Ukraine-Krieg: Flucht und Neuanfang im Landkreis Starnberg
Vor drei Jahren griff Russland die Ukraine an. Familie Velychenko ist bereits 2022 geflüchtet und im Landkreis Starnberg gelandet. Aber erst seit Kurzem wohnen die vier wieder zusammen. Zurück will die Familie nicht mehr.
Berg – Ein großer Koffer, eine Tasche und ein Kinderrucksack: Mehr hatte Iryna Velychenko nicht dabei, als sie im September 2022 mit ihren beiden Töchtern Marharyte (heute 10) und Emiliia (heute vier) mit dem Bus aus der Ukraine am Münchner Hauptbahnhof ankam. Die Nacht verbrachten die drei in der ersten Anlaufstelle für ukrainische Geflüchtete in München an der Dachauer Straße. Von dort aus werden Schutzsuchende weiterverteilt. Nach der Überprüfung sämtlicher Dokumente ging es für Iryna Velychenko und die zwei Mädchen in den Landkreis Starnberg weiter. Denn dort lebt ihr Ehemann und Vater, Oleh Velychenko, bereits seit Mai 2022.
Der heute 34-Jährige hatte Glück. Denn als Russland vor fast drei Jahren – am 24. Februar 2022 – die Ukraine angegriffen hat, war er zufällig in Polen bei Verwandten. Dort half der gelernte Maurer bei Renovierungsarbeiten am Haus. „Das war Zufall. Ansonsten hätte er keine Chance gehabt“, sagt seine Frau Iryna Velychenko im Gespräch mit dem Starnberger Merkur. Schließlich dürfen ukrainische Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren seit Beginn der russischen Invasion das Land nicht mehr ohne spezielle Genehmigung verlassen, da sie grundsätzlich als wehrpflichtig gelten. Über Kontakte gelangte Oleh Velychenko Ende Mai dann von Polen aus in den Landkreis Starnberg, wo er seither als Pferdepfleger arbeitet.
Ursprünglich kommt die Familie aus Ternopil, einer Stadt in der Westukraine. Viele Freunde und Bekannte sind noch dort. Im Westen der Ukraine sei es „ein bisschen ruhiger“ als im Osten, sagt Iryna Velychenko. Die 31-Jährige hat bereits in der Schule Deutsch gelernt – ihre Mutter und ihr Großvater waren Deutsch-Lehrer. „Als Kind wollte ich die Sprache eigentlich nie lernen, weil sie so kompliziert ist“, sagt sie heute und schmunzelt.
Bis vor Kurzem hat die Familie seit der Flucht getrennt voneinander gelebt. Vater Oleh Velychenko war in einem Zimmer bei seinem Arbeitgeber untergebracht. Iryna Velychenko und die zwei Mädchen wohnten zunächst auf dem Areal des Landschulheims in Kempfenhausen. „In der ersten Zeit hatten wir kaum Wechselklamotten“, berichtet die Mutter. „Wir hatten nur dünne Jacken und jeweils ein Paar Schuhe dabei.“ Für die drei folgten mehrere Umzüge, unter anderem nach Farchach und nach Feldafing. In der Zwischenzeit schloss Iryna Velychenko unter anderem den Berufssprachkurs mit B2 bei der VHS Starnberg-Ammersee erfolgreich ab.
Seitdem arbeitet sie in Aufkirchen im integrativen Montessori-Kinderhaus als Erzieherin. Dort betreut sie eine Schulkindgruppe. In der Ukraine arbeitete die 31-Jährige als Grundschullehrerin. Seit September 2023 engagiert sie sich außerdem ehrenamtlich in der Oskar-Maria-Graf-Grundschule in Aufkirchen und hilft dort bei der Integration ukrainischer Kinder. Mithilfe der Festanstellung konnte die Familie eine geeignete Wohnung in Berg finden, in die alle Anfang Januar gemeinsam eingezogen sind. „Jetzt, wo wir alle wieder zusammenwohnen, geht es uns besser“, sagt Iryna Velychenko.
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Mittlerweile habe sich die Familie eingelebt. Die Töchter besuchen den Kindergarten und die Grundschule, Oleh Velychenko einen Integrationskurs bei der VHS Starnberg-Ammersee. Im Landkreis sind viele der geflüchteten Ukrainer gut untereinander vernetzt. „Die meisten, die ich kenne, sind auch bereits gut integriert“, sagt Iryna Velychenko. „Wir haben auch schon eine Veranstaltung für unsere deutschen Freunde organisiert, die uns immer geholfen haben. Als Zeichen der Dankbarkeit.“
Auch nach dem Krieg will die Familie den Landkreis Starnberg nicht mehr verlassen. „Wir möchten hier bleiben. Unsere Kinder haben sich gut eingelebt und haben viele Freunde gefunden“, berichtet die Mutter. „Nach dem Krieg wird in der Ukraine nicht alles gut, auch wirtschaftlich nicht“, sagt sie. Gerade für die Kinder sei es daher besser, in Deutschland zu bleiben. Über die aktuelle Politik ärgert sich die 31-Jährige. „So viele Menschen sind bereits gestorben. Und in Europa verstehen viele Politiker nicht, wie gefährlich Putins Regime ist“, findet sie. „Die europäische Reaktion ist zu weich. Die Ukraine ist Europa.“