Notwendige Transformation, um zu überleben - Autozulieferer vor großem Stellenabbau – viele Standorte stehen zur Debatte

Bertrandt, Brose, Vitesco, Mahle … die Liste der Firmen, die vor großem Stellenabbau stehen, ist schier endlos. Und viele stellen sogar die Zukunft ganzer Standorte zur Debatte. Oder sind insolvent, so wie jüngst Autositz-Ikone Recaro. Nach einer Umfrage der Unternehmensberatung Horváth unter 35 deutschen Branchengrößen wollen 60 Prozent massiv Stellen abbauen. Die Kosten müssen runter, damit der Umbau zur E-Mobilität gelingen kann. Und das unter miserablen Rahmenbedingungen, vor allem auf dem Heimatmarkt. In den ersten drei Quartalen dieses Jahres sind laut Kraftfahrt-Bundesamt fast 29 Prozent weniger neue batterieelektrische Fahrzeuge zugelassen worden als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Transformation hin zur Elektromobilität kostet Arbeitsplätze

Dabei hat die Transformation hin zur Elektromobilität, die Verlagerung auf Auslandsstandorte oder erhöhte Produktivität ohnehin bereits massiv Arbeitsplätze in der deutschen Leitbranche gekostet: Die Zahl der Beschäftigten in der deutschen Automobilzulieferindustrie ist seit 2019 von 304.000 auf inzwischen 270.000 gesunken. Und Investitionen in Forschung und Entwicklung sind branchenweit um durchschnittlich 15 Prozent zurückgegangen.

Da mutet es wie Pfeifen im Stockfinsteren an, wenn Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsenmetall, fordert: „Die Leute sollen Autos kaufen, egal ob Verbrenner, Hybrid oder Elektro.“ Denn das geschieht nicht. Über alle europäischen Märkte hinweg registriert der europäische Verband der Automobilhersteller aktuell bis dato 1,12 Millionen Pkw-Neuzulassungen, 4,2 Prozent weniger als im Vorjahr.

Und drei der vier Volumenmärkte schwächeln besonders. Der deutsche Markt verliert um sieben Prozent, Frankreich 11,1 Prozent und Italien 10,7. Einzelnen Marken wie Tesla, Mini, Audi, Ford oder Renault sind hierzulande noch stärker gebeutelt. Viele Menschen sind offenbar verunsichert, ob der Wandel zur E-Mobilität, das Ende der Verbrenner und verschiedenste staatliche Lenkungsmaßnahmen so weitergehen wie bisher – und bis zum Antritt der nächsten Bundesregierung, des US-Präsidenten und der neuen EU-Kommission dürfte sich an dieser Hängepartie auch nichts ändern. Kommt die Rolle rückwärts beim Verbrenner-Verbot? Neue Kaufanreize für E-Autos? Oder steuerbegünstigter Ladestrom? Das ist völlig ungewiss.

„Müssen unsere Strukturen an Marktbedingungen anpassen“

Da wird manche Kursbestimmung zum frommen Wunsch. Vitesco-CEO Andreas Wolf etwa fordert im Einklang mit seinen Kollegen bei anderen Zulieferern: „Wir müssen unsere Strukturen an die veränderten Marktbedingungen anpassen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.“ Aber genau das ist schwierig, weil die Hersteller viele Probleme gerade auch an ihre Lieferanten weiterreichen.

Erst hatten Stellantis, Volvo, BMW oder Volkswagen sich in den vergangenen Jahren mit Selbstverpflichtungen zur Elektrifizierung geradezu ein Wettrennen geliefert, massiv die Werke umgerüstet und neue Fertigungen aufgebaut, analysiert die Managementberatung Atreus. Entsprechend Druck zum Wandel wurde auf die Zulieferer ausgeübt. Branchengrößen wie ZF, Conti oder Magna waren denn auch stolz, in kurzer Zeit Konzepte zum Bau kompletter Antriebsstränge mit E-Motoren, Batteriemontage und allem Drumherum präsentieren zu können.

Lieferanten aus Fernost oder den USA sind gefragt

Doch das war vielleicht eine Fehlkalkulation: Denn einerseits holen viele kriselnde Hersteller beispielsweise durch eigene Batteriemontagen Fertigungstiefe in ihre Auto-Werke zurück, die traditionell von Systemlieferanten übernommen wurden. Und andererseits setzen sie etwa bei Software, Steuerelektronik oder ganzen Plattformen mehr und mehr auf Lieferanten aus Fernost oder den USA. VW etwa hat gerade erst eine Kooperation mit dem amerikanischen Hersteller Rivian ausgeweitet und entwickelt neue intelligent vernetzte Fahrzeuge mit dem chinesischen Xpeng-Konzern. Zukunftsaufträge, die Europas Zulieferern entgehen. Und Mercedes-Benz hat die Federführung bei der ungeliebten Schwestermarke Smart schon längst komplett an Geely übergeben. Auch die Autos werden in China gebaut.

Die Zulieferer müssen dennoch auf Kurs Elektro umsteuern und Kapazitäten umschichten. Schon das ist aber angesichts deren oft weit geringerer Margen und Kapitalstärke ein Kraftakt. Die Rendite der deutschen Zulieferer habe sich nach Zahlen von Atreus innerhalb weniger Jahre von durchschnittlich acht Prozent inzwischen fast halbiert. In der Absatzflaute haben die Hersteller zudem bei Elektroautos radikal die Schichten zusammengestrichen, Werksferien verlängert oder Leiharbeit zurückgefahren. Maßnahmen, die Zulieferer nicht in gleicher Weise finanziell stemmen können – zumal, wenn sie von ihren OEM zu „Just-in-time“ verpflichtet werden.

Kleine Standorte waren nur auf Verbrenner ausgerichtet

Zudem gibt es bei großen Systemlieferanten wie ZF oder Conti auch einzelne kleinere Standorte, die ganz auf die Produktion allein für Verbrenner benötigter Teile spezialisiert sind. Sie umzustellen kann betriebswirtschaftlich zu teuer sein, wenn in anderen Werken von der Fabrikplanung Platz genug geschaffen wird. Dazu kommt der Fachkräftemangel, gerade an unattraktiven Standorten.

Daneben fehlt aber auch durch einen weiteren Grund oft das Personal, um die Transformation ans Band oder in die Büros zu bringen: Wegen des demografischen Wandels wird die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte in ganz Europa im kommenden Jahrzehnt rapide sinken. Auch Autozulieferer sind daher gut beraten, sich darauf mit noch mehr Automatisierung und weniger Personalbedarf einzustellen. Steigende Energiekosten, viel Bürokratie und hohe Lohnkosten sind für diese Entwicklung ein zusätzlicher Anschub.

Elektromobilität dürfte wieder in Fahrt kommen

Das alles bedeutet allerdings nicht, dass die Autozulieferer zu weiterem Siechtum verurteilt sind. Zum einen dürfte schon im kommenden Jahr der Wandel zur Elektromobilität wieder weiter in Fahrt kommen. Die Marktforscher von Dataforce prognostizieren etwa, dass Elektroautos vom Jahr 2025 an wieder stetig steigende Marktanteile gewinnen werden. Überdies profitieren die Zulieferer auch von ihren Absatzerfolgen in China, Indien oder USA, die gerade in hochqualifizierten Bereichen auch in Deutschland Arbeitsplätze sichern.

Der Zwang zum Schrumpfen kann zudem auch eine Konzentration auf wirkliche Kernstärken „Invented in Germany“ zur Folge haben – wie etwa die angekündigte Entscheidung von Continental, sich wieder auf das traditionsreiche Reifengeschäft zu fokussieren. Die Pneus werden schließlich auch in einer digital vernetzten und elektrifizierten Zukunft gebraucht.

„Transformation der Autoindustrie erfordert schmerzhafte Einschnitte, um wettbewerbsfähig zu bleiben“

Den Satz des Mahle-Chefs Matthias Arleth werden darum viele Wettbewerber unterschreiben: „Die Transformation der Automobilindustrie erfordert schmerzhafte Einschnitte, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“ Wem das gelingt, der kann auch in Europa schon bald wieder auf die Jagd nach neuen Kunden gehen. Denn chinesische Autohersteller wie BYD, Chery oder Leapmotor bauen ja gerade auf dem alten Kontinent Fertigungen auf, um den Strafzöllen der EU zu entgehen. Sie werden leistungsfähige Lieferanten aus Europa brauchen.

Autos werden rollende Computer, elektrisch angetrieben und ganz oder teilweise autonom unterwegs. Dieser Wandel verlangt, dass die Zulieferer von Volkswagen, Mercedes, BYD, Peugeot und all den anderen Automarken ganz andere Produkte entwickeln und anbieten. Das alles mitten in einer Absatzkrise der Branche und während sie auch noch die Fahrzeuge der Verbrennerwelt bedienen müssen. Hohe Energiepreise und Löhne, Konkurrenz und Preisdruck, Fachkräftemangel und Bürokratie erschweren die Lage gerade in Deutschland zusätzlich.

Kaum ein Zulieferer wird das überleben, ohne Personal abzubauen oder Werke zu schließen. Und manche müssen ganz aufgeben, wenn nicht neue Eigentümer oder die nächste Bundesregierung die Transformation mitfinanzieren. Aber die Zulieferer hierzulande haben nach wie vor eine Geheimwaffe: Conti, ZF, Mahle und viele andere sind es, die seit Jahrzehnten den Großteil der Innovationen in Auto erfunden und hergestellt haben. Dieses Know-how ist rund um die Welt begehrt - eine starke Basis für Zukunftsgeschäfte. Auch solche “Made in Germany”.