Kommentar zum Klimagipfel in Cali - Der Wald ist in Deutschland keine Senke für Treibhausgase mehr, sondern eine Quelle
Das ist sehr bitter - und noch trauriger, wenn man die ganze Geschichte der Verhandlungen und Beschlüsse dieser Weltgipfel kennt. Es gab einmal ein 2010-Ziel. Bis zu diesem Jahr vor anderthalb Jahrzehnten sollte der Verlust an biologischer Vielfalt deutlich reduziert werden. 2010, beim Treffen in Japan, mussten die Staaten einsehen, dass sie dieses Ziel dramatisch verfehlt hatten.
Also setzten sie sich neue Ziele - die sogenannten Aichi-Ziele, 20 an der Zahl. Sie waren nicht schlecht, aber ambitioniert. Der Schutz von Arten und Ökosystemen, zu Wasser und zu Land, sollte endlich besser erreicht, die vielen Treiber der Zerstörung zumindest reduziert werden. Das Bewusstsein für die Krise des Lebens sollte weltweit geschärft und ausreichend Ressourcen bereitgestellt werden, damit die Länder das alles schaffen können.
Bis 2020 sollte der Dekadenplan erreicht sein. In der Zwischenzeit hatte jedoch nicht nur eine globale Pandemie die Menschheit von ihren „Lebenszielen“ abgelenkt. Sich zuspitzende geopolitische Krisen und Konflikte, der Kampf um Ressourcen und Märkte sowie sich verschiebende Machtpole deuteten auf den Verlust einer alten, scheinbar einfachen Weltordnung hin, die sich nicht nur auf die Geopolitik bezog.
Die Welt, die sich in eine Erste, eine Zweite und eine Dritte Welt einzuteilen schien, existierte nicht mehr. Transnationale Konzerne setzten sich an den Tisch der globalen Entwicklung, die technologische Entwicklung ließ die Welt der 1990er Jahre plötzlich ziemlich alt aussehen.
Aufschieberitis, Papier-Parks und Papiertiger
Es gab also viele Gründe dafür, dass die Aichi-Ziele der Biodiversität nicht erreicht wurden und wir gar keine Zeit hatten, diese Tatsache zu betrauern. Die Staaten beschlossen deshalb 2022 einfach ein neues Rahmenwerk. Die gute Nachricht war, dass man nicht aufgab und sich viele neue sinnvolle Ziele vornahm. Die schlechte: Das Handeln wurde weiter vertagt. Bis 2030 sollen etwa 30% aller Land- und Meeresflächen geschützt werden. Für manche Länder eine nicht allzu schwierige Übung, wenn sie alle Schutzgebiete zusammenzählen, die auf dem Papier existieren – unabhängig davon, ob sie überhaupt für die Natur einen Schutz bedeuten. Viele sind wirklich nur Papier-Parks.
Und die vielen anderen wichtigen Ziele des Global Biodiversitätsrahmens sollen erst bis 2050 erreicht werden. Für die politisch Verantwortlichen ist das eine bequeme Lösung, denn sie müssen sie garantiert nicht selbst umsetzen, sondern können die Mühen der Ebene ihren Nachfolgern überlassen.
Das Treffen in Cali markiert einen neuen Tiefpunkt in den politischen Bemühungen um das Leben auf unserem Planeten. Es begann damit, dass gleich zu Beginn deutlich wurde, dass ein Großteil der Staaten die selbst auferlegten Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Fast 90 Prozent der Länder brachten keine Aktionspläne zur Erhaltung der biologischen Vielfalt mit, obwohl sie es versprochen hatten. Die Gründe dafür sind vielfältig.
In Deutschland hat es nicht geklappt, weil einige politisch Verantwortliche meinen, Naturschutz sei ein bürokratisches Ärgernis, ein Hindernis für die freie wirtschaftliche Entwicklung. Wenn einzelne Länder nicht mitmachen, sind die Vereinten Nationen machtlos und können Verpflichtungen nicht durchsetzen. Verweigern sich viele Staaten, droht das Ende der globalen Umweltpolitik.
Die Vereinten Nationen schwächeln bekanntlich nicht nur im Umweltbereich. Sie werden nicht als oberste Autorität anerkannt. Die Missachtung der globalen Konventionen, die ja internationale Gesetze sind, bleibt folgenlos. Im Rahmen des Cali-Gipfels entstanden Papiere, die die Staaten nachdringlich bitten, den eingegangenen Verpflichtungen „sobald wie möglich“ nachzukommen und doch bitte auch die Empfehlungen der Wissenschaft zur Kenntnis zu nehmen – Papiertiger, die für Tier- und Pflanzenarten sowie Ökosysteme gar nichts bedeuten.
Gerungen wurde in Cali um die Einrichtung eines Fonds zur Finanzierung von Naturschutzmaßnahmen vor allem in ärmeren Ländern. Angestrebt waren zweistellige Milliardensummen pro Jahr, aber es wurde nur über Millionen gesprochen. Letztlich gab es keine Entscheidung hierzu.
Ein wichtiges Thema war ferner, wie gemessen werden sollte, ob man die neuen Ziele überhaupt erreicht. Auch hierzu letztlich kein Beschluss. Wie zu weiteren wichtigen Themen ebenfalls nicht. Es gibt noch nicht einmal eine Abschlusserklärung. Etliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer reden sich nun die Konferenz schön, weil einige nicht verbindliche Vereinbarungen getroffen und gute Gespräche geführt wurden. Damit tragen sie vielleicht schon zum Scheitern der nächsten Konferenzen bei.
Verantwortungslosigkeit in Industrieländern
Es gab kaum Staatschefs, die am Gipfel teilnahmen, da er keinen Reputationsgewinn versprach und das Risiko des Scheiterns wohl schon vorher klar war. Das Misstrauen zwischen Ländern wächst, der Ton zwischen Staaten des globalen Nordens und des Südens verschärft sich. Der Vizepräsident von Bolivien David Choquehuanca Céspedes etwa klagte, dass „Eurozentrismus, Kapitalismus und Modernität weiterhin ihr Entwicklungsmodell durchsetzen, den Planeten gefährden und die Armut verschärfen“. Das ist einerseits richtig, andererseits sind die Verbreitung naturzerstörender Wirtschaftsmodelle und die realen Belastungen der Biosphäre längst nicht mehr allein den europäischen Staaten anzulasten.
Aber angesichts ihrer historischen Verantwortung für Weltunordnung und Umweltkrisen gilt nach wie vor, dass sie besondere Anstrengungen unternehmen müssen, um voranzugehen und andere Staaten zu unterstützen. Werte wie Verantwortung und Solidarität scheinen jedoch aus der Mode gekommen zu sein.
Leider ist zu beobachten, dass die frühen Industriestaaten, die die Grundlagen ihres Wohlstands durch die Ausbeutung von Kolonien und die globale Umweltzerstörung gelegt haben, sich nun vor allem um ihre eigene nationale ‚Größe‘ sorgen, Zäune und Mauern um ihr Territorium ziehen, jede globale Verantwortung von sich weisen und wissensbasierte Entwicklungsziele inzwischen bereitwillig ablehnen.
Man muss nicht in die USA schauen, wo mindestens die Hälfte der Bevölkerung nicht für Nachhaltigkeit, Umweltschutz und globale Gerechtigkeit ist. Auch in Deutschland bröckelt die politische Unterstützung für Umweltziele. Zeitgleich mit dem Scheitern des Weltgipfels wurde das Papier des Bundesfinanzministers bekannt, mit dem er die Ampelkoalition in Frage stellt und sich nicht scheut, den Klimaschutz einem (unklaren) parteipolitischen Kalkül zu opfern.
Die Erreichung der Klimaziele soll verschoben werden, Christian Lindner plädiert für heimische Erdgasförderung und Fracking. Auch in anderen Bereichen kämpft die FDP gegen staatliche Bemühungen, Ökosysteme und Lebensgrundlagen zu erhalten - da wird die Neuformulierung eines Waldgesetzes schon mal direkt mit Enteignung in Verbindung gebracht - so formulierte es die FDP-Bundestagsabgeordnete Carina Conrad am 2.22.24.
Die Argumentation, dass nur eine von Regeln befreite Wirtschaft und Landnutzung eine nachhaltige Zukunft sichern kann, ist frei von ... Evidenz. Darf man fragen, warum der gefährliche Klimawandel, der schlechte Zustand von Wäldern, Mooren, Böden und Gewässern und die langen Listen bedrohter Arten eine Folge zu strenger Gesetze und der Regulierung von Märkten sein sollen?
Der Wald ist in Deutschland keine Senke für Treibhausgase mehr, sondern eine Quelle. Liegt das daran, dass ein strenges Waldgesetz es verboten hätte, den Anteil der kurzfristig finanziell attraktiven, aber extrem anfälligen Monokulturen und Plantagen zu reduzieren? Wohl kaum.
Der nüchterne Befund lautet derzeit immer wieder: Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass staatliche Akteure, Regierungsparteien oder Staatengemeinschaften sich ausreichend für den Erhalt einer lebensfähigen Biosphäre einsetzen. Wir können nicht mehr sicher sein, dass die politischen Mandatsträger die erdrückenden wissenschaftlichen Fakten über die Umweltkrisen zur Kenntnis nehmen und in verantwortungsvolle Politik umsetzen.
Wir können leider nicht einmal mehr sicher sein, dass frühere Beschlüsse, Gesetze und internationale Abkommen eingehalten werden. In einer Zeit, in der in Deutschland die Regierung verklagt werden muss, weil sie ihre eigenen Ziele nicht einhält, sondern Gesetze bricht und ihrem Auftrag, für das Wohl und die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen, nicht nachkommt, ist das keine Überraschung mehr. Aber der politische Schaden ist immens. Auch an dieser Front schwindet das Vertrauen und wächst die Verdrossenheit. Was nützt eine Politik, die sich nicht für einen nachhaltigen Umgang mit der Biosphäre einsetzt?
Einerseits darf die Politik und das Primat der Politik nicht leichtfertig aufgegeben werden. Andererseits ist aber auch klar, dass die Zivilgesellschaft und vor allem die Wirtschaft im eigenen Interesse eine größere Rolle spielen müssen, wenn es um den lokalen und regionalen Naturschutz geht. Gleichzeitig muss die Politik immer wieder an ihre Pflicht erinnert werden, Schaden von den Menschen und ihren Lebensgrundlagen abzuwenden.