Vermögen, Erbschaften, Dividenden - Wenn die Reichsten höhere Steuern zahlen, haben Arbeiter bis zu 1600 Euro mehr

Wie unterschiedlich werden Arbeit und Kapital besteuert?

Ein typischer Vollzeit-Angestellter in Deutschland verdient derzeit ein Bruttogehalt von etwa 45.000 Euro im Jahr. Darauf werden in Steuerklasse I rund 6350 Euro Lohnsteuer, 572 Euro Kirchensteuer und insgesamt rund 9800 Euro Sozialabgaben fällig. Am Ende zahlt der Angestellte vom Bruttolohn also rund 16.700 Euro oder etwa 36 Prozent an den Staat. Bei Paaren und Familien sowie in anderen Erwerbskonstellationen mit Teilzeit-Arbeit oder Selbstständigkeit schwankt dieser Wert leicht.

Während Arbeit mit eben durchschnittlich 36 Prozent Abgaben belastet ist, sieht es für Kapitaleinkünfte wesentlich besser aus. Nähmen Sie etwa 45.000 Euro pro Jahr an der Börse ein, sei es durch Dividenden oder realisierte Aktiengewinne, zahlen Sie darauf aktuell abzüglich des Sparerfreibetrags von 1000 Euro für einen Alleinlebenden rund 10.750 Euro Abgeltungssteuer, einen Soli von knapp 600 Euro und fast 1000 Euro Kirchensteuer. Insgesamt ergibt das eine Abgabenlast von nur 12.300 Euro oder rund 27 Prozent – schon neun Prozentpunkte weniger als der Arbeiter für dieselbe Summe.

Noch günstiger wird es, wenn Sie Ihr Geld in Fonds investiert haben, weil hier je nach Art des Fonds ein Teil der Erträge automatisch steuerfrei gestellt wird. Bei Mischfonds, die etwa Aktien und Anleihen enthalten, sind 15 Prozent der Rendite steuerfrei, bei Aktienfonds 30 Prozent und bei Immobilienfonds sogar 60 Prozent. Entsprechend sinkt Ihre Steuerlast dadurch auf 23 Prozent, 19 Prozent beziehungsweise 10,5 Prozent.

Noch weniger Steuern zahlen Sie, wenn Sie das Geld weder erarbeiten noch an der Börse verdienen, sondern schlicht erben. Für die meisten Verwandtschaftsverhältnisse gelten so hohe Freibeträge, dass Sie ein Erbe von 45.000 Euro überhaupt nicht versteuern müssen. Das Geld wäre also ein steuerfreies Einkommen für Sie.

Was ist daran ein Problem?

Theoretisch ist es nicht verwerflich, dass unterschiedliche Einkommensarten unterschiedlich stark besteuert werden. So ließe sich etwa argumentieren, dass ein Kapitalanleger an der Börse auch das Risiko eingeht, Geld zu verlieren und entsprechend stärker belohnt werden sollte, wenn er Renditen erwirtschaftet.

In der Praxis ist es aber so, dass die Einkünfte aus Arbeit und Kapital in der Gesellschaft nicht gleich verteilt sind. Das ist logisch, denn um Gewinne aus Kapital zu erhalten, müssen Sie erst einmal Kapital besitzen. Für 45.000 Euro Rendite aus Geldanlagen an der Börse brauchen Sie selbst bei einer starken Rendite von 5 Prozent eben schon ein Vermögen von 900.000 Euro – das haben nur sehr wenige Menschen in Deutschland.

So sorgt die Ungleichbehandlung der Einnahmenquellen dazu, dass sowieso schon reiche Menschen weniger Steuern auf Ihre Einkünfte zahlen als Menschen aus der Mittelschicht oder mit niedrigen Einkommen. Da diese Menschen mehr von Ihren Einkünften behalten, können sie wieder mehr Kapital anlegen, worauf sie wiederum weniger Steuern zahlen. Das Ergebnis: Die Ungleichheit der Verteilung von Vermögen in Deutschland ist enorm. Der aktuelle Global Wealth Report der Boston Consulting Group kommt zu dem Ergebnis, dass nur 3300 Menschen in Deutschland mittlerweile 23 Prozent des gesamten Vermögens im Land besitzen, jeweils mehr als 100 Millionen Dollar. Die Tendenz ist steigend. Hinzu kommen 550.000 Dollar-Millionäre, 30.000 mehr als noch vor einem Jahr. Demgegenüber besitzen die unteren 50 Prozent nach Angaben der Europäischen Zentralbank gerade einmal 2,3 Prozent des Gesamtvermögens.

Von den reichsten Deutschen haben nur zwei ihr Vermögen nicht von den Eltern geerbt

Eine derart ungleiche Verteilung schafft mehrere Probleme: „Den wenigsten Deutschen gelingt es, sich einen höheren Lebensstandard zu erarbeiten als den, in den sie hineingeboren werden“, sagt etwa Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Wer in eine reiche Familie geboren wird, bleibt in der Regel auch reich, wer arm geboren wird, bleibt arm. Am besten zeigt sich das an den reichsten Deutschen. Von den Top 20 haben nur zwei ihr Vermögen nicht von den Eltern geerbt. SAP-Gründer Hasso Plattner und Google-Investor Andreas von Bechtolsheim. Als dritten könnte man noch Reinhold Würth hinzunehmen, der zwar das Geschäft seines Vaters erbte, welches aber zu diesem Zeitpunkt noch ein winziges regionales Handelsunternehmen war und nicht die international erfolgreiche Würth-Gruppe der heutigen Zeit.

Noch schlimmer für die Gesellschaft: Wer weniger Geld hat, beteiligt sich auch seltener am gesellschaftlichen Leben. Die Wahlbeteiligung in Bezirken mit niedrigem Einkommen sinkt demnach schon seit 1980 deutlich stärker als in Bezirken mit hohem Durchschnittseinkommen. Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2013 sank die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen bei Menschen mit niedrigem Einkommen in diesem Zeitraum von etwa 93 auf 69 Prozent. Bei Menschen mit hohem Einkommen ging es nur von 94 auf 88 Prozent zurück. Gleiches gilt für gesellschaftliches Engagement etwa in Ehrenämtern: Während die Rate derer, die sich engagieren, nach Umfragen des Bundessozialministeriums von 1999 bis 2014 anstieg, sank die Rate einzig in der Gruppe von Menschen, die ihre finanziellen Verhältnisse als „sehr schlecht“ beurteilen – zuvor lag sie dort schon mit 29 Prozent deutlich niedriger als in der Mittel- (34 Prozent) und Oberschicht (43 Prozent). 2014 waren es nur noch 27 Prozent, während die Werte in den anderen Schichten auf 43 beziehungsweise 50 Prozent anstiegen. Seit 2019 wird die finanzielle Situation im Freiwilligensurvey nicht mehr abgefragt.