„Frauen zahlen in der Regel einen hohen Preis für ihren Erfolg“ - Drei Frauen sprechen über ihre Erfahrung mit Führungspositionen
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VonStephanie Uehleinschließen
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Kathrin Hauserschließen
Um das Thema „Frauen und Führung“ ging es beim diesjährigen Frauengespräch zum Weltfrauentag, der jedes Jahr am 8. März begangen wird . Die Redakteurinnen Stephanie Uehlein und Kathrin Hauser konnten dafür ihre Wunschkandidatinnen gewinnen: Landrätin Andrea Jochner-Weiß, die Direktorin des Weilheimer Gymnasiums, Andrea Pauline Martin, sowie Anita Brandt, die Führungskräfte coacht.
Wie ist Ihr Werdegang, wie haben Sie Ihre Führungsposition erlangt?
Jochner-Weiß: Grundsätzlich hatte ich nie das Ziel, Karriere zu machen, da meine Familie für mich immer Priorität hatte. Dennoch war es mir immer schon wichtig, mich aktiv in die Lokalpolitik einzubringen. Meine Ehrenämter als Gemeinderätin und zweite Bürgermeisterin in Wielenbach sowie als Kreisrätin haben mir immer schon Freude bereitet. Schließlich wurde ich dann unter Landrat Dr. Friedrich Zeller zur stellvertretenden Landrätin und sechs Jahre später zur Landrätin gewählt. Jetzt bin ich seit zehn Jahren im Amt und sehr stolz darauf, die Landrätin dieses schönen Landkreises sein zu dürfen.
Martin: Ich bin Lehrerin, das war schon als Kind mein Traumberuf. Ich habe mich voll und ganz mit großer Leidenschaft auf diesen Beruf gestürzt. Zunächst war ich in Hof an einer Schule und danach sieben Jahre am Gymnasium in Kirchheim, wo wir damals in den 90er Jahren durch innovative Projekte in der Schulentwicklung die Schule regelrecht auf den Kopf gestellt haben. Dann wurde ich ans Kultusministerium berufen, wo ich insgesamt sechs Jahre im Referat für Internationale Angelegenheiten war. Ich hatte sehr interessante Aufgaben und bin zu Konferenzen und Sitzungen in andere Bundesländer und bis nach Brüssel gereist. In dieser Zeit hatte ich viel Kontakt zu Stiftungen und als ich die Möglichkeit bekam, für die „Joachim Herz Stiftung“ in Hamburg zu arbeiten, habe ich zugegriffen. Sehr schnell wurde ich geschäftsführende Vorständin und war auch in dieser Rolle sehr viel international unterwegs. Nach sieben Jahren zog es mich wieder nach Oberbayern – in meine Heimat – zurück. Nach einer Tätigkeit bei der Ministerialbeauftragten für Oberbayern West und im Anschluss daran als stellvertretende Schulleiterin am Gymnasium Geretsried konnte ich mich mit den Aufgaben einer Schulleitung näher vertraut machen. Als die Stelle als Schulleitung in Weilheim ausgeschrieben wurde, habe ich mich beworben. Diese Aufgabe habe ich jetzt rund zwei Jahre inne, und sie macht mir sehr viel Freude.
Brandt: Ich habe Sozialpädagogik studiert und mich dann, als meine Kinder noch klein waren, selbstständig gemacht. Ich war alleinerziehend, hatte damals keinen Partner und habe den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Ich habe Ausbildungen zur Mediatorin und zum Coach gemacht und mich schnell auf das Thema „Führung“ konzentriert. Inzwischen arbeite ich in meiner Firma mit fünf Beraterinnen und Beratern. Wir beraten kleine Firmen, große Unternehmen sowie öffentliche Organisationen. Führung ist mein tägliches Brot.
Bei den Vorüberlegungen zum Gespräch ist uns aufgefallen, dass es im Landkreis gar nicht so viele Frauen in Führungspositionen gibt, die öffentlich in Erscheinung treten. Wie nehmen Sie das wahr?
Jochner-Weiß: Ich nehme das auch so wahr. Wenn ich zum Beispiel mit Führungskräften aus der Wirtschaft Besprechungen habe, überwiegt der Männeranteil häufig. In der zweiten Reihe hingegen finden sich mehr Frauen, aber in meinen Augen sind das noch nicht genug. Auch bei den Treffen der oberbayerischen Landräte bin ich die einzige Frau und würde mich sehr über Verstärkung freuen. Ich glaube, dass Frauen sich höhere Aufgaben oft nicht zutrauen. Ein Mann sagt meist ganz selbstverständlich: „Das schaffe ich.“ Ich habe das Gefühl, Frauen zweifeln schneller an sich und ihren eigenen Fähigkeiten.
Brandt: Meiner Erfahrung nach sieht das in den Großstädten schon anders aus als hier in der ländlichen Region. Da ist es völlig klar, dass auch Frauen Führungsaufgaben übernehmen können. In den Unternehmen herrscht ein solcher Mangel an Führungskräften, dass es völlig egal ist, ob ein Mann oder eine Frau die Aufgabe übernimmt – die Hauptsache ist, dass sie jemand übernimmt. Wobei ich auch schon beobachtet habe, dass das nicht in allen Branchen der Fall ist. Es gibt schon auch konservativere Branchen wie zum Beispiel Versicherungen oder Rechtsanwälte. Da sind Männer in den Führungspositionen stark in der Mehrzahl.
Woran liegt es, dass der Männeranteil bei den oberen Führungspositionen immer noch so hoch ist? Was müsste passieren, damit der Frauenanteil steigt?
Brandt: Ich habe den Eindruck, dass Frauen oft nicht in die obere Führungsposition wollen. Karriere ist nicht alles – ein konstruktives, respektvolles Arbeitsklima ist ihnen wichtig.
Martin: Als ich damals 2003 im Ministerium angefangen habe, waren in den Führungspositionen dort – bis auf die Ministerin, die damals Monika Hohlmeier war – fast nur Männer. Das hat sich inzwischen gewandelt. Auch unter den Schulleitungen ist der Anteil der Frauen gestiegen, wobei die Männer immer noch in der Überzahl sind. Ich schätze, es sind etwa ein Drittel Frauen und zwei Drittel Männer, die Schulen leiten. Es ist eben noch meistens so, dass in einer Familie die Frau die Kinder versorgt und dem Mann den Rücken frei hält – auch wenn sie berufstätig ist. Nach meiner Beobachtung sind Frauen weniger an einer Karriere interessiert. In der freien Wirtschaft etwa achten sie nicht so darauf, gut vernetzt zu sein. Das kann schaden, wenn es um den Aufstieg geht.
Wollen Frauen vielleicht grundsätzlich gar nicht so gern Vorgesetzte sein?
Brandt: Meiner Beobachtung nach wollen Frauen schon Führungspositionen übernehmen, wenn das Betriebsklima gut ist. Wenn das Klima an der Spitze misstrauisch ist, dann bewerben sie sich nicht so gern.
Was müsste passieren, damit der Frauenanteil unter den Vorgesetzten steigt?
Brandt: Ich kann das zum Beispiel für die Stadt München sagen. Da gibt es in den Leitungspositionen ungefähr gleich viele Männer wie Frauen. Die Stadt München hat diese Ausgewogenheit ganz gut hinbekommen. Ein wichtiges Mittel dabei war, familientaugliche Arbeitszeitmodelle zu schaffen. Ebenfalls sehr wichtig war, die Möglichkeit einzuräumen, dass sich zwei Mitarbeiterinnen beziehungsweise Mitarbeiter eine Führungsposition teilen. Ich beobachte, dass es für Frauen, die führen wollen, wichtig ist, dass das Arbeitsklima von Fairness geprägt ist. Gerade diese Voraussetzung eines fairen und konstruktiven Miteinanders ist in der Sphäre von höheren Führungspositionen oft nicht gegeben.
Martin: Im Beamtenwesen werden Männer und Frauen nach den gleichen Kriterien beurteilt. Von daher würde ich vermuten, dass Frauen vielleicht noch stärker ermutigt werden könnten sich für entsprechende Stellen zu bewerben.
Jochner-Weiß: Auch bei uns am Landratsamt werden Männer und Frauen gleich behandelt. Bei uns ist die Quote an Abteilungsleiterinnen sehr hoch. Von den drei Juristenstellen werden derzeit zwei von Frauen besetzt.
Was unterscheidet den Führungsstil der Männer von dem der Frauen – beziehungsweise gibt es da überhaupt einen großen Unterschied?
Brandt: So ganz grundsätzlich kann man das nicht sagen. Wozu Frauen in der Regel schon mehr neigen ist, auf eine gute Beziehung zu den Mitarbeitern zu achten und auf ein konstruktives Betriebsklima. Sie sind meiner Beobachtung nach eher darauf aus, Konflikte zu vermeiden und sich um Lösungen zu kümmern. Das ist im Schnitt so meine Beobachtung. Frauen achten oft ein bissl weniger darauf, ein gutes Netzwerk zu haben, was sich manchmal rächt, wenn es um die Vergabe von Posten geht oder darum, sich in einer Sache durchzusetzen. Ein Netzwerk aufzubauen, ist für Frauen oft nicht das Wichtigste – ihnen sind ihre Aufgaben wichtiger.
Jochner-Weiß: Das kann ich zu hundert Prozent unterstützen, was Sie da sagen, Frau Brandt. Ich glaube, dass Frauen, wenn Sie in einer Führungsposition sind, oft länger überlegen, bis sie eine Entscheidung fällen. Ich sage oft: „Ich muss noch einmal drüber schlafen. Gebt mir noch eine Nacht.“ Am nächsten Tag kann ich dann meist sofort eine Entscheidung treffen. Ich glaube, dass Frauen harmoniebedürftiger und sensibler sind und nicht so sehr ihre Ellenbogen einsetzen. Sie sind in der Regel mehr auf eine Art von Kameradschaft bedacht und haben ein gutes Miteinander. Ich weiß, dass ein autoritärer Führungsstil nicht meine Art ist.
Martin: Im Kultusministerium war mir zunächst nicht klar, wie wichtig es ist, sich langfristig ein gutes Netzwerk aufzubauen. Mit der Zeit habe ich dann mit Interesse beobachtet, in welchen Netzwerken die Menschen, denen ich beruflich begegnet bin, sich automatisch bewegen. Da spielen sicherlich immer noch die Sozialisation und die Herkunft eine große Rolle. In Familien, in denen ein oder beide Elternteile beruflich eine Führungsrolle einnehmen, erleben Kinder einfach mehr mit, dass Führungspositionen etwas ganz Normales sind.
Fehlt es vielleicht auch an weiblichen Vorbildern, was Führung angeht?
Brandt: Das glaube ich nicht. Man sieht heute überall Frauen: in großen Unternehmen, bei Behörden, im Mittelstand. Es gibt heutzutage durchaus Frauen auch in hohen Führungspositionen.
Martin: Heute gibt es, wie gesagt, viel mehr Schulleiterinnen als früher. Für mich gab es im Ministerium ein wirklich beeindruckendes weibliches Vorbild. Diese Frau hat mir damals eine ganz neue Welt geöffnet. Sie hat mich in vielfacher Weise inspiriert, und von ihr habe ich gelernt, strategisch zu handeln und entsprechend zu argumentieren. Das sind Fähigkeiten, die mir auch in meiner Stiftungsarbeit sehr zugute kamen.
Inwiefern bedeuten Spitzenpositionen gerade für Frauen auch Verzicht, zum Beispiel im Bezug auf das Familienleben?
Jochner-Weiß: Ich glaube, dass Frauen auf mehr verzichten müssen als Männer, wenn sie Karriere machen. Als Frau musst du dich viel mehr behaupten als ein Mann. Du musst immer beweisen, dass du gewisse Dinge ebenso gut beziehungsweise noch besser kannst als ein Mann. Daher fällt es einem auch schwerer, Verantwortung abzugeben. Das fängt schon im Kleinen an. Wenn ich morgens aus dem Haus gehe, dann hinterlasse ich es so, wie ich es abends auch vorfinden möchte. Das bedeutet, dass ich zusätzlich zu meinem sehr zeitintensiven und anspruchsvollen Beruf auch viel im Haushalt übernehme.
Brandt: Das ist bei mir anders gewesen. Ich hatte das Glück, einen Ehemann zu haben, der mit mir zusammen den Haushalt führt. Ich hatte diesbezüglich immer viel Unterstützung. Allerdings, das ganze Kümmern und die Organisation der Familie, das habe immer ich übernommen. Und ja, Frauen zahlen in der Regel einen hohen Preis für ihren Erfolg – vor allem wenn sie Kinder haben. Ich sehe, dass sie mit einem wahnsinnig hohen Energieeinsatz bezahlen. Das bedeutet wenig Schlaf, wenige Pausen, wenig Freizeit.
Martin: Ich hatte mir den Haushalt sehr gut mit Unterstützung von außen organisiert. Sonst hätte ich die Wochenenden nie frei gehabt.
Sind Sie selbst zufrieden in Ihrer Rolle? Würden Sie Ihren Weg wieder so gehen?
Brandt: Ja, ich würde es wieder so machen. Ich habe einen Beruf mit einer extrem hohen Wirksamkeit. Und ich kann meine Zeit weitestgehend selber gestalten.
Martin: In der Schule habe ich im Rahmen der Vorgaben viele Möglichkeiten zu entscheiden und zu gestalten – auch wenn es manche Zwänge gibt. Ich hatte Glück, dass ich auch in Positionen arbeiten durfte, in denen ich immer wieder Spielräume hatte. Das ist für mich enorm wichtig.
Jochner-Weiß: Ich hätte mir bisher in meiner Amtszeit mehr Zeit zum aktiven Gestalten gewünscht. Die Vergangenheit war leider geprägt von vielen Ereignissen, bei denen wir nur reagieren konnten und auch reagieren mussten. Hier möchte ich beispielsweise die Flüchtlings- und Coronakrise nennen.
Was empfehlen Sie anderen oder jüngeren Frauen? Was sollten Sie auf Ihrem beruflichen Weg unbedingt machen und was nicht?
Jochner-Weiß: Ich rate ihnen, selbstbewusst ihren Weg zu gehen. Unsere jungen Leute sind toll – sowohl Frauen als auch Männer!
Martin: Ich empfehle ihnen, mutig zu sein, sich Dinge zu trauen, Zutrauen zu sich zu haben, vieles auszuprobieren, sich nicht unterkriegen zu lassen und auf das Innere zu hören. Wenn ich Erfolg haben will, sollte ich meine Talente kennen und wissen, was ich kann, was ich nicht kann und wer ich bin.
Brandt: Unterschätzen Sie nicht Ihre Fähigkeiten! Haben Sie Zutrauen zu sich und Vertrauen zu anderen – sprechen Sie Konflikte oder respektloses Verhalten mutig und offen an! Schaffen Sie, wo auch immer Sie führen, das Arbeitsklima, das Sie wollen!