Mehr als 20 Gäste bei Nahost-Gespräch - Baerbock geht auf heikle Frage über geheimes Israel-Abendessen nicht ein

Eine Dinner-Einladung ins Auswärtige Amt (AA) im September bereitet Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) einigen Ungemach.

Die Ministerin wollte sich nach eigenen Angaben mit „ausgewählten Vertreterinnen und Vertretern aus Kultur, Wissenschaft und Journalismus“ sowie aus „jüdischen und muslimischen Communities“ zum Abendessen treffen, um die Lage in Nahost zu besprechen - ein „informell und vertraulich angelegter Austausch“.

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Weil unter anderem zwei Frauen daran teilnahmen, die sich antisemitisch geäußert haben sollen, wird Baerbock vorgeworfen, sich mit „Israelfeinden“ an einen Tisch gesetzt zu haben.

Das Außenamt verteidigt sich damit, es sei ein Termin wie viele andere gewesen: Er unterstütze „das Anliegen der Bundesregierung, sich gegen Antisemitismus sowie für Frieden in Nahost einzusetzen“, heißt es in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Bundestagsabgeordneten Gitta Connemann (Union).

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Auf eine heikle Frage geht Baerbock nicht ein

Baerbock habe die Gelegenheit genutzt, „die Politik der Bundesregierung zu erklären und auf Fragen einzugehen“.

Eine Frage, auf die Baerbock jedoch nicht einging, war die der Abgeordneten Connemann nach den Teilnehmern der Veranstaltung. Waren, außer der Journalistin Alena Jabarine und der Autorin Emilia Roig, noch mehr Gäste dabei, die mit mindestens scharfer Kritik an Israels Regierung aufgefallen sind?

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Jabarine hatte das Treffen selbst öffentlich gemacht und sogleich mit neuer Kritik an „Kriegsverbrechen“ Israels und deutscher Untätigkeit verbunden.

Für den Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion Thorsten Frei ein Anlass, sich an das Bundeskanzleramt zu wenden. Denn erst kürzlich hatte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) per Brief eben dort angemahnt, sich um Abgeordneten-Anfragen künftig besser zu kümmern. „Die Entwicklung ist nicht akzeptabel“.

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Tatsächlich war das Treffen wohl doch nicht ganz so gewöhnlich, wie es das Auswärtige Amt darstellt. Weitere Baerbock-Abendessen mit „ausgewählten Vertretern aus Kultur, Wissenschaft und Journalismus“ sind bisher keine bekannt geworden.

23 Gäste waren geladen, zehn sagten ab. Die Gründe sind unbekannt.

Die Gastgeber traten zudem fast in Mannschaftsstärke an: Neben Baerbock die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Luise Amtsberg, die Büroleiterin der Ministerin, der Leiter des Planungsstabes, der Leiter der Kulturabteilung, der Nahost-Beauftragte des AA sowie dessen Vizesprecher.

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Daran gemessen, war die Besucherreihe dünn besetzt. Statt der gebetenen 23 Gäste kamen nur 13, darunter - so viel gibt das Außenamt preis - drei Journalisten; zu den Gründen der Absagen möchte das AA nichts mitteilen.

Zwei Tage vor dem Termin am 12. September bekam jeder eine Gästeliste zugeschickt, verbunden mit der Bitte, über Teilnehmer und Gesprächsinhalte Stillschweigen zu wahren. „Vertrauliche Gespräche mit unterschiedlichen Seiten sind diplomatisches Kerngeschäft“, lässt das AA dazu wissen.

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Mit der Intervention der Unionsfraktion beim Bundeskanzler wird das „Kerngeschäft“ nun auf die politische Probe gestellt. Denn genügt die Berufung auf Vertraulichkeitsabsprachen, um Parlament oder Presse Informationen vorzuenthalten? Zumal wenn, wie hier, die Einladung nicht der Pflege auswärtiger Beziehungen dienen soll, sondern der Vernetzung im Inland?

Jetzt werden neue Gründe gesucht

Im AA sucht man jetzt nach neuen Gründen, um die fehlende Transparenz zu rechtfertigen. So sollen es zunächst „mit Blick auf die massive Zunahme antisemitischer und islamophober Hetze und Gewalttaten seit dem 7. Oktober 2023“ angebliche Sicherheitsinteressen der Teilnehmer sein, denen das Auswärtige Amt hier Rechnung trägt.

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Allerdings sind die meisten Gäste wohl eingeladen worden sein, gerade weil sie sich öffentlich zu Nahost äußern - ein Bekanntwerden der Tatsache, mit Baerbock gespeist zu haben, dürfte daraus resultierende Gefährdungen kaum steigern.

Daher führt die Ministerin nun noch ein weiteres Argument ins Feld: Die „sehr emotional“ geführte Nahost-Debatte in Deutschland habe auch Rückwirkungen auf das Deutschlandbild im Ausland.

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„Die getroffene Vertraulichkeitsabsprache schützt daher auch die Fähigkeit der Bundesregierung, die ihr vom Grundgesetz zugedachte Pflege der auswärtigen Beziehungen effektiv umzusetzen.“ Möglich allerdings, dass dieser Zusammenhang zwischen Außen- und Innenpolitik nicht nur auf die Unionsfraktion etwas konstruiert wirkt.

Zudem sind da - nicht zuletzt - die Teilnehmer selbst, von denen zwei bereits mit Baerbocks Einladung öffentlich aufgetreten sind. Sie könnten einer Offenlegung der Gästeliste zustimmen, wenn sie denn gefragt würden.

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„Einige“ Gäste hätten ausdrücklich im Vertraulichkeit gebeten, heißt es vom AA - aber eben wohl längst nicht alle.

Baerbocks Ministerium könnte also mehr, wenn es wollte. Doch offenbar will es nicht: Eine Drittbeteiligung, heißt es, sei „nicht vorgesehen“.

Von Jost Müller-Neuhof