200 Jahre alte Päckchen geöffnet: Wissenschaftler erklärt Inhalt für kulturhistorisch wertvoll

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Ein Schiff wird 1807 entführt. Mit ihm auch die Ladung. Jetzt wurden Teile davon geöffnet. Experten sprechen von einer „Zeitkapsel“.

Oldenburg/London – „Der Fund ist sowohl vom Erhaltungszustand als auch vom Inhalt einmalig“, freut sich Lucas Haasis, Historiker und Forschungskoordinator des Projekts „Prize Papers“ an der Universität Oldenburg. Und er hat allen Grund zur Freude: Ein Team von Wissenschaftlern hat fünf versiegelte Pakete von einem Schiff der Färöer-Inseln entdeckt, das vor mehr als 200 Jahren entführt wurde. Eine Sensation, da sind sich die Experten einig.

Schiff samt Ladung 1807 von den Briten entführt: Wissenschaftler aus Niedersachsen öffnen „Zeitkapsel“

Dass der Fund alt ist, beweist die Historie des Schiffes, auf dem er transportiert wurde: Die in London gefundenen Pakete wurden auf dem Handelsschiff „Anne Marie“ verschifft, das nach Angaben der Forscher Anfang des 19. Jahrhunderts unter dänischer Flagge segelte. Am 2. September 1807 wurde das Schiff auf dem Weg von den Färöer-Inseln nach Kopenhagen von den Briten entführt. Ein Teil der beschlagnahmten Ladung wird noch heute in London aufbewahrt.

Versiegelte Briefe, Strümpfe und ein Pullover: Einen Sensationsfund konnten internationale Forscher verzeichnen. Er sei eine „einmalige Zeitkapsel“. © Prize Papers Project, National Archives, ref. HCA 32/952, Images reproduced by permission of The National Archives, UK, Photographer: Maria Cardamone.

Zu den beschlagnahmten Gegenständen gehören auch die versiegelten Pakete, die das Forschungsteam aus Oldenburg, Großbritannien und den Färöer-Inseln nun zum ersten Mal öffneten. Diese und etwa 200 versiegelte Briefe befinden sich im Nationalarchiv in London. Haasis bezeichnete den Fund als eine „Zeitkapsel“. Denn: „Dass Artefakte in ihrem Originalzustand noch verpackt gefunden werden, ist sehr selten. In den Prize Papers finden wir vielfach kleinere Stoffproben in Briefen, aber noch nie einen vollständig erhaltenen Pullover, eine ganze Packung Getreide oder vier weiße Strümpfe für Frauen“, erklärt Haasis auf Nachfrage von kreiszeitung.de und beschreibt die Ausmaße des Fundes.

Die Strümpfe allein seien schon eine Sensation: Über 40.000 weiße Socken für Männer seien allein an Bord dieses Schiffes verschickt worden. Die Strümpfe für Frauen wurden privat verschickt und hätten sich deswegen erhalten. „Besonders ist auch, dass die 200 ebenfalls erhaltenen noch verschlossenen und nun geöffneten Briefe direkte Rückschlüsse über die Artefakte erlauben“, so Haasis weiter. Das erleichtere die Arbeit der internationalen Kollegen von den Färöer-Inseln, sie bekämen viel des historischen Kontexts schon direkt mitgeliefert.

Der einzige seiner Art: Gefundener Pullover „unheimlich wertvoll“ für die Erinnerungskultur

Und auch der gefundene Pullover lässt die Wissenschaftler staunen: „Dieser Pullover ist der erste, der sich nachweislich auf Anfang des 19. Jahrhunderts datieren lässt, schlicht, weil er einem noch verschlossenen Paket lag. Das ist für die Färöer-Inseln daher für die eigene Erinnerungskultur unheimlich wertvoll.“ Es seien bislang Ringe, Perlen und Blumensamen gefunden worden, „aber einen so großen Fund hatten wir bisher noch nicht.“ Es sei für alle beteiligten ein Highlight gewesen, das Paket zu öffnen.

Ein Pullover der Faröer Inseln
Ein einzigartiger Pullover. Er ist laut den Forschern, der erste, der sich auf Anfang des 19. Jahrhunderts datieren lässt. © Prize Papers Project, National Archives, ref. HCA 32/952, Images reproduced by permission of The National Archives, UK, Photographer: Maria Cardamone.

Jetzt könnten die Funde für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. „Wir haben vor Ort Kooperationsgespräche geführt und es ist wahrscheinlich, dass diese Stücke im Rahmen einer Ausstellung ausgestellt werden“, so Haasis. Bei dem Pullover handele es sich um das Nationaldress der Färöer-Inseln.

Dokumente aus „unterschiedlichen Ecken der Welt“ erbeutet – Schiffsentführungen waren im Krieg erlaubt

Die historischen Dokumente stammen alle von Schiffen, die die Briten zwischen 1652 und 1815 entführt haben. In dieser Zeit war es erlaubt, Schiffe im Krieg zu erobern. Der Wissenschaftler aus Oldenburg erklärte: „Man musste vor Gericht nur den Beweis erbringen, dass es sich bei dem gekaperten Schiff tatsächlich um ein verfeindetes Schiff handelt.“

Aus diesem Grund haben die Briten bei ihren Raubzügen Flaggen, Schiffspässe und andere Dokumente mitgenommen und teilweise bis heute aufbewahrt. Haasis betonte: „Das Besondere bei den Prize Papers ist, dass es wirklich Dokumente von ganz unterschiedlichen Ecken der Welt gibt – von Kolonialmächten, aber auch von kleineren Staaten oder Hansestädten.“

Ein Gruppenfoto des Forscherteams von den Faroer Inseln
Gruppenfoto des Forscherteams von den Färöer-Inseln: (v.l). Erling Isholm, Lucas Haasis, Anna Knutsson, Amanda Bevan, Margretha Nónklett, Oliver Finnegan, Marina Casagrande © Prize Papers Project, National Archives, ref. HCA 32/952, Images reproduced by permission of The National Archives, UK, Photographer: Maria Cardamone.

Die Arbeit ist Teil des Oldenburger Projekts „Prize Papers“, das von der Göttinger Akademie der Wissenschaften unterstützt wird. Seit 2018 untersuchen Wissenschaftler etwa 500.000 Dokumente im Nationalarchiv in London. „Unser Ziel ist, alles zu digitalisieren und weltweit zugänglich zu machen“, erklärte Haasis. Das Projekt soll bis 2036 fortgesetzt werden.

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