl hin in allen Karten nur der Name „Rotofen“ vermerkt worden sei – „aber keiner nennt ihn so“. Reicht die Fantasie einmal nicht aus, kann ein Berg auch mal unbenannt bleiben – so ging es einer Erhebung im Karwendel, die in der Karte den Namen „Unbenannter Gipfel“ bekommen hat.
Einige Bergnamen spielen mit dem Sonnenstand. Steht die Sonne überm Untersberg, ist Zeit fürs zweite Frühstück, ‚Unter‘ genannt. „Sozusagen ein Brotzeitberg“, sagt von Reitzenstein. Wobei sich um den Berg zahlreiche Mythen ranken. Die Wilde Jagd soll hier daheim sein. Und Karl der Große – oder auch Barbarossa, so ganz einig ist man sich da nicht – soll in ihm auf seine Auferstehung warten.
Andere Sonnenzeiger sind die „Dents di Midi“, die pünktlich zum Mittagessen in der Sonne leuchten. „In den Dolomiten gibt es da gleich eine ganze Sonnenuhr mit Elfer, Zwölfer und so weiter“, sagt von Reitzenstein. Nicht nur die Sonne, auch die Geologie ist namensgebend, wie beispielsweise beim Hochkalter, der auf den nahen Gletscher Blaueis anspielt. Der Arlenpass ist floral beeinflusst und bezieht sich auf die Erlen, die auf der Passhöhe wachsen. Beim Hochvogel vermutet von Reitzenstein nicht die Namensgebung nach der Form, sondern nach der Adler- und Geierpopulation am Berg. Und nicht zuletzt beeinflusst das Wetter die Bergnamensgebung. Das Nebelhorn erklärt sich von selbst; und am Wetterstein schlägt erwiesenermaßen der Blitz sehr oft ein – nicht umsonst sagt man im Bairischen zum Unwetter „a Weda“.
Fast lyrisch ist dagegen der Name Karwendel, sagt von Reitzenstein und lächelt verschmitzt. Zwar leitet sich auch dieser Name von einem Herrn Gerwentil ab: also Gerwendel, der Mann, der den Ger, den Speer dreht. Womit man aber beim englischen ‚Speerschüttler‘ sei: bei Shakespeare. Leider ganz profan wird‘s beim Promiberg, der Zugspitze. Mag die Form vielleicht ja an einen Zugkopf erinnern, so fuhr der ja im 16. Jahrhundert, in dem eine der ersten Quellen auftaucht, noch nicht. Vielmehr geht es um die Zugbahnen der Lawinen oder Steinschläge, die hier im oberen nördlichen Bereich vom Gipfel abgehen. Wobei der Berg bis ins 19. Jahrhundert als der Zugspitz bekannt war. Erst in einer Karte von 1836 wird daraus die Zugspitze.
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