Außenministerin in Damaskus: Deswegen wird Baerbocks Syrien-Besuch kritisiert

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Bundesaußenministerin Annalena Baerbock war am Donnerstag in Syrien. Der Besuch der Grünen-Politikerin wirft Fragen auf.

Damaskus – Bei ihrem zweiten Syrien-Besuch am Donnerstag hat Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) die deutsche Botschaft wiedereröffnet und die neuen Machthaber in Damaskus aufgefordert, „extremistische Gruppierungen in ihren Reihen“ unter Kontrolle zu bringen. Sie habe in ihren Gesprächen mit Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa und Außenminister Asaad al-Schaibani unterstrichen, „dass es jetzt an ihnen liegt, dass extremistische Gruppierungen in ihren Reihen unter Kontrolle gebracht werden und Verantwortliche von Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden“, sagte Baerbock am Donnerstag (20. März) in Damaskus vor Journalisten.

Baerbock besorgt wegen Gräueltaten in Küstenregion

Syriens Zukunft stehe „auf Messers Schneide“, sagte Baerbock. Dies belegten insbesondere die „Gräueltaten“ in der Küstenregion des Landes. Bei Kämpfen zwischen Truppen der neuen Regierung und Anhängern des gestürzten Machthabers Assad im Nordwesten Syriens waren vor zwei Wochen laut Menschenrechtsorganisationen mindestens 1383 Zivilisten getötet worden, die meisten von ihnen Angehörige der religiösen Minderheit der Alawiten, der auch Assad angehört.

Mit Blick auf den Schutz aller Bevölkerungsgruppen dürfe „die Regierung keine Worthülsen verbreiten“, sagte Baerbock. Ein Gradmesser hierfür sei „gerade auch die Teilhabe von Frauen“. Sie habe den neuen Machthabern „deutlich gesagt: ein Wiedererstarken islamistischer Strukturen werden wir als Europäer nicht unterstützen“, betonte die Außenministerin.

Der Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock in Syrien wirft Fragen au
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock war am Donnerstag in Syrien. Der Besuch der Grünen-Politikerin wirft Fragen auf. © dpa/Florian Gaertner

GfbV fordert Treffen mit hochrangigen Vertretern von Kurden und Drusen

Die Anforderungen an die Reise der Außenministerin waren groß. „Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) forderte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock auf, sich mit dem Vorsitzenden der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) Mazlum Abdi und der Führung der Drusen im Süden des Landes zu treffen. Baerbock sollte klare Worte finden und die Massaker an der alawitischen Minderheit verurteilen. Die Massaker halten an und drohen in einen Völkermord zu münden“, sagt der Nahostreferent der GfbV, Dr. Kamal Sido im Gespräch mit Fr.de von IPPEN.MEDIA.

Ein Gespräch mit Abdi hat es aber nicht gegeben. Stattdessen gab es eine Treffen mit einer mit einer Delegation des Syrisch-Demokratischen Rates unter der Leitung von Leyla Karaman, teilt die Demokratische Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien in einer Mitteilung mit. „Die Delegation aus Nord- und Ostsyrien betonte, dass die von der neuen Regierung verabschiedete Übergangsverfassung den Autoritarismus des Assad-Regimes in einer neuen Form reproduziert, indem sie eine zentralisierte Herrschaft festschreibt und der Exekutive weitreichende Befugnisse einräumt. So werde der Weg zu einem demokratischen Wandel erschwert“.

Baerbock trifft sich offenbar mit Schein-Vertreterin von Alawiten in Syrien

Kritik an dem Besuch von Baerbock kommt vor allem von alawitischer Seite. Die Außenministerin hatte sich auch mit der Journalistin Nada Mashriqi getroffen habe. Alawiten kritisieren jedoch, sie sei keine Vertreterin der religiösen Minderheit in dem Land. Sie soll inzwischen ins Lager von Al-Scharaa gewechselt sein.

„Sie ist keine Vertreterin der Alawiten“, kritisiert der syrisch-alawitische Journalist Mustafa S. (Name aus Sicherheitsgründen geändert) in einem Telefongespräch mit unserer Redaktion. „Warum ist Baerbock nicht nach Latakia und Tartus gegangen, wo die meisten Alawiten leben?“

Der Journalist lebt in Angst in seinem Land und hält sich versteckt. „Unser Dorf wurde von den Dschihadisten geplündert“, erzählt der Mann. Überall in den Küstengebieten, wo viele Alawiten leben, gebe es Checkpoints, wo junge Männer aus ihre Autos gezerrt und festgenommen werden. An manchen Tagen würden etwa 70 alawitische Männer entführt und anschließend ermordet, schätzt Mustafa S. in dem Telefongespräch. „Bis zu 10.000 Alawiten könnten durch die neuen Machthaber getötet worden sein“, fürchtet der Alawite - die Zahl könnte auch höher liegen.

Bis zu 700.000 Alawiten auf der Flucht in Syrien

„Wir brauchen jetzt ein Expertenteam, das von Anfang an in einer sicheren Umgebung arbeitet, um die Zahl herauszufinden, denn die Dschihadisten entführen und töten immer noch alawitische junge Männer“, so der Journalist.

Weiter heißt es von ihm: „Wir haben immer noch mehr als 700.000 Menschen, die in die Berge und Täler geflohen sind, und wir wissen nichts über sie. Es ist nicht klar, wie viele dieser 700.000 Menschen an Hunger und Durst starben, wie viele in Bränden umkamen, wie viele ins Meer und in Täler geworfen oder von HTS-Milizen in Massengräbern verscharrt wurden.“

Auswärtiges Amt agiert in Syrien „realpolitisch“

Auch Regierungschef Scharaa gehört der HTS an, eine dschihadistische Organisation, die von der UN und auch als Terrororganisation eingestuft wird und aus der Al-Nusra hervorgegangen ist - ebenfalls eine dschihadistisch-terroristische Organisation. Allerdings scheint das Auswärtige Amt hier „realpolitisch“ zu agieren. „Die HTS hat in den letzten Tagen Fakten geschaffen. Und ob wir das wollen oder nicht: Sie wird im weiteren Verlauf der Neuordnung Syriens eine Rolle spielen“, hatte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Sebastian Fischer, während einer Pressekonferenz am 9. Dezember 2024 gesagt.

„Nur ein Syrien für alle kann dauerhaft Sicherheit garantieren. Dafür braucht es eine Verfassung mit Gleichheit für alle, eine funktionierende #Übergangsjustiz & die Aufarbeitung der Assad-Verbrechen“, lässt das Auswärtige Amt auf X wissen. Doch Experten zweifeln daran, ob es eine solche Verfassung je geben wird. (erpe mit Agenturen)

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