Daniel Albrecht kämpfte um sein Leben - Ski-Star über Horrorsturz auf der Streif: „Ich bin wie ein Kinderdrachen abgehoben“

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AFP via Getty Images Daniel Albrecht ist auf der Streif "wie ein Kinderdrachen abgehoben"
Samstag, 25.01.2025, 09:30

An diesem Wochenende findet die legendäre Streif-Abfahrt auf dem Hahnenkamm statt. Das wohl schwerste und gefährliche Skirennen kostet seine Tribute. Jährlich stürzen Superstars schwer. Daniel Albrecht ist vor einigen Jahren einer von ihnen - und bezahlt beinahe mit seinem Leben.

Er ist Ski-Weltmeister und kam auf der Streif fast ums Leben: Daniel Albrecht, der mit 140 Sachen auf die Eispiste knallte. Alles, was er über Jahrzehnte hinweg erlernte, war von einem Tag auf den anderen weg. Seine Festplatte im Hirn war gelöscht. 

Wie ein Kleinkind musste der Schweizer wieder alles neu formatieren. Durch Kinderbücher erfuhr er, dass eine Giraffe einen langen Hals hat, ein Löwe beißen kann. Im Interview spricht Albrecht darüber, dass er lange Zeit keine Gefühle hatte, nichts empfand. Mittlerweile hat er dem Ski-Zirkus den Rücken gekehrt.

Auch an diesem Wochenende findet das prestigeträchtige und legendäre Hahnenkamm-Rennen in Kitzbühel statt. Bereits im Training stürzen die ersten Stars schwer, beim Super G erwischt es unter anderem Alexis Pinturault - trotz aller Bemühungen der Verantwortlichem, das unzähmbare Monster Streif zu zähmen.

Ex-Ski-Weltmeister Daniel Albrecht im Interview

FOCUS online: Herr Albrecht, der Franzose Cyprien Sarrazin knallte nun im Training bei der Bormio-Abfahrt mit dem Kopf auf die Eispiste. Die Diagnose: ein Subduralhämatom, eine Blutung in der Nähe des Gehirns. Ähnlich erging es Ihnen. Können Sie sich noch an den 22. Januar 2009 erinnern?

Daniel Albrecht: Nein. Der Tag, an dem ich fast mein Leben auf der Streif verlor, ist gelöscht. Ich kann so lange überlegen, wie ich will: Auf meiner Festplatte im Kopf ist nichts mehr. Das Letzte, an das ich mich noch erinnern kann, war das Training am Tag zuvor. Dann wird es dunkel.

Wie oft haben Sie in der Folgezeit Ihren eigenen Sturz angeschaut?

Bestimmt ein paar hundert Mal.

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AFP via Getty Images Daniel Albrecht stürzt 2009 auf der Streif-Abfahrt schwer

Und?

Nix. Der Sturz löst in mir nichts aus, berührt mich nicht. Null Komma null.

Moment mal. Sie donnern mit 140 Sachen auf der Streif in Kitzbühel runter und krachen nach einem 70 Meter-Sprung auf die Eispiste. Und Sie berührt das nicht?

Für mich ist das so, als würde ich in einem Hollywood-Film eine Action-Szene sehen.

Mit dem Unterschied, dass Sie es sind, der regungslos im Schnee liegen bleibt.

Nichtsdestotrotz habe ich das Gefühl, dass ich mit dem Skirennfahrer, der da durch die Luft fliegt, nichts zu tun habe. Ob er da durch die Luft wirbelt oder eine Playmobil-Figur ist für mich bedeutungslos. Der Skirennfahrer ist mir gänzlich fremd.

Daniel Albrecht nach Horrorsturz auf der Streif

Warum ist das so?

Ich denke, dass der Körper in eine Art Schutzmechanismus verfällt. Anders kann ich es mir nicht erklären.

Sie erlitten bei dem Crash ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, wurden drei Wochen lang in ein künstliches Koma versetzt. Können Sie erklären, warum Sie gestürzt sind?

Es war ein Fahrfehler. Kurz vor dem Zielschuss war ich einfach zu sehr in der Hocke, ich war also ein wenig zu tief. Als dann die Bodenwelle kam, hatte ich keine Chance mehr. Mir schlug es meine eigenen Oberschenkel gegen die Brust.

Normalerweise hat man noch die Möglichkeit, solche Fehler zu korrigieren – nicht aber wenn man zu einem 70-Meter-Sprung abhebt. Erst geriet ich in Rücklage, dann bekamen meine Skier Aufwind. Ich bin wie ein Kinderdrachen, der Wind unter die Flügel bekommt, abgehoben.

SKI-WORLD-MEN-AUS
AFP via Getty Images Sanitäter rennen sofort zum verunglückten Albrecht

Wann gehen Ihre ersten Erinnerungen wieder los?

Erst so gegen Mitte März, also sechs Wochen später. Wenn ich mich an diese Zeit erinnere, ist nur eines in mir: eine Leere.

Hatten Sie neben der Leere auch starke Schmerzen?

Die waren überschaubar. Ich bin aufgewacht und wusste nicht, wer ich bin, was überhaupt passiert ist. Ich wusste eigentlich gar nichts. Mein Rechner im Oberstübchen war – wenn Sie so wollen – auf Werkseinstellung zurückgesetzt. Da war nix mehr drauf.

Ski-Star erkannte nach Streif-Sturz eigene Freundin nicht mehr

Gar nichts mehr?

Leider war zunächst alles gelöscht. Ich konnte auch nichts schmecken, nichts riechen, nicht reden. Mit anderen Menschen kann man nur dann kommunizieren, wenn man weiß, was man sagen möchte. Da ich aber nicht wusste, wer ich bin, wusste ich auch nicht, was ich wollte. Das hört sich heute lustig an, damals war es einerseits der blanke Horror für mich. Andererseits lernte ich jeden Tag etwas neues dazu was mich freute.

Dennoch waren Sie so handlungsfähig wie ein kleines Kind.

Eher wie ein Baby. Bei null musste ich wieder anfangen. Durch den brutalen Aufprall auf der Eispiste wurde mein Hirn wie so ein Erdbeben in Japan, einmal komplett durchgerüttelt. Es war in der Zeit einfach nichts mehr dort, wo es einmal war. Meine Freundin Kerstin brachte mir deshalb Wimmelbücher mit. „Schau, Dani: Das ist eine Giraffe, die hat einen langen Hals. Und das ist ein Löwe, der kann beißen. Beide Tiere leben in Afrika. Das ist ganz weit weg von uns. Ganz weit weg von der Schweiz.“

Haben Sie wenigstens Ihre Freundin wiedererkannt?

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AFP via Getty Images "Never give up", steht auf dem Shirt von Daniel Albrecht bei seinem Ski-Comeback

Ich wusste nicht, wer sie ist. Das einzige, was ich damals wusste, war, dass ich immer ein gutes Gefühl hatte, wenn sie zu mir ins Zimmer kam. Ansonsten empfand ich für sie nichts. Ich hatte auch sonst keine Gefühle, ich war emotional total stumpf. 

Für Kerstin, so hat sie es mir später erzählt, war das eine schwierige Zeit. Es konnte ihr ja keiner sagen, ob ich jemals wieder der Mensch sein werde, den sie mal kennengelernt hat. Der, der vor ihr lag, verhielt sich schließlich wie ein Kindergartenkind. Heute bin ich Kerstin unfassbar dankbar. Sie half mir, mein Leben wieder zurückzubekommen. Die Blockaden in meinem Hirn lösten sich dank ihr mehr auf. Kerstin habe ich alles zu verdanken.

In Abfahrtshocke auf Intensivstation

Mittlerweile sind Sie verheiratet und haben eine achtjährige Tochter. Wissen Sie, ob Sie Ihre heutige Frau so lieben, wie Sie sich damals kennengelernt haben?

Das kann ich Ihnen nicht seriös beantworten, weil ich ja nicht weiß, wie ich sie einst geliebt habe. Was ich damit meine, ist, dass ich selbst keinen Vergleich habe. Das einzige, was ich sagen kann, ist, dass ich meine Liebe zu ihr neu erlernen musste. Und das hat ganz wunderbar geklappt. Sie wird immer meine wichtigste Bezugsperson bleiben.

So schlimm, dass alles für Sie war: Gab es auch etwas, über das Sie schmunzeln können?

Immer, als auf der Intensivstation ein Gerät in einem Zimmer piepste, bin ich innerlich in die Abfahrtshocke gegangen und habe meine beiden Arme nach vorne gestreckt. So, als hätte ich Skistöcke in den Händen, würde ich mich gleich aus dem Starthaus rausschieben. Ich war da wohl immer der Meinung, dass ich in dem Starthaus stehen würde und mir das Signal sagt, dass ich nun gleich dran bin. Und wissen sie, was dabei besonders skurril war? Ich wusste nicht mal, was Skifahren ist.