„Kulturkämpfe ohne Grenzen“: Trump lässt Europas Rechtsaußen sogar Putin vergessen
Ein Jahr nach der EU-Wahl bleiben Rechtsextreme eine Gefahr. Trump oder auch Putin hätscheln und helfen – aber Letzterer spaltet zugleich.
Nationalisten, die grenzüberschreitend gemeinsame Sache machen – ist das einfach widersinnig oder eine reale Option, eine Gefahr für das Projekt Europa sogar? Ein Jahr nach der EU-Wahl lässt sich (wieder einmal) sagen: Viktor Orbán, Alice Weidel, Marine Le Pen, Giorgia Meloni und Co. tun sich schwer damit, in ein gemeinsames Boot zu finden. Und doch sieht Experte Nicolai von Ondarza bedenkliche Tendenzen. Gerade dort, wo US-Präsident Donald Trump als globales Aushängeschild der autoritären Neu-Rechten die Finger im Spiel hat.

Meloni und PiS meiden Russland, Orbán schielt auch zu Putin und Xi – Europas Rechte sind uneins
Ein jüngerer Strang in der rechten Spitzenpolitiker-Vernetzung quer durch Europa beginnt im Juli 2021 – verläuft aber letztlich im Sande. „Vertreter von 15 rechtsextremen und rechtskonservativen Parteien“ trafen sich damals in Budapest, wie der Berliner Politologe Richard Stöss in seinem aktuellen Buch „Der rechte Rand Europas“ (Verlag Barbara Budrich, 34,- €) erinnert. Es sollte ein erster Schritt zu einer „großen Allianz im Europaparlament“ werden. Gekommen waren Vertreter der Parteien aus der scharf rechten EKR- und der noch extremeren ID-Fraktion. Darunter Orbán, Meloni, Le Pen und Matteo Salvini.
Auf „Verteidigung von Familienwerten gegen LGBTQ-Bestrebungen“, eine „strenge Einwanderungspolitik“, „Widerstand gegen einen europäischen Superstaat“ und „Zusammenarbeit der Nationen“ auf Grundlage von „Tradition“ habe man sich einigen können. Das Verhältnis zu China, Wladimir Putins Russland, Wirtschafts- und Führungsfragen klammerte man aber lieber aus, so Stöss. An einem nächsten Gipfel Ende 2021 hätten nur noch zehn Parteien teilgenommen. Und als 2024 das Europaparlament gewählt wurde, war Rechtsaußen ganz weit von einem Bündnis entfernt. Drei Rechts-Fraktionen sitzen in Brüssel und Straßburg mittlerweile, dazu etliche Fraktionslose:
Fraktion | Sitze | Parteien (u.a.) |
---|---|---|
Europäische Konservative und Reformer (EKR) | 79 | Fratelli d'Italia, PiS, Wahre Finnen |
Patrioten für Europa (PfE) | 85 | Rassemblement National, Fidesz, FPÖ, PVV |
Europa der Souveränen Nationen (ESN) | 27 | AfD, Wasraschdane, Reconquete |
Ein Grund für das Scheitern der Allianz-Pläne ist Außenpolitik, wie von Ondarza, EU-Fachmann der Stiftung Wissenschaft und Politik, auf Anfrage der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA bestätigt. „Die EKR steht – nicht zuletzt dank Meloni, aber auch der polnischen PiS – fest auf transatlantischer Linie und unterstützt die Ukraine-Politik der EU.“ Das gelte bislang sogar in Fragen, in denen Trump auf eine putinfreundliche Linie einzuschwenken scheint. „Die Patrioten um RN und Orbán vertreten dagegen oftmals russlandfreundliche sowie chinaoffene Positionen. Meloni versucht sich zwar als Brückenbauerin, grenzt sich jedoch gerade bei Russland und der künftigen EU-Integration klar von Orbán ab.“
In anderen Worten: Man ist sich bei der Wahl seiner Freunde uneins. Gerade Putin ist ein Problem. Für weite Teile der EKR ist er ein rotes Tuch – bei den „Patrioten“ und auch den „Souveränisten“ um die AfD sieht das anders aus. Letztere sah sogar zu, wie die bulgarische Fraktionspartei ein Abkommen mit Putins „Einiges Russland“ schloss. Die EKR hingegen, so von Ondarza, schloss erst im Juni einen eigenen Abgeordneten wegen einer Russland-Reise aus. Kremlfreundliche Stimmen gibt es freilich hier und da auch auf Seite der Linksaußen. Putin unterscheide nicht zwischen Rechts und Links, warnte die lettische Europaabgeordnete Sandra Kalniete im Gespräch mit IPPEN.MEDIA.
Nationalisten-Clinch zwischen Orbán und Rumänien – doch Trump bringt den „Kulturkampf ohne Grenzen“
Doch ein zweiter Strang der Zusammenarbeit zeigt: Gerade Donald Trump als außereuropäischer Faktor kann (toxische) Allianzen in Europa zusammenbringen. Zuletzt mischten sich US-Akteure in die umkämpften und von scharf rechten Kandidaten mitgeprägten Wahlkämpfe in Rumänien und Polen ein – auf Seiten der scharf rechten Kandidaten. Das bedeutet zwar noch keine ehernen Bündnisse und auch keine automatischen Wahlsiege für Trumps Günstlinge. Doch von Ondarza warnt: „Entscheidend ist das gegenseitige Lernen in Informations- und Politikkampagnen sowie die Verstärkung gemeinsamer Narrative über soziale Medien.“

„Die personelle und ideelle Brücke zwischen MAGA-Republikanern – aktuell etwa um Donald Trump und JD Vance – und europäischen Rechtsaußenparteien wird dichter“, sagt der Politologe. „Diese ‚Kulturkämpfe ohne Grenzen‘ belasten zunehmend das transatlantische Verhältnis“, fügt er hinzu. So wie bei Vance‘ Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Zensurvorwürfe an Rumänien und auch Deutschland könnten Folgen haben. „Das schafft Reibungspunkte, untergräbt Vertrauen und kann liberale Demokratie on- wie offline erodieren.“
Solche Lektionen und Tendenzen dürften den Rechtsauslegern in die Karten spielen – Diktatoren und Autokraten lernen voneinander. Ob sie es nun mit Putin halten oder nicht. Oder über Migration an gemeinsamen Grenzen im Clinch liegen. Oder über nationale Minderheiten – denn auch das ist ein reales Problem für die Parteien. Orbán etwa provozierte schon mal mit einem Fanschal eines „Groß-Ungarn“. Andeutungen solcher territorialen Ansprüche findet zum Beispiel die rumänische AUR weniger amüsant. Zumal Ungarn in Rumänien, der Slowakei oder auch der Ukraine gerne Pässe an „ethnische Ungarn“ verteilt und Kulturpolitik betreibt.
MAGA mögen (fast) alle: Trumps Bewegung schließt kurz sogar die Russland-Kluft
Trotzdem oder deswegen: Ein sehr reales Beispiel für den MAGA-Einfluss war erst im Mai wieder zu erleben. Beim ungarischen Ableger der „CPAC“ (Conservative Political Action Conference) aus den USA waren in Budapest Orbán, Weidel, FPÖ-Chef Herbert Kickl oder auch Polens Ex-Ministerpräsident Mateusz Morawiecki dabei – da war es also zu bestaunen, das Bündnis quer über alle Haltungen zu Russland. „Heute beginnt hier der politische Fight Club“, sagte Kickl laut eigener Pressemitteilung, die „Patrioten Europas“ stünden auf. Unter anderem gegen „Globalisten“ – klarer Verschwörungstheoretiker-Slang aus dem Munde des österreichischen Oppositionsführers. Weidel rühmte den selbstproklamierten „Illiberalen“ Orbán, nicht minder irritierend, als „Leuchtfeuer der Freiheit“.
Schon bei einer CPAC in Washington im April waren Berichten zufolge viele europäische Politiker – es war jener Termin, bei dem Elon Musk die Kettensäge schwang. Freunden der liberalen Demokratie ließ die Budapester Ausgabe immerhin einige Hoffnung. Das Orbán-treue deutschsprachige Ungarn Heute sparte in seinem Nachbericht zwar nicht mit Adjektiven wie „flammend“, „richtungsweisend“ und (immer wieder) „patriotisch“. Abgesehen von Echos aus Trumps politischem Wortschatz und Beleidigungen an die Adresse der politischen Mitte wusste sie von den Rednern aber nur jene Forderungen zu zitieren, die ein anderer Budapester Gipfel bereits 2021 beschloss.
Stöss indes warnt davor, die Rechtspopulisten und -extremisten abzutun, weil sie offenbar keine Einheit bilden können und auch keine eigene Mehrheit im Europaparlament haben. Orbán schwächelte zuletzt sogar in der Heimat. Dennoch: Es gebe „einen dramatischen Rechtstrend in der europäischen Wählerschaft“. Und wenn sich die politische Mitte darauf konzentrieren müsse, den „rechten Rand“ abzuwehren, werde der politische Streit im Zentrum entwertet. Ausgrenzung allein reiche nicht. Genauso wichtig sei ein „überzeugendes Alternativkonzept“ für Gerechtigkeit, Wohlfahrt und Sicherheit in allen Bedeutungen. Appelle an die menschliche Vernunft allein genügten nicht. (fn)